Interview zur Lage in Libyen "Es sieht nicht gut aus für Gaddafi"
Libyens Staatschef Gaddafi hält sich für unfehlbar und ist zu keinem Dialog bereit. Die Proteste lassen sich nur mit militärischen Mitteln bekämpfen, glaubt er anscheinend. Aber immer mehr Gruppen stellen sich gegen ihn, sagte der Nahost-Experte Lüders tagesschau.de.
tagesschau.de: Warum eskaliert die Lage in Libyen so - gerade nach den jüngsten Ereignissen in der arabischen Welt?
Michael Lüders: Sowohl in Bahrain als auch in Libyen glaubt die jeweilige Führung, man könne die Proteste der Bevölkerung mit militärischen Mitteln bekämpfen. Anders als in Ägypten hat sich das Militär in beiden Staaten nicht zurückgehalten. Wie der Aufstand weiter geht, ist völlig offen.
Gaddafi hat sich ebenso wie die Führung in Bahrain verschätzt. Die Proteste haben nun eine eigene Dynamik entwickelt. Es geht nicht mehr nur darum, Reformen durchzuführen, sondern das Regime zu stürzen. Gaddafi hat sozusagen von zwei Aktionen die schlechtere gewählt. Hätte er sich dem Dialog gestellt, oder hätte er die Demonstranten gewähren lassen, dann wären die Proteste möglicherweise ins Leere gelaufen.
tagesschau.de: Warum tritt Gaddafi nicht zurück?
Lüders: Er ist seit 1969 an der Macht, und an dieser Macht klebt er wie andere arabische Regenten auch. Er wird die Macht nicht freiwillig aufgeben. In Libyen ist die Situation anders als in Ägypten oder Algerien. Die Armee ist keine einheitliche Größe, und er kann die verschiedenen Stämme im Land nicht mit militärischer Gewalt unterwerfen. Bislang hatte er sich die Loyalität der größeren Stämme im Lande erkauft. Wenn sich nun aber die Stämme gegen ihn wenden, dann haben wir nicht eine Konfrontation "Armee gegen Teile der Bevölkerung", sondern dann gibt es sehr schnell einen Kampf "Jeder gegen Jeden". Es ist durchaus denkbar, dass die Situation in Richtung Bürgerkrieg entgleitet.
"Kein Weg zurück für Gaddafi"
tagesschau.de: Wie weit könnte der Kampf der Bevölkerung noch gehen?
Lüders: Es ist schwer zu ermessen, wie lange die Revolte noch dauert. Man muss wohl davon ausgehen, dass es für Gaddafi keinen Weg zurück mehr gibt. Es sei denn, er setzt noch einmal Söldner aus Schwarzafrika oder die Armee gegen seine eigene Bevölkerung ein - aber das wäre dann sicherlich nur ein vorübergehender Sieg. Libyen ist neben Algerien potentiell das reichste Land in Nordafrika. Aber ein Großteil der Milliardeneinnahmen aus den Erdöl- und Erdgasgeschäften ist verpulvert worden. Gaddafi hat die Ressourcen des Landes nicht gut genutzt, und jetzt bekommt er die Qittung.
tagesschau.de: Welche Rolle spielen denn Gaddafis Söhne? Insbesondere Seif al Islam Gaddafi, der als gemäßigt gilt?
Lüders: Das ist ganz schwer zu ermessen, weil die Politik der Familie Gaddafi sehr erratisch ist. Seif al Islam hatte zunächst eine demokratische Öffnung - offenbar mit Billigung seines Vaters - in Teilen des Landes vorgenommen. Er war für bestimmte gemäßigte Reformen zuständig, auch für ein anderes Bild Libyens in der westlichen Welt.
Der Sohn des Staatschefs: Seif al Islam Gaddafi. Er galt als Reformer.
Dann wurde Seif al Islam von seinem Vater zurückgepfiffen. Er wurde aller Ämter entledigt, wie es hieß. Und nun warnt er vor einem Bürgerkrieg in Libyen, er hat sich also auf die Seite seines Vaters gestellt. Man hat den Eindruck, dass Vater und Sohn gewissermaßen "good cop", "bad cop" spielen. Aber es ist klar, dass diese Familie nicht in der Lage sein wird, die Probleme Libyens zu lösen.
Gaddafis Macht bröckelt
tagesschau.de: Einige Gruppen - wie der Clan der Warfala - haben Gaddafi die Gefolgschaft gekündigt. Damit bröckelt Gaddafis Macht also zusehends?
Michael Lüders: Die Warfala, der größte und wichtigste Stamm in Libyen, hat sich gegen ihn gestellt und hat sich den Aufständischen angeschlossen. Das waren bisher Leute, die ihn unterstützt haben. Insofern sieht es nicht gut aus für Gaddafi. Er kann ja nicht die Armee gegen ganze Stammesgebiete schicken. Solche Auseinandersetzungen kann die Armee nicht gewinnen, weil sie dann mit einem Guerilla-Krieg konfrontiert wäre.
tagesschau.de: Welche Chancen haben die Oppositionsbewegungen in dem Land?
Michael Lüders: Die Oppositionsbewegung ist sehr heterogen. Die Opposition ist im Osten des Landes gegründet worden. Der Grund: Die östlichen Landesteile bekamen traditionell am wenigsten von dem Erdölreichtum ab. Diese Gebiete sind von Gaddafi vernachlässigt worden. Und das rächt sich jetzt.
tagesschau.de: Wie könnte Libyen nach Gaddafi aussehen?
Michael Lüders: Das weiß im Moment niemand. In Ägypten gibt es immerhin noch die Armee als eine allseits respektierte Institution, die den Übergang organisiert. Aber wie das in Libyen ausgeht, ist völlig offen. Es ist alles denkbar, bis hin zum Staatsverfall.
Das Interview führte Britta Hejnoß für tagesschau.de