Rechtsstaat und Flüchtlinge Juncker will Polen nicht die Gelder kürzen

Stand: 09.01.2018 05:31 Uhr

Spätestens seit der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Polen ist das Verhältnis zwischen der EU und dem Land auf dem Tiefpunkt. Vor einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki erklärt Kommissionschef Juncker im ARD-Interview, wie er die Wogen glätten will.

Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit und die Aufnahme von Flüchtlingen hat sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dagegen ausgesprochen, Polen die milliardenschweren Fördergelder zu kürzen. "Ich bin nicht in der Stimmung, wilde Drohungen auszustoßen. Ich hätte gern, dass wir uns vernünftig miteinander unterhalten", sagte Juncker im Interview mit dem ARD-Europamagazin.

Heute reist der neue polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zu einem Gespräch mit Juncker nach Brüssel. Die EU-Kommission hatte kürzlich ein historisch einmaliges Verfahren gegen Polen eingeleitet, an dessen Ende dem Land die Stimmrechte in der EU entzogen werden könnten. Grund ist unter anderem ein Gesetz, mit dem der polnische Justizminister ohne Angaben von Gründen Richter absetzen kann. Für die EU-Kommission besteht damit in Polen keine unabhängige Justiz mehr.

"Nicht in kriegerischer Stimmung"

Juncker erklärte, er werde sich bei dem Treffen um ein Klima bemühen, in dem Polen und die EU wieder aufeinander zugehen. "Ich bin nicht in kriegerischer Stimmung", so Juncker. Um Druck auf Polen aufzubauen, sei die Kürzung von Fördergeldern der falsche Weg: "Das ist schwierig, weil man darf den Mitteleuropäern nicht den Eindruck geben, dass Westeuropa allein in der Europäischen Union führen würde."

Visegrad-Bündnis
Das lose Kooperationsforum ist nach der ungarischen Stadt Visegrad benannt, wo es am 15. Februar 1991 von den Präsidenten Ungarns, Polens und der damaligen Tschechoslowakei, die 1993 in zwei Staaten zerfiel, gegründet wurde. Hauptziel war der gemeinsame Beitritt der Teilnehmerländer zur Europäischen Union. In der EU sollten dann gemeinsam Interessen durchgesetzt werden.

Im Jahr 2000 wurde das Forum durch seine bis heute einzige formelle Institution ergänzt, den Visegrad-Fonds mit Sitz im slowakischen Bratislava. Er fördert grenzüberschreitende Regionalprojekte und vergibt Stipendien. Das Bündnis funktioniert formlos.

Die Visegrad-Gruppe lebt von regelmäßigen Treffen ihrer Regierungschefs und Staatspräsidenten in dem Land, das gerade den Vorsitz innehat. Die jährlich wechselnde Präsidentschaft liegt bis Mitte 2016 bei Tschechien. Prag hat dafür das Motto "V4 Trust" gewählt, also gemeinsames Vertrauen.

Und weiter: "Es ist nicht so, dass ich nicht sehen würde, dass die Visegrad-Staaten - vor allem Polen - einen Anspruch darauf haben, eine führende Rolle in der EU zu spielen. Aber wer das tun möchte, muss sich auch an die Spielregeln halten." Polen ist mit rund zehn Milliarden Euro jährlich der größte Netto-Empfänger von EU-Geldern.

Mateusz Morawiecki

Polens Ministerpräsident Morawiecki ist als EU-Skeptiker bekannt.

Streit über Flüchtlinge

Kompromisslos zeigte sich Juncker bei der Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Er erwarte,  dass Polen und auch Ungarn sich an getroffene Vereinbarungen halten und entsprechend Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufnehmen. Auf die Frage, in welcher Größenordnung das passieren müsse, sagte Juncker gegenüber dem ARD-Europamagazin: "Das wären mehr als mehrere Hundert."

Aus Sicht der Kommission ist es nicht zulässig, dass sich Länder die Flüchtlinge aussuchen: "Ich akzeptiere nicht, dass man sagt: Wir nehmen auf unserem Staatsgebiet keine farbigen Menschen auf, keine Islam-Gläubigen, keine Schwulen. Dass verstößt massiv gegen die europäischen Grundwerte."

Notfalls wieder Flüchtlingsverteilung per Mehrheitsbeschluss

Im Rahmen der geplanten Reform des europäischen Asylsystems soll eine feste Flüchtlingsverteilung für Krisenfälle verabredet werden. Juncker warnte Polen und Ungarn, dass dies erneut auch gegen ihren Willen geschehen könnte: "Wenn es um die zukünftige Ausrichtung des Asylsystems und um eine feste Festlegung der Quoten, dann müssen wir in einem edlen Wettbewerb der Ideen miteinander streiten. Und wenn es nicht anders geht, dann muss eben wieder mit Mehrheit beschlossen werden."

Seine Wunschlösung sei das aber nicht. "Ich wünsche mir, dass wir eine Lösung im Konsens finden. Aber wenn das nicht geht, müssen wir das per Mehrheitsbeschluss durchführen."

Das Interview mit Jean-Claude Juncker wird am Sonntag, den 14.1. im Ersten im ARD-Europamagazin um 12.45 ausgestrahlt.