US-Wahl 2024

Donald Trump nach dem Wahlsieg im November 2016
Analyse

Rennen ums Weiße Haus Schafft Trump es doch noch mal?

Stand: 27.10.2020 14:48 Uhr

Eine Woche vor der Wahl liegt US-Präsident Trump in den Umfragen deutlich hinter seinem Herausforderer Biden. Aber auch vor vier Jahren war er der Außenseiter. Wie wahrscheinlich ist ein zweiter Trump-Triumph?

Eine Analyse von Fabian Grabowsky, tagesschau.de

Wie schlecht waren die Umfragen 2016 wirklich?

Mit einem solchen Knaller wie vor vier Jahren in den USA endete wohl keine Wahl der jüngeren Vergangenheit. Donald Trump war Überraschungssieger und die Experten blamiert. Der Wahlabend wirkt bis heute nach: Eine aktuelle Umfrage der Quinnipiac-Universität ergab, dass immerhin 42 Prozent der Befragten trotz eines klaren Trump-Umfragenrückstands an seinen erneuten Sieg glauben.

Aber warum hatten die Umfragen 2016 dermaßen danebengelegen?

Die Antwort ist komplex, denn auf nationaler Ebene taten sie das quasi nicht. Direkt vor der Wahl sahen beispielsweise die US-Datenjournalisten von FiveThirtyEight (FTE) Hillary Clinton mit 3,9 Punkten vor Trump - am Ende lag sie 2,1 Punkte vorn. Das geht als normale statistische Unschärfe durch.

Weit jenseits solcher Unschärfen lagen dagegen die Umfragen auf Bundesstaateneben daneben - vor allem im Mittleren Westen. In Wisconsin wurde so aus einem durchschnittlichen Umfrage-Vorsprung Clintons von 5,4 Punkten und einem fest eingeplanten Sieg ein knapper Trump-Erfolg.

Kann sich das 2020 wiederholen?

Ja. Aber auch den Umfrageinstituten fiel natürlich auf, dass ihr Ruf unter der 2016er-Wahl bedrohlich litt und diese ihr Geschäftmodell infrage stellen könnte. Für die "Shy Trumpers"-Theorie, wonach Trump-Wähler sich in den Umfragen aus Sorge vor negativen Reaktionen nicht zu erkennen gegeben hatten, fanden sie in einer anschließenden Studie keine Belege. Ein Problem war hingegen: Viele entschieden sich kurz vor der Wahl für Trump, als es keine Umfragen mehr gab. Und die Branche identifizierte vor allem den überdurchschnittlichen Anteil meist linksliberaler Akademikerinnen und Akademiker unter den Antwortenden als Fehler - deswegen seien die Umfragewerte zugunsten Clintons verzerrt gewesen. Tatsächlich waren die Umfragen zwei Jahre später bei den Kongresswahlen 2018 dann treffsicherer.

Ob die Fehler aber komplett behoben sind? Und auch neue Fehler sind denkbar. Allerdings kann niemand sagen, wie groß der Effekt gegebenenfalls wäre - und nicht immer müssen die Umfragewerte eine Pro-Demokraten-Verzerrung haben: Barack Obama schnitt bei seiner Wiederwahl 2012 zum Beispiel viel besser ab als in den Umfragen.

Die "New York Times" hat auf Basis der aktuellen Umfragen berechnet, wie die Wahl ausginge, wären die Umfragefehler zulasten Trumps so groß wie 2016. Antwort: Biden gewänne trotzdem deutlich, mit 319 der 538 Stimmen im Electoral College.

So ist die Lage landesweit

Aktuell führt Biden auf US-Ebene jedenfalls deutlich. FTE taxiert seinen durchschnittlichen Umfragevorsprung mit 9,4 Prozentpunkten, die Umfragen- und Wahlanalysten bei RealClearPolitics (RCP) bei 7,8 Punkten.

Zum Vergleich: Clintons Vorsprung war am Wahltag ungefähr halb so groß - ihr größter Tagesvorsprung überhaupt lag laut RCP-Berechnung bei 7,4 Punkten. Obama siegte 2012 mit 3,9 Punkten Vorsprung und 2008 mit 7,4 Punkten.

Bidens Vorsprung ist auch stabil. Im vergangenen Vierteljahr war er laut Berechnungen von RCP immer mindestens sechs Punkte groß. Auch das ist ein deutlicher Unterschied zum Auf und Ab des 2016er-Wahlkampfs.

Und so ist die Lage in den Bundesstaaten

Entscheidend für den Wahlausgang werden aber nicht die landesweiten Werte sein, sondern das Electoral College. Dieses Gremium setzt sich aus Wahlleuten der Bundesstaaten zusammen. Entscheidend ist also, wer wo gewinnt - im Prinzip ist eine US-Präsidentschaftswahl also die Summe von 51 Einzelwahlen.

Und auch hier gilt: Vorteil Biden.

Klassische Swing States: In Florida sehen die meisten Experten aktuell Biden leicht im Vorteil. Ohne den bevölkerungsreichen Staat wird Trump sehr schlechte Chancen haben. Allerdings war Florida einer der wenigen Staaten, wo die Demoskopen 2016 und auch bei der Kongresswahl 2018 danebenlagen. Ohio galt 2016 als ein Paradebeispiel dafür, dass enttäuschte weiße Obama-Wähler zu Trump übergelaufen waren. Aktuell gilt das Rennen aber wieder als ausgeglichen. Ähnlich wie Ohio gab es in 2016 in Iowa einen dramatischen "Swing" zu den Republikanern. Aktueller Stand: ausgeglichen, mit leichtem Vorteil Biden.

Biden-Vorsprung in Prozentpunkten (Stand 26.10.)
FTE RCP "NYT" "Economist"
Florida 2,3 1,8 3 4
Ohio -1,5 -0,6 -2 -1
Iowa 1,3 0,8 3 0

Als "Blue Wall" galten 2016 jene seit Jahrzehnten demokratisch (= blau) wählenden Staaten im Mittleren Westen, die Clinton unbedingt gewinnen musste: Minnesota, Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Sie gewann dann nur in Minnesota. Aktueller Stand: Biden führt in allen Staaten, in manchen deutlich. Wenn er diese Staaten zusätzlich zu den Clinton-Staaten von 2016 holt, hat er gewonnen.

Biden-Vorsprung in Prozentpunkten (Stand 26.10.)
FTE RCP "NYT" "Economist"
Minnesota 8,1 6 9 9
Wisconsin 7,1 5,5 7 8
Michigan 8,3 9 9 8
Pennsylvania 5,1 4,8 6 6

Ehemals sichere Republikaner-Staaten: Biden hat zusätzlich auch in Staaten Chancen, die in den vergangenen Jahrzehnten immer oder fast immer republikanisch gewählt haben. Ein Sieg in Arizona, North Carolina oder Georgia ist möglich, im republikanischen Paradestaat Texas zumindest denkbar.

Biden-Vorsprung in Prozentpunkten (Stand 26.10.)
FTE RCP "NYT" "Economist"
Arizona 2,9 2,4 4 3
North Carolina 2,5 1,2 3 3
Georgia 0,4 -0,4 <1 0
Texas -1,2 -3,2 -3 -3

Die meisten dieser Vorsprünge sind allerdings nicht so groß, dass sie einen normalen Umfragefehler ausglichen. Aber Trump ist fast überall in der Defensive. Und: Clintons Werte sahen 2016 meist ähnlich aus. Experten halten die damaligen und die heutigen Umfragen wegen der methodischen Änderungen aber für wenig vergleichbar.

Was sonst noch anders ist

Beliebtheitswerte gelten als einer der zuverlässigsten Indikatoren für den Ausgang einer Präsidentschaftswahl. Vor vier Jahren errechnete RCP direkt vor der Wahl einen durchschnittlichen Clinton-Wert von -12,6 Punkten (Zustimmung minus Ablehnung) und für Trump von -21 Punkten. Auch Trumps Präsidentschaft wird - abgesehen von dem direkten Beginn - negativ beurteilt. Aktuell sehen die Beliebtheitswerte so aus: Trump kommt auf -12,2 Punkte - Biden aber auf aktuell +5,2, viel mehr als Clinton vor vier Jahren.

Kaum Unentschiedene: Auch weil Trump und Clinton 2016 unbeliebt waren, wussten viele Wählerinnen und Wähler bis kurz vor der Wahl nicht, wen sie wählen sollten. Das ermöglichte jene starke Bewegung zugunsten Trumps direkt vor der Wahl. Nach vier Jahren seiner Präsidentschaft aber gibt es viel weniger Unentschiedene, was eine massive Wanderung in den kommenden Tagen unwahrscheinlich macht. Hinzu kommt, dass schon mehr als 65 Millionen Stimmen abgegeben wurden.

Und wie geht die Wahl jetzt aus?

Angesichts all dieser Faktoren gehen die allermeisten Beobachter davon aus, dass Biden mit einem deutlichen Vorsprung im Electoral College rechnen kann.

Prognose für das Electoral College (Stand 26.10.)
RCP FTE "NYT" "Economist" CNN
Biden 232 344 320 334 290
Unsicher 181 55 40 85
Trump 125 194 163 166 163

Einige Experten haben wie bei den vergangenen Wahlen Modelle entwickelt, mit denen sie Siegeswahrscheinlichkeiten berechnen. Auch hier ist die Lage eindeutig: FTE gibt Biden eine 87-prozentige Chance, der "Economist" sogar 95 Prozent.

Trotzdem: Dabei geht es um Wahrscheinlichkeiten, nicht um Gewissheiten. Eine zwölfprozentige Sieg-Wahrscheinlichkeit für Trump - wie im FiveThirtyEight-Modell - bedeutet eine kleine, aber realistische Chance. Wer sein Haus weiß streichen lassen will, ginge nicht zu einer Malerfirma, die mehr als jedes zehnte Haus stattdessen mit grünen Gummibärchen bemalt.

Am Ende dürfe alles zwischen einem Erdrutschsieg Bidens und einem sehr knappen Trump-Sieg möglich sein. Wahrscheinlich aber liegt das Ergebnis irgendwo in der Mitte - Vorteil Biden.