Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen

Interview mit Ministerin von der Leyen "Ein historischer Schritt"

Stand: 13.11.2017 15:28 Uhr

"Europa hat sich bei der Rüstung verzettelt", sagt Ministerin von der Leyen im Interview mit dem ARD-Studio Brüssel. Mit der Verteidigungskooperation "PESCO" soll sich das ändern. Die Ministerin hofft auf effizientere Strukturen - und sieht den Grundstein für eine Sicherheitsunion gelegt.

ARD: Warum ist es nötig, diese Einheit zu bilden, und wie bedeutend ist dieser Schritt?

Ursula von der Leyen: Das ist heute ein historischer Schritt. Denn die gemeinsame europäische Verteidigung war mal ein Gründungsgedanke der Europäischen Gemeinschaft, dann hat er 60 Jahre lang brach gelegen. Vor eineinhalb Jahren haben wir eine deutsch-französische Initiative auf den Weg gebracht, um diese gemeinsame europäische Verteidigung wiederzubeleben. Heute legen wir den Grundstein für eine Europäische Verteidigungs- und Sicherheitsunion.

ARD: Ist ein Grund auch, dass in Europa viel zu viel unterschiedliches, nationales Gerät beschafft wird?

Von der Leyen: In der Vergangenheit hat sich Europa bei der Rüstung immer verzettelt. Wir haben zum Beispiel 20 verschiedene Typen von Kampfflugzeugen, das heißt 20 Mal unterschiedliche Ersatzteile, das heißt 20 Mal Techniker und Piloten speziell ausbilden, das ist unglaublich ineffizient und kostet. Wir wollen jetzt das Gemeinsame voranbringen. Da braucht es natürlich am Anfang Investitionen, aber wir werden auf die Dauer Ersparnisse haben und kosteneffizienter sein.

"Armee der Europäer"

ARD: Was ist denn eins der Projekte, das Deutschland ganz dringend vorantreiben will? Sie haben Kampfflugzeuge angesprochen, könnte dabei am Ende auch ein europäisches Kampfflugzeug rauskommen?

Von der Leyen: Für uns in Deutschland ist vor allem die Zusammenarbeit wichtig, also dass wir eine Truppe aufstellen, die "Armee der Europäer", die, wenn es eine Krise gibt, wenn Europa gefragt ist, schnell einsatzfähig ist. Wir haben es in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass, zum Beispiel bei Ebola, wir Europäer helfen wollten. Aber wir konnten es nicht, weil wir nicht die Möglichkeiten hatten. Also ist jeder alleine losgelaufen. Wenn wir in Zukunft eine gemeinsame Truppe, wenn wir ein verlegbares  Krankenhaus, wenn wir die Transportmöglichkeiten haben, um schnell zu reagieren, dann sind wir auch in der Lage, die Verantwortung zu übernehmen, die Europa gerne in seiner Nachbarschaft tragen möchte.

ARD: Hat diese Gründung jetzt auch damit zu tun, dass der amerikanische Präsident den Europäern mehr Verantwortung geben will für das Militär in Europa?

Von der Leyen: Wir haben den Schwung für diese gemeinsame deutsch-französische Initiative eigentlich durch zwei negative Ereignisse im vergangenen Jahr bekommen. Einerseits durch den Brexit - die Briten haben mehr Europa lange blockiert. Und andererseits durch die Wahl des amerikanischen Präsidenten, nach der allen Europäern klar wurde: Wir müssen selbstständig unsere Sicherheit und Verteidigung in die eigenen Hände nehmen, denn die Probleme, die Europa in seiner Nachbarschaft hat, wird uns keiner abnehmen. Die müssen wir schon selber angehen und dafür Lösungen finden.

ARD: Es gibt diese "Koalition der Willigen" nicht umsonst. Man muss sich zum Beispiel verpflichten, die Verteidigungsausgaben regelmäßig zu erhöhen. Eine Verpflichtung ist auch, schneller Truppen für EU-Missionen zur Verfügung zu stellen. Könnte das für die Bundesregierung, vielleicht auch für die Koalitionsgespräche, ein Problem werden, weil der Parlamentsvorbehalt möglichweise zum Hindernis werden könnte?

Von der Leyen: Zwei Dinge sind ganz wichtig, die wir intensiv auch mit allen Europäern besprochen haben: Es ist selbstverständlich, dass das deutsche Parlament darüber entscheidet, wie der Haushalt und damit die Verteidigungsausgaben sich entwickeln. Und das zweite ist: Natürlich entscheiden die nationalen Parlamente, ob Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz geschickt werden. Das ist auch wichtig, denn für einen Einsatz, auch einen europäischen Einsatz, braucht es den Rückhalt der Bevölkerung und den Rückhalt der Parlamente. Das ist ganz entscheidend.

"Auf Dauer effizienter"

ARD: Was kostet das den deutschen Steuerzahler?

Von der Leyen: Wenn jedes Land alleine sein kleines Ding macht, dann wird es ineffizient und teuer und erschwert die Zusammenarbeit. Wenn wir uns zusammentun als Europäer, dann müssen wir zu Anfang in das Gemeinsame investieren. Zum Beispiel in ein gemeinsames Flugzeug, zum Beispiel in die gemeinsame Truppe. Aber auf die Dauer kommt über die große Zahl die Effizienz und die Kostenersparnis und insofern ist es viel, viel besser gemeinsam als Europäer aufzutreten, ganz unabhängig davon, dass es auch für die politische Handlungsfähigkeit sinnvoller ist.

ARD: Sie hatten eben mit Blick auf die Zukunft von der Armee der Europäer gesprochen, bewusst nicht von der EU-Armee. Was ist der Unterschied?

Von der Leyen: Eine "Armee der Europäer", das bedeutet, dass unsere nationalen Parlamente mit starkem politischen Willen hinter ihr stehen und Entscheidungen treffen, denn es ist eine hohe Verantwortung, Soldatinnen und Soldaten in Einsätze zuschicken. Das sind gefährliche Einsätze, und da brauchen wir den breiten Rückhalt der Bevölkerung.

ARD: Sind Sie sich sicher, dass es nicht doch in zehn oder 20 Jahren eine EU-Armee geben wird?

Von der Leyen: Man soll nie nie sagen. Aber jetzt ist der erste Schritt die Gründung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. Und über die Mittelfrist erst die "Armee der Europäer".

Das Gespräch führten Bettina Scharkus und Kai Küstner, ARD-Studio Brüssel

Das Interview führte Bettina Scharkus, ARD Berlin und Kai Küstner, ARD Brüssel

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