Suleiman mit seiner Familie
Reportage

Migrantenlager in Libyen Suleiman will nach Europa

Stand: 19.09.2019 02:32 Uhr

Eine Familie aus dem Sudan hat Tausende Kilometer durch die Wüste hinter sich gebracht. Nun sitzt sie im Bürgerkriegsland Libyen fest - und kennt nur ein Ziel: nach Europa, um jeden Preis.

Ein bisschen Schatten weiß Suleiman zu schätzen. Er hat unter dem Dach einer Lagerhalle am Rande der libyschen Hauptstadt Tripolis Schutz gesucht. Hier lebt der Sudanese mit seiner Frau und seinen sieben Kindern - zusammen mit mehreren anderen Migrantenfamilien. Sie haben ein paar Decken gespannt, die vor allzu neugierigen Blicken schützen. Mehr besitzt Suleiman nicht.

"Manchmal kommen Leute vorbei und schenken uns Nudeln oder Lebensmittel. Ich habe schon versucht, Arbeit zu finden, aber das ist schwierig", erzählt er. "Ich habe Angst davor, arbeiten zu gehen und nicht zurückzukommen. Einem meiner Söhne ist das passiert: Er hat gearbeitet und wurde festgenommen."

Seit einigen Monaten leben Suleiman und seine Familie unter dem Dach der Lagerhalle, trocknen ihre Wäsche auf einem unbenutzten Parkplatz. Die Familie hat sich beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen registrieren lassen, aber Hilfe bekommt sie nicht. Wasser holen Suleiman und seine Frau in großen Behältern aus einer Moschee in der Nachbarschaft.

Ein täglicher Kampf ums Überleben - doch Suleiman hat sein Ziel vor Augen.

Ziel meiner Flucht war nicht, in Libyen zu bleiben. Ich will meine Kinder - wie auch immer - nach Europa bringen. Das ist meine Absicht trotz aller Schwierigkeiten; die sind mir bewusst. Aber ich stehe zu meiner Entscheidung: Mein Ziel ist Europa.
Flüchtlingsunterkunft in Tripolis

Eine Plane des UN-Flüchtlingshilfswerks stellt die Unterkunft in Tripolis dar.

Die Küstenwache: Mal Retter, mal Traumzerstörer

Eine Bekannte von Suleiman hat ihr Kind bei der Flucht übers Mittelmeer verloren. Trotzdem überlegt der Familienvater, den Weg übers Wasser zu wagen. Regelmäßig legen Boote mit Migranten von der libyschen Küste ab - mit Kurs auf Europa.

Die libysche Küstenwache versucht, ihre Flucht zu verhindern und die Menschen zurück an Land zu bringen. Keine einfache Aufgabe, sagt Brischelle Ammar Abdelbary, Kommandeur der ersten Flotte: "Die Flüchtlinge sehen uns mal als ihre Retter, wenn sie sich in einer sehr schwierigen Situation befinden, und mal als die Zerstörer ihres Traums, nach Europa zu gelangen. Sie spüren meist nicht, in welche Gefahr sie sich bringen."

Wer in libyschen Gewässern aufgegriffen und zurück ans Ufer gebracht wird, landet in der Regel in einem der berüchtigten Internierungslager. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat vor Kurzem erneut auf die erbärmlichen Zustände dort aufmerksam gemacht: Die Räume seien teilweise nicht belüftet, die hygienischen Verhältnisse katastrophal. Die Organisation forderte, im Mittelmeer gerettete Migranten nicht mehr in das Bürgerkriegsland zurückzubringen.

"Alles daransetzen, nach Europa zu kommen"

Suleiman kennt die Risiken - und hat schon versucht, Libyen auf dem Landweg zu verlassen. "Ich habe versucht, nach Tunesien zu fliehen, aber sie haben mich festgenommen", sagt er. "Wir waren von fünf Uhr nachmittags bis vier Uhr morgens unterwegs. Meine kleine Tochter ist fünf Jahre alt, sie ist die ganze Zeit mitgelaufen. Jetzt muss ich alles daransetzen, anders nach Europa zu kommen."

In sein Heimatland Sudan zurückzukehren, das kommt für Suleiman nicht infrage. Er stammt aus Kurdufan, einer bergigen Region. Omar al-Baschir, der vor Kurzem gestürzte Langzeitherrscher, hatte sie stark vernachlässigt: Es gebe keine Straßen, keine Schulbildung, keine Gesundheitsversorgung, keine Perspektive, sagt Suleiman: "Ich habe mich zur Migration entschieden, um meine Kinder zu retten. Trotz aller Gefahren und Risiken, die einem begegnen."

Er hoffe, dass Gott seinen Kindern eine bessere Zukunft beschere: "In Kurdufan gibt es keine Schulen, gar nichts. Es ist eine Einöde. Bis heute wissen die Menschen dort nicht, was eine Wasserleitung ist. Ich will die Zukunft meiner Kinder sichern."

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