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Rackete im Interview "Wir haben alles richtig gemacht"

Stand: 05.07.2019 18:00 Uhr

Die Kapitänin der "Sea-Watch 3", Rackete, steht zu ihrer Entscheidung, den Hafen in Lampedusa ohne Erlaubnis angesteuert zu haben. Sie habe keine Wahl gehabt, betont sie im Interview mit dem ARD-Magazin Panorama.

Panorama: Frau Rackete, wir treffen Sie hier auf Sizilien an einem geheimen Ort. Warum treffen wir Sie hier?

Rackete: Zum einen, weil am nächsten Dienstag noch eine weitere Anhörung stattfindet. Deswegen habe ich mich entschlossen, bis dahin in Italien zu bleiben.

Und zum anderen, weil es aufgrund der Ereignisse der vergangenen Woche auch mehrere Menschen gab, die sehr kritisch waren, die mich bedroht haben. Deswegen haben wir uns entschlossen, nicht öffentlich bekannt zu machen, wo ich mich befinde.

Panorama: Welche Drohungen erhalten Sie?

Rackete: Es gibt alle Arten: von körperlichen Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen.

Panorama: Es könnte sein, dass Sie über die Anhörung hinaus angeklagt werden. Stellen Sie sich dem?

Rackete: Ja, natürlich. Für den Fall, den wir nicht erwarten, dass eine Anklage zustande kommt, werde ich mich der selbstverständlich stellen, weil ich natürlich spätestens in einem Gerichtsverfahren mit einem Freispruch rechne.

Panorama: Warum haben Sie die Menschen vor der libyschen Küste gerettet, obwohl die libysche Küstenwache auch auf dem Weg zu diesem Rettungseinsatz war?

Rackete: Ja, tatsächlich hat die libysche Küstenwache die Koordinierung dieses Notfalls übernommen - per E-Mail. Wir haben darauf geantwortet und gefragt, wann die Küstenwache ankommen würde. Daraufhin haben wir interessanterweise erst eine Antwort erhalten, als wir an dem Notfall schon dran waren.

Es ist ganz klar: In dem Moment, wo man weiß, dass es irgendwo einen Notfall gibt, hat man eine Pflicht, zu helfen. Wir sind also hingefahren und waren einfach das erste Schiff, das angekommen ist.

Als wir die Menschen alle an Bord hatten und und wussten, wie viele Kinder, Frauen oder Verletzte darunter sind, haben wir eine E-Mail an vier verschiedene Länder geschrieben: an die libysche Küstenwache, die ja die Koordination übernommen hatte, an Italien, weil es den nächsten sicheren Hafen hat, an Holland, weil das unser Flaggenstaat ist und an Malta, eher pro forma, weil es auch ein sicherer Hafen in der Nähe ist.

Und wir hatten darum gebeten, dass die Koordinierung eines sicheren Hafens abgesprochen wird. Darauf meldete sich dann erst am späteren Abend die libysche Küstenwache und hat uns vorgeschlagen, nach Tripolis zu fahren. Das konnten wir ganz klar nicht annehmen, dazu gibt es viele Gerichtsurteile. Es verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, und auch die EU-Kommission hat klar gesagt, dass Libyen - das ganze Land Libyen - keine sicheren Häfen besitzt. Es handelt sich schließlich um ein Bürgerkriegsland.

Panorama: Wie haben die anderen Länder darauf reagiert, als Sie abgelehnt haben, die Geflüchteten zurück nach Libyen zu bringen?

Rackete: Also reagiert haben die im Prinzip gar nicht. Wir sind die gesamten folgenden zwei Wochen immer wieder auf diese Mauer des Schweigens getroffen. Als wir dann konkret Anfragen an Italien und auch an Malta geschickt haben, und irgendwann später auch an Frankreich, haben wir immer nur ablehnende Antworten bekommen.

Panorama: Es stellt sich die Frage, warum Sie nicht einen Hafen in Tunesien oder Marokko angefahren sind. Das sind immerhin Länder, wo andere Menschen auch Urlaub machen.

Rackete: Menschen, die da Urlaub machen, sind Touristen. Wir haben Menschen mit sehr speziellen Lebensgeschichten an Bord - und es gibt in Tunesien kein geordnetes Asylsystem. Amnesty International befindet, dass es dort kein sicherer Hafen ist, aufgrund der Umstände, die Flüchtlinge dort erleben.

Panorama: Sie haben dann entschieden, doch in den Hafen von Lampedusa einzufahren - ohne Erlaubnis. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen?

Rackete: Diese Entscheidung hat sich auf der Expertise der Crew begründet, auch auf die Expertise der Mediziner, die mir gesagt haben, dass die Situation jeden Tag nur schlimmer wird und wir viele Menschen an Bord haben, die wir nicht behandeln können. Auch die psychologische Lage wurde desolat. Das erlebten Crew-Mitglieder, die tagtäglich mit den Menschen rund um die Uhr in Kontakt waren und die Leute schon kannten.

Einige der Migranten haben sich an uns gewandt und uns praktisch um Überwachung gebeten, da sie Suizidgedanken hätten. Es gab Androhungen, über Bord zu springen. Es wurden Hungerstreiks angedroht. Es war wirklich so, dass die Lage an Bord psychologisch irgendwann extrem zugespitzt war und wir an dem Punkt waren, dass wir mit dem gesamten Team die Sicherheit der Menschen nicht mehr garantieren konnten.

Panorama: Als Sie in den Hafen von Lampedusa eingefahren sind, haben Sie ein Polizeischiff gerammt. Haben Sie Menschen gefährdet?

Rackete: Das war ein Unfall. Das ergibt sich auch klar aus den Videoaufnahmen. Es gab natürlich zu keinem Zeitpunkt irgendeine Kollissionsabsicht. Das Boot der Guardia di Finanza hat sich uns aktiv in den Weg gestellt, als wir an dem Pier anlegen wollten.

Panorama: Was glauben Sie, wie sieht die Zukunft von zivilen Seenotrettungsorganisationen aus?

Rackete: Ich erwarte mir ein richtungsweisendes Urteil. Das haben wir im Prinzip am Dienstag schon erhalten, weil es feststellt, dass das Recht des Menschen auf einen sicheren Hafen und dass die Menschenleben, die wir gerettet haben, wertvoller sind, als eben der Anspruch der Nationalstaaten auf ihre Territorialgewässer.

Panorama: Welche Konsequenzen ziehen Sie für sich ganz persönlich aus den vergangenen Wochen?

Rackete: Ich denke, dass wir auf dieser Mission alles richtig gemacht haben. Am Ende ist das Wichtige, dass wir diese insgesamt 53 Menschen gerettet und in einen sicheren Hafen gebracht haben.

Das Interview führte Nadia Kailouli. Sie und ihr Kollege Jonas Schreijäg hatten Rackete und ihr Team über mehrere Wochen auf der "Sea-Watch 3" begleitet.