Das Werk des Unternehmens Azovstal hinter Gebäuden, die im Zuge des Ukraine-Russland-Konflikts in Mariupol, Ukraine, beschädigt wurden.
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Angeblich Chemiewaffe eingesetzt Was zur Lage in Mariupol bekannt ist

Stand: 12.04.2022 13:39 Uhr

In Mariupol soll eine chemische Substanz gegen ukrainische Verteidiger der Stadt eingesetzt worden sein. Welche Informationen und Angaben liegen bislang vor? Wo genau soll der Einsatz stattgefunden haben?

Von Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Eine russische Drohne soll nach Angaben eines ukrainischen Regiments eine chemische Substanz in Mariupol eingesetzt haben. Das ukrainische Militär legte für die Angabe keine Belege vor.

Die stellvertretende Verteidigungsministerin der Ukraine, Hanna Malyar, sagte, die Regierung prüfe die unbestätigten Meldungen. "Es gibt die Theorie, dass es sich um Phosphormunition handeln könnte", sagte Malyar in einem Fernsehkommentar.

Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, erklärte, die USA könnten den Bericht aus Mariupol nicht bestätigen. Er verwies jedoch auf die andauernde Besorgnis der US-Regierung über "Russlands Potenzial, eine Reihe von Reizstoffen einzusetzen, einschließlich Tränengas gemischt mit chemischen Mitteln". Großbritannien erklärte, man versuche, die Berichte zu verifizieren.

Woher kommen die Angaben?

Das ukrainische Asow-Bataillon, das in Mariupol kämpft, hatte am Montagabend im Messengerdienst Telegram erklärt, etwa eine Stunde zuvor sei eine "giftige Substanz" auf ukrainische Soldaten und Zivilisten abgeworfen worden. Betroffene hätten danach unter Atemproblemen und neurologischen Problemen gelitten. Der Stoff sei von einem unbemannten Luftfahrzeug (englisch unmanned aerial vehicle, UAV) abgeworfen worden.

Telegram Screenshot von einer Warnung über Giftgaseinsatz der russischen Truppen in der Ukraine.

Telegram-Meldung des Asow-Regiments: "WARNUNG!!! Vor ungefähr einer Stunde setzten russische Besatzungstruppen eine giftige Substanz unbekannter Herkunft gegen ukrainische Militärs und Zivilisten in der Stadt Mariupol ein, die von einem feindlichen UAV abgeworfen wurde. Die Opfer haben Atemstillstand, vestibulo-ataktisches Syndrom. Die Folgen des Einsatzes einer unbekannten Substanz werden abgeklärt."

Batallionsgründer Andrej Biletsky sagte laut der Nachrichtenagentur AFP in einer Videobotschaft: "Drei Menschen haben deutliche Anzeichen einer Vergiftung durch Kriegschemikalien, aber ohne katastrophale Folgen."

Wer ist die Quelle für die Behauptungen?

Das Asow-Regiment steht seit Jahren international in der Kritik, wegen rechtsextremer Symbole und Mitglieder. Zudem wurden den Kämpfern Verbrechen vorgeworfen.

Fachleute betonen allerdings, dass es neben dem Regiment auch die politische Asow-Bewegung gebe, die in den vergangenen Jahren deutlich an Einfluss verloren habe. Das Regiment gebe sich zudem gemäßigter und sei dem Innenministerium unterstellt worden.

Wie ist die Lage in Mariupol?

Die russischen Angreifer haben bereits große Teile der ukrainischen Hafenstadt zerstört. Mariupol hatte vor dem russischen Einmarsch im Februar rund 430.000 Einwohner. Wie viele Menschen bei den Kämpfen getötet wurden, ist unklar. Ukrainischen Angaben zufolge sind bereits Tausende Zivilisten ums Leben gekommen. Lokale Behörden sprechen von schweren Kriegsverbrechen und mobilen Krematorien, die im Einsatz seien, um die Gräueltaten zu vertuschen. Internationale Beobachter sehen in der flächendeckenden Zerstörung der Stadt und den Angriffen auf die Bevölkerung einen Völkermord.

Mariupol gilt als strategisch bedeutsam für den russischen Angriff auf die Ukraine, da Russland auf diesem Weg die annektierte Krim und die von prorussischen Separatisten gehaltenen Gebiete im Donbass auf dem Landweg verbinden könnte. Zudem bindet die Schlacht um die Stadt russische Kräfte, die nicht bei anderen Angriffen eingesetzt werden konnten.

Karte: Ukraine mit den Orten Kiew, Mykolajiw, Odessa, Charkiw, Mariupol

Zuletzt war gemeldet worden, prorussische Kämpfer hätten den Hafen der Stadt eingenommen. Ukrainische Stellen wiesen dies zurück, dort werde noch gekämpft.

Wo genau soll der Einsatz stattgefunden haben?

Vor der Meldung über den Einsatz von chemischen Substanzen hatte der Militärsprecher der prorussischen Separatisten von Donezk, Eduard Bassurin, behauptet, die ukrainischen Kämpfer seien in die Stahlfabrik Asowstal abgedrängt worden.

Ein Kampf um die Befestigungen auf dem Fabrikgelände wäre zu verlustreich. sagte der Militärsprecher. Deshalb sollte man auf chemisch bewaffnete Truppen setzen. Ob der angebliche Einsatz des chemischen Kampfstoffes aber dort stattgefunden haben soll, ist noch unklar.

Am Dienstag dementierten die von Moskau unterstützten Separatisten den Einsatz chemischer Waffen zur Vertreibung der ukrainischen Truppen aus dem Stahlwerk. Sprecher Eduard Basurin wurde von der Nachrichtenagentur Interfax mit den Worten zitiert, die Separatisten hätten "keine chemischen Waffen in Mariupol eingesetzt".

Im Syrien-Krieg hatte Russland zwar nicht selbst Chemiewaffen eingesetzt, aber den nachgewiesenen Abwurf von Bomben mit Giftgas durch die syrische Regierung gedeckt und abgestritten.

Die Chemiewaffenkonvention verbietet Entwicklung, Herstellung, Besitz, Weitergabe und Einsatz chemischer Waffen. Das internationale Übereinkommen wurde auch von Russland und Syrien unterzeichnet.

Meldungen nicht bestätigt

Die Meldung über den Einsatz einer unbekannten Substanz in Mariupol lässt sich vorerst nicht verifizieren. Da große Teile der Stadt bereits unter russischer Besatzung stehen und Menschen kaum aus der umkämpften Region fliehen können, ist die Prüfung von Berichten schwierig. Der Bürgermeister von Mariupol berichtete über schwere Kriegsverbrechen und viele Tausend Todesopfer in der Stadt, was angesichts der Berichte aus Butscha und anderen Orten sowie der schweren Zerstörung von Mariupol plausibel erscheint.

Auch der Einsatz von C-Waffen erscheint angesichts der Angaben von prorussischen Kämpfern und dem brutalen Vorgehen Russlands zwar durchaus möglich, ist aber bislang nicht belegt.

Andere Ursachen gut möglich

Der Publizist Dan Kaszeta, der seit Jahren über Nervengifte und chemische Kampfstoffe schreibt, weist auf Twitter darauf hin, dass die bisherigen Angaben nicht ansatzweise ausreichten, um die Situation zu beurteilen. So müssten die Symptome genau untersucht werden. Atemprobleme könnten auch viele andere Ursachen haben - insbesondere in einem Kriegsgebiet wie Mariupol.

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