interview

Ostafrika-Experte zu somalischer Miliz Al Schabaab - eine neue Form des Terrors

Stand: 25.09.2013 22:11 Uhr

Interne Machtkämpfe und Geldprobleme: Die Al-Schabaab-Miliz ist unter Druck. Ihren Anschlag in Nairobi wertet Ostafrika-Experte Engelhardt im tagesschau.de-Interview als Strategiewechsel und sagt, wie die somalischen Terroristen besiegt werden können.

tagesschau.de: Nach dem tagelangen Geiseldrama in Nairobi wird befürchtet, dass weitere Anschläge der Al Schabaab in Kenia folgen könnten. Rechnen Sie auch damit?

Marc Engelhardt: Es ist zumindest möglich. Es soll in den letzten Monaten bereits vier erfolgreich verhinderte Anschlagsversuche auf Ziele in Kenia gegeben haben. Nun, beim fünften Mal, konnten es die Sicherheitsbehörden nicht verhindern. Das Problem für die Zukunft ist allerdings, dass Kenia ein großes Land ist, das eine schwache Polizei hat.

Deshalb ist es kaum möglich, alle Ziele im Land zu schützen. Vor allem nicht alle "soft targets" - wie die Westgate Shopping Mall. Es spricht vieles dafür, dass sich Al Schabaab in Zukunft darauf konzentrieren wird. Hier werden viele Touristen getroffen und der Ruf Kenias im Ausland leidet.

Marc Engelhardt
Zur Person
Marc Engelhardt ist freier Journalist und Experte für Ostafrika. Zwischen 2004 und 2010 lebte er in Nairobi. Im vergangenen Jahr hat er ein Buch über Somalia veröffentlicht.

Annäherung an Al Kaida

tagesschau.de: Sind Anschläge auf solche "soft targets" denn ungewöhnlich für die Al-Schabaab-Miliz?

Engelhardt: Ja, durchaus. Bisher hat die Organisation eine andere Strategie gefahren. Die Form des Terrors, wie wir sie nun in Nairobi erlebt haben, ist eher von Al Kaida bekannt. Offenbar nimmt Al Kaida nun stärkeren Einfluss auf Al Schabaab. Dafür spricht auch die moderne Ausrüstung der Geiselnehmer von Westgate, die die Al Schabaab nicht ohne Hilfe des internationalen Terrorismus hätte beschaffen können.

tagesschau.de: Was ist denn der Grund für den Krieg der Miliz gegen Kenia?

Engelhardt: Das hat weniger mit Kenia selbst zu tun, als mit einem Führungsstreit innerhalb der Organisation. In den letzten eineinhalb Jahren ist Al-Schabaab-Chef Ahmed Abdi Godane - genannt Abu Zubeyr - extrem unter Druck geraten, weil die Miliz eine Reihe militärischer Niederlagen in Somalia hinnehmen musste. Durch den "erfolgreichen" Anschlag hat Abu Zubeyr nun Stärke demonstriert und seine Position gefestigt.

Terrorismus finanziert sich mit Schmuggel

tagesschau.de: Besonders die Hafenstadt Kismajo spielt für die Al Schabaab eine wichtige Rolle. Warum?

Engelhardt: In Kismajo hatte Al Schabaab lange das Kommando. Doch seitdem die Stadt von der kenianischen Armee eingenommen wurde, hat die Miliz große Geldprobleme. Es ist so, dass Al Schabaab viel Geld mit Schmuggel verdient hat. Alleine der Handel mit Holzkohle über den Hafen hat der Miliz schätzungsweise 40 Millionen Dollar pro Jahr eingebracht. Das ist eine riesige Summe, die den Terroristen jetzt fehlt. Ihre Aktivitäten sind teuer. In dem Moment, wo Al Schabaab kein Geld mehr hat, wird die Organisation schnell verschwinden. Deshalb ist es so wichtig, dass die kenianischen Truppen in Kismajo bleiben und nicht den Forderungen der Terroristen nachkommen, sich zurückzuziehen.

tagesschau.de: Sehen Sie denn Anzeichen dafür, dass sich Kenia dem Druck beugt?

Engelhardt: Für Somalia und die Region wäre es das Beste, wenn man sich jetzt nicht zurückziehen würde. Der kenianische Präsident hat ja bereits angekündigt: Jetzt erst recht. Das ist ein wichtiges Signal. Wenn es nun auch noch gelingen würde, drei kleinere Hafenstädte, die sich noch in der Hand der Terroristen befinden, ebenfalls einzunehmen, wäre damit ein wichtiger Erfolg errungen. Den Kampf gegen Al Schabaab wird man wirtschaftlich gewinnen, indem man ihnen den Geldhahn zudreht.

Die AMISOM-Mission in Somalia
Al Schabaab ist arabisch und heißt "Jugend". Die Organisation kämpft in Somalia gegen die Zentralregierung, aber auch gegen eine 18.000 Mann umfassende Interventionstruppe der Afrikanischen Union (AMISOM), an der auch 3000 Kenianer beteiligt sind. Die Soldaten sichern hauptsächlich die Hauptstadt Mogadischu und die Hafenstadt Kismajo. Al Schabaab hat sich in das Hinterland im Norden und Süden Somalias zurückgezogen.

Al Schabaab ist stark - immer noch

tagesschau.de: Wie stark ist die Organisation denn momentan?

Engelhardt: Die UN schätzen, dass ihr etwa 5000 Mann angehören. Das sind verhältnismäßig wenige Kämpfer. Durch diese Schwäche musste sich die Al Schabaab bereits aus vielen Regionen in Somalia zurückziehen. Zu einem offenen Krieg ist die Organisation ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage, das zeigt der Anschlag in Nairobi. Das bedeutet aber nicht, dass man Al Schabaab jetzt schon abschreiben sollte. Dass Al Schabaab es trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen in dem Einkaufszentrum in Nairobi geschafft hat, den Anschlag durchzuführen zeigt, wie stark sie immer noch sind.

tagesschau.de: Wie haben die Menschen in Somalia auf den Anschlag reagiert?

Engelhardt: Die somalische Regierung ist seit einem Jahr im Amt. Für sie war der Anschlag ein Schock. Auch die Menschen in Mogadischu, der Hauptstadt des Landes, unterstützen den Terror nicht. Das letzte Jahr war für sie ein Boomjahr, in dem sich die Stadt und das Land sehr positiv verändert hat.

tagesschau.de: Während der Geiselnahme waren die Täter bei Twitter sehr aktiv. Ist das die neue Kommunikationsform des Terrorismus?

Engelhardt: Es ist schon auffällig, wie intensiv Al Schabaab diese Kommunikationswege nutzt. Da wurden teilweise gezielt Meldungen gestreut, die den Geiselnehmern in die Hände spielten. Zum Beispiel von Nutzern, die sich nicht als Al-Schabaab-Sympathisanten zu erkennen gaben und sicherlich bei Polizei und Militär für Verwirrung sorgten.

Diese Form der Kommunikation ist meiner Meinung nach auf die Führung um Abu Zubeyr zurückzuführen. Das sind jüngere Leute, die mit der technischen Modernisierung sehr vertraut sind. Dadurch, dass auch die kenianische Regierung die sozialen Medien sehr intensiv genutzt hat, haben wir in Nairobi eine neue Form des Propaganda-Krieges erlebt.

Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de

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