Union Jack hinter verregneter Scheibe
FAQ

Nach Rücktritten Worum geht es im Brexit-Streit?

Stand: 09.07.2018 18:14 Uhr

Gerade noch verkündete die britische Premierministerin May Einigkeit über den Brexit-Kurs - nun sind Außenminister Johnson und Brexit-Minister Davis zurückgetreten. Darum geht es beim Streit über den Brexit.

Wie gestalten sich die Verhandlungen?

Die Verhandlungen sind sehr zäh. EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprachen sich wiederholt für einen Verbleib Großbritanniens in der EU aus. Anfang des Jahres sagte Tusk im Europaparlament, falls die Briten ihre Meinung ändern sollten, seien "unsere Herzen weiter für sie offen". Juncker sagte, "dass unsere Tür nach wie vor offen steht". Nach dem Brexit könne Großbritannien jedoch nicht dieselben Rechte haben, die es als Mitglied hätte.

In den Verhandlungen ist es aus Perspektive der EU vor allem ein Problem, dass London keine einheitliche Position zum Brexit findet. Immer wieder werden Regierung und Unterhaus von den Lords im britischen Oberhaus zurechtgewiesen.

Die britische Premierministerin Theresa May spricht im Unterhaus des britischen Parlaments. (Archivbild vom 16.04.2018)

Theresa May im April im Unterhaus. Die Premierministerin hat kein Interesse, sich die Hände bei den Verhandlungen vom Parlament binden zu lassen.

Der Rechtswissenschaftler Matthias Ruffert von der Humboldt-Universität sagt im Gespräch mit tagesschau.de, dass das Oberhaus als zweite Kammer im Parlament seine Kontrollfunktion ausübe. Es scheinen laut Ruffert in der Kammer jedoch auch Kräfte zu wirken, die gegen den EU-Ausstieg Großbritanniens sind.

Weshalb sind Johnson und Davis zurückgetreten?

Die Motive von Johnson und Davis dürften unterschiedlich sein. Brexit-Minister David Davis war ein Vertreter eines harten Bruchs mit der EU. Premierministerin May hingegen strebt ein eingeschränktes Freihandelsabkommen mit Brüssel an - was zur Folge hätte, dass Großbritannien auch nach dem Austritt viele EU-Regeln akzeptieren müsste. Diese Verhandlungsposition hatte May in der vergangenen Woche in stundenlangen Beratungen in ihrem Kabinett durchgesetzt. Für Davis war dies nicht akzeptabel - er warf ihr in seinem Rücktrittsschreiben vor, das Land in eine "schwache Position" zu treiben. Der "neue Trend" der Brexit-Politik mache es unwahrscheinlicher, dass Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen werde. Insofern sei ein "begeisterter Anhänger Ihres Vorhabens" für das Ministeramt geeigneter als ein "widerwilliger Rekrut".

Johnson dagegen galt ursprünglich als pro-europäisch, wechselte aber vor dem Referendum ins Lager der EU-Gegner. Immer wieder wurde ihm unterstellt, er strebe das Amt des Premierministers an und ordne dieser Ambition alles unter. Als Außenminister stellte er sich zwar formell in die Kabinettsdisziplin, blieb aber dennoch unberechenbar. Den jüngsten Brexit-Plan von May soll er mit drastischen Worten abgelehnt haben. Der Rücktritt von Brexit-Minister Davids setzte ihn unter Zugzwang, sein kurz danach vollzogenen Rückzug dürfte auch ein Versuch sein, mit Konsequenz seine Position im Lager der harten Brexit-Befürworter zu bewahren.

Was bedeutet der Rückzug von Johnson und Davis für die Verhandlungen?

Der Rücktritt von Johnson und Davis gilt als heftiger Rückschlag für May. May muss nun mit einem noch härteren Widerstand des Brexit-Flügels ihrer Partei rechnen. Etwa 60 Abgeordnete in ihrer Fraktion werden dazugezählt. Sollten weitere Regierungsmitglieder ihren Hut nehmen, könnte sie das in ernsthafte Bedrängnis bringen. Ein Sturz der Premierministerin scheint nicht ausgeschlossen. Und mit Johnson hat sich ein potentieller Nachfolger in Stellung gebracht - wenn die Gegner von May genügend Stimmen sammeln können, um ein Misstrauensvotum zu starten. Davis wiederum schloss eine Kandidatur aus.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Im März 2017 stellte die Regierung in London den Antrag auf Austritt. Im März 2019 soll dem Artikel 50 des EU-Vertrages entsprechend der Brexit vollzogen werden. Ein Mal im Monat treffen sich der EU-Chefunterhändler Michel Barnier und Großbritanniens Brexit Beauftragter - künftig wird das Amt Dominic Raab von den Konservativen übernehmen - in Brüssel und besprechen das Fortkommen. Im Herbst soll eine Übereinkunft hergestellt sein.

Der Jurist Michl rechnet aber nicht damit, dass der Fahrplan bis zum Austritt im März 2019 eingehalten werden kann. Das sei schon nicht möglich, weil alle EU-Länder einen Austrittsvertrag, der über die grundlegendsten Trennungsfolgen hinausgeht, ratifizieren müssen, sagt er.

Um zumindest Unternehmen eine gewisse Sicherheit zu geben, wurde im vergangenen März eine Übergangszeit für den Zugang Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion vereinbart. Sie gilt bis Ende 2020.

Worin besteht der Streit zurzeit im Kern?

Noch nicht gänzlich geklärt ist der künftige Status der EU-Bürger in Großbritannien. Vor allem aber geht es in den Gesprächen zurzeit um die Zukunft der Grenze zwischen Nordirland und Irland - also der einzigen zukünftigen Landgrenze zwischen der EU und Großbritannien. Wie durchlässig soll sie sein? Was bedeutet eine Grenze für eine mögliche Zollunion mit der EU, wenn Großbritannien wie geplant den EU-Binnenmarkt verlassen hat?

Grenze Irland und Nordirland

Grenzstraße zwischen Irland und Nordirland. Monatlich fahren nach Angaben der irischen Regierung mehr als 1,8 Millionen Mal Autos über die grüne Grenze beider Staaten.

Für die Briten sind die Fragen unangenehm, weil sie entweder Auswirkungen auf das irisch-nordirische Verhältnis haben oder die Integrität Großbritanniens berühren. Auch deshalb räumte die EU-Kommission den Verbleib im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion bis Ende 2020 ein. Aber die Regelung verschiebt die Problematik nur.

Woran könnten die Gespräche scheitern?

Eigentlich seien die meisten Streitpunkte schon durchverhandelt, sagt Ruffert. "Es kommt allein darauf an, ob sich die Irland-Frage lösen lässt", so der Rechtswissenschaftler. Es sei schlicht nicht möglich, sie zu lösen, ohne dass einer der Beteiligten schwerwiegende Zugeständnisse mache.

Eine durchlässige Grenze zwischen Irland und Nordirland ist Teil des Karfreitagsabkommens von 1998, das eine weitreichende Annäherung zwischen den beiden Staaten auf der irischen Insel ermöglichte und den Nordirland-Konflikt befriedete.

Die Regierung in London schlug vor, zeitlich befristet auch nach 2020 die Regeln der Zollunion anzuwenden, sollte bis dahin keine Lösung gefunden werden. Barnier Gegenvorschlag lautet, die Grenze der EU-Zollunion zwischen der irischen Insel inklusive Nordirland und der britischen Insel zu ziehen. Damit bliebe der Status quo der irischen Grenze unangetastet. Premier May sagte jedoch wiederholt, dass sie niemals eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs akzeptieren werde. Auch die nordirische Partei DUP, die Mays Minderheitsregierung stützt, würde dem wohl kaum zustimmen, so Ruffert.

Welche Aussicht auf Erfolg haben die Verhandlungen?

"Die Verhandlungen dauern so lange, wie verhandelt wird", sagt Ruffert. Er glaube nicht, dass die Unterhändler vor dem 29. März fertig werden, sondern erst in der letzten Nacht eine Einigung erzielen. Und danach würde es, wie schon vereinbart, eine Übergangsfrist geben.

Ähnlich äußert sich auch Michl. "Zurzeit ist es nicht möglich, die Verhandlungen abzuschließen, da es keine einhellige Meinung in Großbritannien gibt", so der Rechtswissenschaftler. Er vermutet, dass sich die Beteiligten noch vor dem Austrittstermin pauschal auf ein Übergangsabkommen einigen werden, in dem der Status quo eingefroren wird, um weiter verhandeln zu können. "Die britische Regierung braucht Zeit", sagt Michl.

Wann auch immer eine Einigung kommt und wie sie dann aussieht - klar scheint zu sein, dass der Austrittstermin am 29. März 2019 nicht mehr zu halten ist.

Was würde nach einem Scheitern der Verhandlungen folgen?

Laut Artikel 50 des EU-Vertrags würde für Großbritannien die Mitgliedschaft zwei Jahre nach Antrag auf EU-Austritt automatisch erlöschen. Das wäre also am 29. März 2019. Je länger die Zeit bis zu diesem Datum voranschreitet, desto stärker wird der Druck auf die Regierung in London.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier mit David Davis in Brüssel

EU-Chefunterhändler Barnier, rechts, mit Großbritanniens Beauftragten Davis in Brüssel. Je länger die Zeit voranschreitet, desto stärker der Druck auf London.

Aussagen von EU-Diplomaten zufolge könnte Großbritannien möglicherweise eine Verlängerung der Brexit-Verhandlungen beantragen. Ein Antrag sei jedoch nicht zwingend, sagt Ruffert. Eine Verlängerung der Verhandlungen sei auch im Einvernehmen mit Großbritannien möglich. In jedem Fall müssten jedoch die Staats- und Regierungschefs der 27 verbleibenden EU-Mitglieder einem solchen Antrag zustimmen - einstimmig.

Mit Informationen von Günter Marks, tagesschau.de

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