Stoltenberg im Porträt Norwegens Premier - Groß in der Krise

Stand: 28.07.2011 16:00 Uhr

Er führt ein traumatisiertes Land, er hat Freunde verloren und sein Paradies aus Kindertagen: Norwegens Ministerpräsident Stoltenberg hätte allen Grund von Vergeltung zu sprechen. Doch seine Antwort auf die Anschläge lautet: "Wir bleiben ein offenes, ein demokratisches Land." Wer ist dieser Mann, der in der Krise so Großes leistet? Ein Porträt.

Von Tim Krohn, ARD-Hörfunkstudio Stockholm

"Wir bleiben ein offenes Norwegen, ein demokratisches Norwegen" - wie ein Mantra wiederholt Jens Stoltenberg diesen Satz immer wieder. Fast so, als wollte er die eigenen Zweifel daran übertönen. "Wir werden uns unsere Geborgenheit zurückerobern" - das ist noch so ein Stoltenberg-Satz. Man merkt, wie der einst so jugendlich wirkende Strahlemann in diesen Tagen zu kämpfen hat. Er will sein "altes" Norwegen zurück - aus tiefstem Herzen.

Schon ein paar Stunden nach den Anschlägen am vergangenen Freitag gab Stoltenberg die Richtung vor: "Heute ist Norwegen getroffen worden von zwei  schockierenden, blutigen und feigen Angriffen. Aber Norwegen steht jetzt zusammen." Er fuhr sofort raus zur Insel Ütöya, sprach mit Verletzten und Angehörigen, verbrachte die ganze Nacht mit Ihnen  -  auch wenn längst keine Kamera und kein Mikrofon mehr in der Nähe waren. Die Betroffenheit ist echt. So etwas merken die Menschen.

Partei und Politik seit Kindertagen

Stoltenberg selbst hat Freunde verloren. "Einer von denen, die es nicht mehr gibt, ist Tore Eikeland. Einer unserer talentiertesten Jugendpolitiker. Jetzt ist er tot. Das  ist nicht zu fassen", sagte Stoltenberg auf der Trauerfeier in Oslo. Tore und viele andere auf Utöya kannte er gut. Das Sommerlager der sozialdemokratischen Jugend dort sei sein Paradies gewesen. 

Kein Wunder. Die Partei und die Politik haben ihn von Kindertagen an begleitet. Sein Vater Thorvald Stoltenberg gehört zum Urgestein der norwegischen Sozialdemokratie. Er war Außenminister und Friedensschlichter auf dem Balkan.  Seine Mutter, seine Frau, alle in seiner Familie sind erfahrene Diplomaten. Auch wenn Jens sich anfangs noch sträubte - irgendwie war immer klar, was er später machen wird.

Kontrollierter Pragmatiker

Im Jahr 2009 gelang Stoltenberg der größte Triumph seiner Karriere. Zum ersten Mal seit 16 Jahren war einem norwegischen Regierungschef die Wiederwahl gelungen. Der kontrollierte Pragmatiker war endgültig angekommen. Ganz oben.

Aber kaum war das gelungen, fiel wieder mal einer dieser typischen Stoltenberg-Sätze: "Zunächst will ich den Wählern der anderen Parteien danken. Dafür, dass sie ihr demokratisches Recht wahrgenommen haben. Und wir sollten ihnen für ihre Wahl auch Respekt entgegenbringen." Toleranz, Respekt und Rechtsstaat - Stoltenberg kann gar nicht anders. So ist er nun mal.

Auch nach den Anschlägen bleibt er seiner Linie treu: Härtere Strafen, mehr Polizei oder gar "Vergeltung" - solche Worte passen einfach nicht zu dem 52-Jährigen. Norwegen hat viel verloren am vergangenen Freitag - aber einen  überzeugenden Landesvater gewonnen.