Abgeordnete geben im libanesischen Parlament in Beirut ihre Stimme ab

Präsidentenwahl im Libanon Ein Dutzend Versuche - und kein Erfolg

Stand: 14.06.2023 19:25 Uhr

Auch im zwölften Anlauf hat Libanons Parlament es nicht geschafft, einen neuen Präsidenten zu wählen. Eine verheerende Nachricht für das Land, das unter einer massiven Wirtschaftskrise leidet.

Eine Stimme werde schon keinen Unterschied machen - so einfach war es für den libanesischen Parlamentsvorsitzenden Nabih Berri. Obwohl ein Wahlzettel bei der Auszählung der Präsidentschaftswahl heute Vormittag fehlte, weigerte er sich mit diesen Worten, eine erneute Zählung anzuordnen.

Danach beendete er die Parlamentssitzung, obwohl gemäß der Verfassung noch ein zweiter Wahlgang angestanden hätte. Es seien nicht genug Abgeordnete anwesend, so Berri.  

Im ersten Wahlgang hatte keiner der Kandidaten die erforderliche Zweidrittelmehrheit bekommen. Damit scheiterte auch der bereits zwölfte Versuch, einen Präsidenten zu wählen. Und die politische Krise im Libanon manifestierte sich ein weiteres Stück.

Seit dem planmäßigen Ende der Amtszeit von Präsident Michel Aoun Ende Oktober 2022 ist der Libanon ohne Staatsoberhaupt. Die geschäftsführende Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig.  

Libanons Parlamentssprecher Berri eröffnet die Sitzung, auf der im zwölften Anlauf ein Präsident gewählt werden soll.

Die Sitzung eröffnete Parlamentssprecher Berri wie vorgeschrieben. Über den weiteren Verlauf und sein Agieren gehen die Meinungen auseinander.

Eine andere Parlamentskultur

Dabei hatte es zu Beginn des Tages vielversprechend ausgesehen: Zum ersten Mal erschienen alle 128 Abgeordneten des libanesischen Parlaments zur Abstimmung. 59 Abgeordnete stimmten für Jiad Azour, Finanzexperte und Kandidat der großen christlichen Parteien des Landes.

Sein größter Konkurrent, Suleiman Frangieh von der christlichen Partei Marada, der vor allem von der iran-nahen Hisbollah und der schiitischen Amal-Partei unterstützt wurde, bekam hingegen 51 Stimmen. Die restlichen Stimmen verteilten sich auf andere Kandidaten - und dann gab es noch jenen einen Stimmzettel, der bei der Auszählung fehlte. 

Die Tatsache, dass Berri ein korrekter demokratischer Ablauf der Wahl nicht so wichtig schien, zeigt das Ausmaß der politischen Krise im Libanon. "Die Parlamentskultur ist nicht mit einer voll funktionierenden Demokratie zu vergleichen, es geht vor allem um Seilschaften, um Parteizugehörigkeiten und andere Machtstrukturen", erklärt Anna Fleischer, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. 

Komplizierte Kandidatensuche

Schon seit Jahren sind politische Abstimmungsprozesse im Libanon schwierig. Die entlang religiöser Linien zerstrittenen Parteien schaffen es selten, sich auf Kandidaten für politische Ämter zu einigen. Das Amt des libanesischen Präsidenten muss laut einem religiösen Proporz mit einem maronitischen Christen besetzt werden.

Trotz dieser Vorgabe sorgt auch diese Personalie für Spaltung: Die großen muslimischen Parteien des Landes unterstützten Frangieh, während die großen christlichen Parteien für Azour stimmten. 

Die Erklärung von Parlamentssprecher Berri, es seien nicht genügend Abgeordnete für den zweiten Wahlgang anwesend, traf auf Widerspruch. Zwar hatten einige Abgeordnete, unter anderem von der Hisbollah, nach dem ersten Wahlgang den Saal verlassen.

Ob die verbleibenden Politikerinnen und Politiker allerdings tatsächlich weniger als die erforderlichen 86 für einen zweiten Wahlgang waren, ist unklar. Beobachter deuten Berris Entscheidung eher als Versuch, eine mögliche Wahl des gegnerischen Kandidaten Azour im zweiten Wahlgang zu verhindern.  

"Leider ist so etwas möglich, weil Berri, der auch Vorsitzender der schiitischen Amal-Partei ist, in erster Linie aus dieser Rolle heraus agiert und nicht als Parlamentspräsident. Er geht leichtfertig mit den Gesetzen um, verstößt gegen lokale und internationale Richtlinien, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen mit sich bringen würde", erklärte der libanesische Journalist Tony Boulos.  

Warum wurde jetzt gewählt?

Dabei bräuchte der Libanon dringend einen neuen Präsidenten und eine funktionierende Regierung. Das Land steckt in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen der Geschichte. Die Währung hat mehr als 95 Prozent ihres Wertes verloren und der Staat ist praktisch pleite.

Anna Fleischer von der Heinrich-Böll-Stiftung fragt sich, warum in einer solchen dramatischen Lage Wahlen abgehalten werden, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind: "Ist das etwas, das dazu dient, die internationale Gemeinschaft bei Laune zu halten und um weiter über Kredite des Internationalen Währungsfonds zu diskutieren? Oder geht es darum, der libanesischen Bevölkerung das Gefühl zu geben, dass sich etwas tut im politischen Betrieb? Das ist weiterhin unklar."

Für ersteres könnte die Aufstellung des Kandidaten Azour sprechen. Der 57-Jährige ist parteilos und arbeitete bis vor Kurzem als Leiter der Abteilung Naher Osten und Zentralasien beim Internationalen Währungsfonds (IWF). "Als ehemaliger Finanzminister aber auch als Chef der Nahostabteilung beim IWF hat Azour viele Kontakte und ein großes Netzwerk in andere Länder", erklärt Sami Atallah, Gründer des libanesischen Thinktanks "Policy Initiative".  

Der Versuch eines Signals?

Bereits vor der nun gescheiterten Wahl sahen Beobachter in der Aufstellung Azours auch ein Zeichen, westlichen Geldgebern - wie den USA und Frankreich - einen Wandel zu signalisieren. Die internationale Gemeinschaft will den Libanon nicht unterstützen, weil die Regierung bislang keine der Reformauflagen des IWF umsetzte.  

Wann das libanesische Parlament das nächste Mal zusammenkommt, um einen neuen Wahlversuch zu wagen, ist noch unklar. Parlamentssprecher Berri beendete die Sitzung, ohne einen neuen Termin festzulegen.