Renzi
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Krise in Italien Was kommt nach dem "Renzirendum"?

Stand: 05.12.2016 17:04 Uhr

Alles riskiert, alles verloren - so lautet die Bilanz für Matteo Renzi. War es ein Fehler, seine Zukunft an das Referendum zu knüpfen? Wer würde bei Neuwahlen in Italien derzeit vorne liegen? Droht eine neue Euro-Krise? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Von Florian Pretz, ARD-aktuell

Wogegen haben sich die Italiener ausgesprochen - gegen Renzi oder die Verfassungsreform?

Immerhin 68,5 Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab: Gegen die Verfassungsreform UND Matteo Renzi, meint ARD-Korrespondent Jan-Christoph Kitzler. Am Ende seien beide Faktoren gleich wichtig gewesen. Für die Opposition war die Aussage von Renzi, seine politische Zukunft an den Ausgang des Referendums zu knüpfen, eine Einladung. So ließ sich hervorragend Wahlkampf machen.

Die Reformgegner befürchteten, die teilweise korrupten Politiker Italiens künftig nicht mehr ausreichend kontrollieren zu können.

War es ein Fehler von Renzi, seine politische Zukunft an das Ergebnis zu koppeln?

Bereits im Dezember 2015 hatte Renzi angekündigt, er werde bei einer Ablehnung der Verfassungsreform zurücktreten. Damals fühlte er sich sicher. Doch seitdem kippte die Stimmung der Italiener, von denen einige ihren schon in jungen Jahren erfolgreichen Regierungschef für arrogant halten.

Mit der Personalisierung des Referendums wollte Renzi möglicherweise eine Schwachstelle seiner Regierungszeit ausbügeln: Denn vom Volk gewählt wurde der 41-Jährige nie. 2014 hatte er seinen Vorgänger Enrico Letta während der Legislaturperiode abgelöst, nachdem dieser zurückgetreten war.

ARD-Korrespondent Kitzler ist sich sicher: "Er hat sich am Anfang überschätzt und seine Beliebtheit im Volk falsch gedeutet. Das Problem für ihn war, dass von seinen Reformen nicht viel zu spüren war. Er hat seit Mai immer wieder versucht, von der Entscheidung zurückzutreten und auch gesagt: Das war ein Fehler, das Referendum so zu personalisieren."

Die Entscheidung, seine politische Zukunft vom Ausgang des Referendums abhängig zu machen, halten auch Parteifreunde für falsch. "Keiner von uns hat je den Rücktritt von Matteo Renzi verlangt", sagt Roberto Speranza, einer der Wortführer des linken Flügels von Renzis Partei.

Anders sieht es Laura Garavini. Auch sie gehört der Demokratischen Partei von Renzi an, äußerte im Deutschlandfunk aber Verständnis: "Wenn man dann bei der Bevölkerung keine Zustimmung bekommt, dann ist es einfach ehrlich (...) auch zu sagen, es kann nicht so weiterlaufen wie vorher."

Matteo Renzi

Alles flehen half nicht: Matteo Renzi konnte die Italiener nicht von seiner Verfassungsreform überzeugen.

Wer könnte auf Renzi folgen?

Als Favorit für die Nachfolge werden derzeit vor allem zwei Namen gehandelt: der amtierende Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan und der Präsident des italienischen Senats, Pietro Grasso.

Padoan ist parteilos und gilt als Politiker der alten Schule. Der 66-jährige Ökonom genießt in Brüssel großes Ansehen und wird für sein besonnenes Auftreten geschätzt. Der 71-jährige Grasso ist Jurist und war 2015 kurzzeitig Interimspräsident, bevor Sergio Mattarella sein Amt antrat. Eine Übergangslösung?

Weitere mögliche Kandidaten sind Graziano Delrio, Carlo Calenda und Dario Franceschini. Alle sind Teil des derzeitigen Kabinetts. Genannt wird auch der Name von Renzis Vorgänger Enrico Letta.

Carlo Calenda, Enrico Letta, Pier Carlo Padoan (obere Reihe von links nach rechts), Dario Franceschini, Graziano Delrio und Pietro Grasso (untere Reihe von links nach rechts)

Mögliche Renzi-Nachfolger: Carlo Calenda, Enrico Letta, Pier Carlo Padoan (obere Reihe von links nach rechts), Dario Franceschini, Graziano Delrio und Pietro Grasso (untere Reihe von links nach rechts)

Wie geht es jetzt weiter?

Sobald Italiens Präsident Sergio Mattarella den Rücktritt Renzis angenommen hat, kann er eine Übergangsregierung einsetzen, eventuell sogar bis 2018. Er könnte auch Neuwahlen ausrufen. Allerdings würde eine Abstimmung zu Problemen führen: Denn im Augenblick hat Italien kein Wahlgesetz, das eine Abstimmung möglich machen würde.

"Ich halte eine Übergangsregierung für die wahrscheinlichste Option", sagt ARD-Korrespondent Kitzler. "Sie hätte zwar wenig Autorität, wäre aber imstande, die Notfallmaßnahmen in Gang zu setzen, die bei einer sich verschärfenden Krise nötig werden."

Nach dem Erfolg beim Referendum hofft nun vor allem die Opposition auf Neuwahlen. "Die Italiener sollten schnellstens zur Wahl gerufen werden", schrieb der Kabarettist Beppe Grillo, der als möglicher Spitzenkandidat der eurokritischen Fünf-Stern-Bewegung gilt. Auch die rechtspopulistische Lega Nord von Parteichef Matteo Salvini würde am liebsten so schnell wie möglich Neuwahlen ausrufen lassen.

Wer würde derzeit bei Neuwahlen vorn liegen?

"Derzeit würden Grillo und die Fünf-Stern-Bewegung wohl bei 25 Prozent liegen", sagt ARD-Korrespondent Kitzler. "Nach dem derzeit gültigen Wahlrecht würde sie damit wohl zur stärksten Kraft werden und eine Regierung bilden dürfen."

Denn das von Renzi veränderte Wahlrecht sieht vor, dass der Wahlsieger eine Mehrheit der Sitze in der Abgeordnetenkammer bekommt. Bei einem Wahlerfolg will die Bewegung ein Referendum über die Euro-Zugehörigkeit Italiens abhalten lassen. Allerdings müsste vor Neuwahlen das Wahlrecht neu gefasst werden - es basierte vorauseilend schon auf der nun gescheiterten Verfassungsreform.

Kitzler hält auch ein politisches Comeback von Renzi für möglich: "Ich halte das zumindest nicht für ausgeschlossen", sagt er. Weil nicht klar ist, nach welchem Wahlrecht eine Neuwahl stattfinden würde, hält er die derzeitgen Kräfteverhältnisse für schwer abzuschätzen.

Was bedeutet das gescheiterter Referendum für die italienische Wirtschaft?

Beobachter hatten Turbulenzen an den Börsen befürchtet. Die sind jedoch weitgehend ausgeblieben - ähnlich wie zuletzt nach der Brexit-Entscheidung der Briten. Finanzexperten halten es jedoch weiterhin für möglich, dass die angeschlagenen italienischen Banken Probleme bekommen: Die politischen Veränderungen könnten zu Unsicherheiten auf den Märkten führen, sagte Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. "Damit geraten die Banken in die Schusslinie".

Konkret krankt das Bankensystem an faulen Krediten in Höhe von etwa 360 Milliarden Euro. Hier herrscht dringender Reformbedarf. "Banken, die nicht überlebensfähig sind, müssen aus dem Wettbewerb ausgeschlossen werden. Diejenigen, die es sind, müssen rekapitalisiert werden", meint Wirtschaftswissenschaftler Rocholl. Der österreichische Ökonom Ewald Nowotny schloss nicht aus, dass Italien einige seiner Banken mit staatlicher Hilfe stützen muss.

Optimistischer über den Zustand der italienischen Wirtschaft äußerte sich Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramengna im Morgenmagazin: Renzi habe Einiges auf den Weg gebracht, lobte er den 41-Jährigen. Das jährliche Defizit Italiens liege unter zwei Prozent. "So gut stand Italien seit der Finanzkrise nicht mehr da", ist Gramengna überzeugt. Dass Italien EU-Finanzhilfen in Anspruch nehmen muss, schließt er derzeit aus. "Die Lage sieht im Moment ordentlich aus."

Italien hat nach Griechenland die zweithöchste Verschuldungsquote - das Verhältnis der Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung - im Euroraum.

Droht eine neue Euro-Krise?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist sich sicher: "Es gibt keinen Grund, von einer Euro-Krise zu reden." Genauso sieht es auch Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem: "ich glaube nicht, dass dies der Beginn einer neuen Krise ist", sagte er. Italien sei eine der größten Volkswirtschaften Europas und verfüge über starke Institutionen.

Auch Ökonomen halten Sorgen vor einer neuen Euro-Krise für übertrieben. ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sagte: "Gestürzte Regierungen in Italien sind nun wirklich nichts Neues, und Europa hat schon Vieles überlebt." Allerdings warnte er vor neuer Unsicherheit.

Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater schätzt, dass die europäischen Finanzmärkte die italienische Regierungskrise überstehen werden. "Allerdings bleibt Italien ein Langzeit-Patient mit Krisenpotenzial in der Eurozone", schränkte er ein. Sollte es zu heftigen Turbulenzen an der Finanzmärkten kommen, rechnet Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud mit Interventionen der Europäischen Zentralbank (EZB).