Interview

Wladimir Kaminer zu den Spielen in Sotschi "Hinfahren und meckern"

Stand: 05.02.2014 14:20 Uhr

Winterspiele in einem subtropischen Badeort - musste das wirklich sein? Der Schriftsteller Wladimir Kaminer sieht das nicht so eng. "Das Geld ist sowieso schon verbraten, jetzt können wir auch feiern." Und die internationale Aufmerksamkeit bringe Russland voran.

tagesschau.de: Kurz vor Beginn der Winterspiele in Sotschi gibt es Meldungen, dass viele Hotels nicht fertig geworden sind. Die Bergregion Krasnaja Poljana soll einer Baustelle gleichen. Überrascht Sie das?

Wladimir Kaminer: Oh, da muss ich wohl eine wichtige Nachricht verpasst haben? Die russischen Medien haben jedenfalls nicht darüber berichtet.

tagesschau.de: Das überrascht mich jetzt wiederum nicht.

Kaminer: Solche Meldungen gibt es nur, weil die Welt viel genauer auf Sotschi schaut als auf die Winterspiele zuvor. Man braucht schon ein bisschen guten Willen beim Blick auf diese Spiele. Wenn man von vornherein eine kritische Haltung hat, wird immer etwas nicht stimmen. Ich denke, die Gastgeber haben alles getan, um der Welt ihre Gastfreundschaft zu präsentieren.

Zur Person
Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Toningenieur und studierte anschließend Dramaturgie in Moskau. Seit 1990 lebt er als Schriftsteller in Berlin und organisiert unter anderem seine berühmt gewordene "Russendisko". Er selbst sieht sich privat als Russe und beruflich als Deutscher.

tagesschau.de: Empfinden Sie diese ganze Kritik im Vorfeld als Miesmacherei?

Kaminer: Ich finde Kritik super! Das ist genau das, was Russland braucht. Was ich als falsch empfinde, sind die Boykotts. Wenn beispielsweise der deutsche Bundespräsident den Spielen den Rücken kehrt. Das ist eine sehr naive und kindische Haltung. Gerade in unserer Zeit, wo die Welt eine kleine Kugel geworden ist, wo alles mit allem verbunden ist, kann man ein so ein großes Land wie Russland doch nicht außer Acht lassen.

Im Gegenteil: Da soll man hinfahren und soll meckern. Und man soll sich über unfertige Hotels beschweren. Übrigens haben Österreicher diese Hotels gebaut ...

tagesschau.de: ... zumindest soll Österreich Aufträge in Milliardenhöhe bekommen haben.

Kaminer: Es müssen jedenfalls sehr viele ausländische Baufirmen dabei gewesen sein, denn sonst wäre überhaupt kein Hotel fertig geworden. Die Korruption in Russland frisst alles auf. Es sind die Ausländer, die für Ergebnisse sorgen. Die sagen, hier auf dem Plan ist noch ein Behindertenparkplatz eingezeichnet. Der muss unbedingt noch gebaut werden. Putin holt die ausländischen Firmen auch deshalb, damit sie von unten etwas gegen die Korruption tun. Allein von oben schafft er das nicht.

"Das Geld kommt sowieso nicht mehr zurück"

tagesschau.de: Dennoch: Winterspiele in einem Badeort, die teuersten Spiele aller Zeiten, massive Eingriffe in die Umwelt - musste das wirklich sein?

Kaminer: Sicher war das eine unvernünftige Entscheidung. Aber das liegt auch daran, dass in Russland alles von einem einzigen Kopf entschieden wird. Und Putin sucht nach Herausforderungen. Natürlich wäre es viel einfacher, in Sibirien Winterspiele zu machen. In drei Vierteln des russischen Territoriums liegt neun Monate im Jahr Schnee. Aber das wäre keine richtige Aufgabe für diesen "ewigen" Präsidenten. Deshalb hat er Sotschi ausgesucht. Das hat vor ihm noch keiner gemacht, an einem Badeort Winterspiele zu veranstalten.

tagesschau.de: Sie glauben nicht, das Geld wäre an anderer Stelle besser ausgegeben gewesen?

Kaminer: Klar hätte man nicht unbedingt den Rentenfonds dafür verbraten müssen. Aber jetzt ist das ganze Geld schon ausgegeben, und das kommt nicht mehr zurück. Jetzt sollte man dieses Fest auch feiern und Spaß haben. Und ich bin mir sicher, es wird ein großer Erfolg.

"Die Spiele offenbaren Russlands Wunden"

tagesschau.de: Inwiefern ein Erfolg?

Kaminer: Da meine ich am wenigsten die sportlichen Erfolge. Dass Putin die Entscheidung für Sotschi getroffen hat, liegt auch an den alten Minderwertigkeitskomplexen, die das Land noch immer hat. Selbst 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums fühlt sich Russland noch immer abgeschnitten vom Rest der Welt. Und deshalb versucht Putin, so viele internationale Projekte wie möglich an Land zu ziehen. Das dient dem Zweck, das Land wieder in die Weltgemeinschaft zu bringen. Und dann kommt die Weltgemeinschaft und sagt: Nicht alle Hotels sind fertig.

tagesschau.de: Was bringen diese Spiele der russischen Bevölkerung?

Kaminer: Durch diese Winterspiele sind sehr viele Wunden des heutigen modernen Russlands offenbart worden. Durch die internationale Aufmerksamkeit sind offene Debatten angestoßen worden. Vieles, was vorher im Dunklen möglich war, wird nun nicht mehr möglich sein. Diese Winterspiele mit ihrer ganzen Kritik werden zu einer Liberalisierung des Systems führen.

Ich hoffe sehr, dass viele Menschen nach Russland kommen und mit der Bevölkerung in Kontakt treten. Allein das bringt das Land schon voran. Und es hilft den Russen, sich nicht mehr als Außenseiter und als Ergebnisse eines gescheiterten sozialistischen Experiments zu betrachten, sondern als normale Menschen.

"Da herrschen fast schon Hamburger Verhältnisse"

tagesschau.de: Die Familie Ihrer Frau lebt in der Nähe von Sotschi, im Nordkaukasus. Welche Auswirkungen haben die Spiele auf ihr Leben?

Kaminer: Unsere Verwandten im Nordkaukasus haben die Arschkarte gezogen bei diesen Spielen. Von der ganzen Freude und dem Fest bekommen sie nichts mit, dafür bekommen sie die ganze Gängelei durch die Sicherheitsmaßnahmen ab. An jeder Ecke stehen Polizisten und kontrollieren jedes Auto fünfmal am Tag. Das sind beinahe schon Hamburger Verhältnisse.

Dafür ist der Nordkaukasus zurzeit der sicherste Ort der Erde. So viele Sicherheitskräfte hat es, glaube ich, noch nie auf einem Fleck gegeben. Hoffentlich drehen sie nicht durch und schießen sich gegenseitig über den Haufen.

"Alle, die im Kreml sitzen, sind Schurken"

tagesschau.de: Eine Dokumentation im russischen Staatsfernsehen würdigte Putin als Vater der Winterspiele in Sotschi. Schon seit Jahren inszeniert sich Putin als Vater und Beschützer der Nation. Kommt das bei den Russen gut an?

Kaminer: Ich kenne viele, die ihn wählen, aber ich kenne niemanden, der ihn mag. Die Russen haben sich Putin nicht wirklich ausgesucht. Wer im Land die Macht hat, wurde schon immer in den Kreml-Türmen beschlossen. Für die Russen sind das alles Schurken, egal wer da sitzt. Und sie wollen nicht alle vier Jahre einen neuen Schurken haben. Man muss das Böse ja nicht mehren. Die Menschen mögen Putin zwar nicht, aber sie kennen ihn. Und das ist ihnen lieber als die Ungewissheit.

Das ist nicht so wie bei den Amerikanern, die ganz versessen auf ihre vielen Präsidenten sind. Wahrscheinlich gibt es da ein extra Schulfach, Präsidenten zählen. Die Russen lachen über so etwas. Die können alle ihre Präsidenten an einer Hand abzählen. Selbst wenn die Hand nur drei Finger hat.

Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de

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