Interview

Parlamentswahlen in Pakistan Die antiamerikanische Karte spielen

Stand: 10.05.2013 11:13 Uhr

Kein Wasser, kein Strom, keine Arbeit und kaum ein Tag ohne Terroranschläge. So beschreibt der Wissenschaftler Conrad Schetter die Lage vieler Pakistaner vor der Wahl am Samstag. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, warum die Atommacht Pakistan trotzdem nicht auseinanderbricht.

tagesschau.de: Wie würden Sie die politische Lage in Pakistan vor der Wahl skizzieren?

Conrad Schetter: Äußerst destabil. Es gibt enorm viele Konflikte, die sich alle überlagern - und am Wahltag sind sie alle gleichzeitig Thema.

Conrad Schetter
Zur Person
Conrad Schetter ist Director for Research am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC) und lehrt Friedens- und Konfliktforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie in Bonn. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren wissenschaftlich mit Afghanistan und hat verschiedene Publikationen und Bücher zum Land und seinen Konflikten veröffentlicht.

tagesschau.de: Welche Konflikte sind das?

Schetter: Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, am stärksten kommen diese wohl in der Megastadt Karatschi zum Ausdruck. Es herrschen Konflikte zwischen Säkularen und Islamisten, ganz besonders den Taliban, zudem zwischen Militär und Demokraten, zwischen Landlords und einer aufstrebenden neuen Elite. All diese Konflikte bestimmen diese Wahlen mit.

tagesschau.de: Was ist das Besondere an dieser Wahl?

Schetter: Erstmals hat in der Geschichte Pakistans eine Regierung eine volle Legislaturperiode überstanden. Das gab es seit der Gründung 1947 noch nicht. Zudem kann mit Imran Khan ein neuer politischer Spieler an die Macht kommen - und nicht nur die immer gleichen Parteien.

tagesschau.de: Ist dies nicht ein Zeichen für eine wachsende Stabilität, wenn eine Regierung erstmals durchhält?

Schetter: Das könnte man auf den ersten Blick meinen, auf der anderen Seiten hatten wir es bei der Pakistan People's Party (PPP) mit einer Regierung zu tun, die als äußerst schwach galt, über die hergezogen wurde, die gepackt war von Skandalen. Die Menschen haben sich gewundert, dass es diese Regierung überhaupt noch gibt. Die Regierung hat vor allem deshalb überlebt, weil sich das Militär zurückgehalten hat.

tagesschau.de: Der Wahlkampf wurde durch Terroranschläge überschattet. Sind unter diesen Umständen überhaupt reguläre Wahlen möglich?

Schetter: Es wird nicht unbedingt eine sehr hohe Wahlbeteiligung geben, aber die Menschen werden sich nicht von den Anschlägen abschrecken lassen. Es wird sicherlich auch am Wahltag zu Angriffen kommen, etwa auf Wahlbüros. In Städten wie Lahore dürfte es eher friedlich bleiben, in Karatschi hingegen dürfte es in einigen Vierteln zu Gewalt kommen.

tagesschau.de: Sie sprachen von einer neuen Elite in Pakistan. Was zeichnet diese aus und ist der ehemalige Cricket-Star Khan ihr Kandidat?

Schetter: Anders als vor 20 oder 30 Jahren gibt es in Pakistan mittlerweile eine sehr starke urbane Elite. Das sind Menschen, die Universitäten besuchen, die westlichen Medien gegenüber aufgeschlossen sind, die andererseits aber auch ihre religiöse und pakistanische Identität suchen. Diese Menschen bedient Khan. Er genießt als ehemaliger Cricket-Star ohnehin ein sehr hohes Ansehen. Khan gibt sich sehr religiös, gleichzeitig aber auch aufgeschlossen gegenüber westlichen und weltlichen Dingen. Diese Kombination macht ihn interessant.

tagesschau.de: Wird sich Khan tatsächlich gegen die alten großen Parteien durchsetzen können?

Schetter: Ich denke, dass sich die Pakistan Muslim League (PML) durchsetzen wird. Zwar wird es wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Letztendlich wird es Khan wohl nicht schaffen, an Nawaz Scharif vorbeizuziehen, da die PML in der bevölkerungsreichsten Provinz des Landes, in Punjab, ihre Anhänger mobilisieren kann.

Antiamerikanismus als gesellschaftlicher Kitt

tagesschau.de: Sie haben die Konflikte aufgeführt, die in Pakistan toben. Gibt es denn auch Themen oder Feindbilder, die die Gesellschaft einen?

Schetter: Ja, und das ist nicht nur typisch für Pakistan: Es gibt einen ungebrochenen Antiamerikanismus. Ein Gefühl, dass sich die Amerikaner in die pakistanischen Angelegenheiten einmischen. Dieses entsteht auch sehr stark durch den Einsatz der Drohnen durch die USA. Dieser Antiamerikanismus spielt bei den Wahlen eine große Rolle - und Khan ist derjenige, der immer wieder die antiamerikanische Karte spielt.

tagesschau.de: Einerseits also der Kandidat einer neuen Elite, die westlichen Medien gegenüber aufgeschlossen ist, andererseits ein starker Antiamerikanismus - wie passt das zusammen?

Schetter: In Pakistan passen viele Dinge nicht zusammen. Die Pakistanis verheddern sich oft in Widersprüchen. Allerdings wird differenziert zwischen Amerikanern und Europäern. Der politische Antiamerikanismus, der in den vergangenen zehn Jahren stark gewachsen ist, wird unterschieden von beispielsweise westlicher Technologie, mit der man umgeht.

Rasante Annäherung an Indien

tagesschau.de: Welche Rollen haben die Beziehungen zu Indien im Wahlkampf gespielt?

Schetter: Das ist faszinierend: Trotz Waffenklirrens gibt es eine rasante Annäherung zwischen Pakistan und Indien - gerade auf der wirtschaftlichen Ebene. Besonders Ex-Premier Scharif und seine Partei Pakistan Muslim League (PML-N) positionieren sich sehr stark mit einem ökonomischen Programm und wollen eine stärkere Annäherung an Indien. Etwas sanfter, aber in eine ähnliche Richtung geht die PPP. Die beiden großen Parteien wollen sich also weiter an Indien annähern.

tagesschau.de: Warum?

Schetter: Man hat in den vergangenen 15 Jahren zuschauen müssen, wie der Konkurrent Indien rasant an Pakistan vorbeizog. Gleichzeitig gibt es enorme Wachstumsmärkte, wenn man bereit ist, mit den Indern zu kooperieren. Außerdem möchte Pakistan seine Güter stärker in Indien absetzen. Auf der ökonomischen Ebene herrscht es ein großes Drängen, besonders von Geschäftsleuten, das Verhältnis weiter zu verbessern. Die Inder haben an den Grenzen bereits Hallen und Grenzposten aufgebaut, weil sie davon ausgehen, dass der Handel mit Pakistan deutlich ansteigen wird. Das wäre eine historische Veränderung.

tagesschau.de: Was sind die wichtigsten Probleme in Pakistan selbst?

Schetter: Die hohe Arbeitslosigkeit, aber auch die Probleme mit der Energie- und Wasserversorgung. Große Städte haben tagelang keinen Strom. Das sind Themen, die in der pakistanischen Presse eine große Rolle spielen. In den gebildeteren Kreisen wird zudem über das Problem der Talibanisierung gesprochen. Ein drittes großes Problem ist Karatschi; eine Megastadt mit mehr als 20 Millionen Einwohnern, die zunehmend außer Kontrolle gerät. Es herrschen weitere Konflikte in Unruhegebieten und an den Grenzen. Das Land wird geschüttelt von Krisen und Problemen.

"Pakistan wird nicht auseinanderbrechen"

tagesschau.de: Fürchten Sie, dass die Atommacht Pakistan auseinanderbricht?

Schetter: Seit der Gründung 1947 befindet sich Pakistan in zahlreichen Krisen - es ist so erfahren im Konfliktmanagement, wie kein anderes Land der Welt. Ich glaube nicht, dass Pakistan auseinanderbricht. Allerdings müssen wichtige ökonomische Fortschritte folgen, damit das Land eine wirtschaftliche Zukunft hat. Pakistan ist kein armes Land, es verfügt über enorme Ressourcen, hat eine große agrarpolitische Macht. Politisch ist es aber wichtig, die Föderalstaaten in eine neue Balance zu bringen.

tagesschau.de: Letztendlich lebt Pakistan also von seinen Widersprüchen?

Schetter: Den Widersprüchen begegnet man in Pakistan andauernd. Dazu gehört auch die Frage, was macht die Pakistanis eigentlich aus? Welche nationale Identität gibt man sich? Sind es Südasiaten, die Muslime sind - oder ist es der muslimische Staat in Südasien? Die Frage nach der Rolle der Religion in der Gesellschaft spielt eine enorm große Rolle. Pakistan bleibt das Land der Widersprüche.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de

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