Stirnband mit Symbol der "Grauen Wölfe" (Archivbild)
Hintergrund

Türkei Das brutale Erbe der "Grauen Wölfe"

Stand: 03.12.2020 12:05 Uhr

Die "Grauen Wölfe" begingen in den 1970er-Jahren viele politische Morde. Heute verhilft ihre Mutterpartei MHP dem türkischen Präsidenten Erdogan zu Wahlsiegen - und hat großen Einfluss.

Einer der berüchtigtsten "Grauen Wölfe" macht in diesen Tagen in der Türkei erneut Schlagzeilen. Der 67-jährige Mafiaboss Alaatiin Cakici hat in einem offenen Brief Kemal Kilicdaroglu, den Chef der größten Oppositionspartei CHP, mit dem Tode bedroht. Die CHP-Führung zeigte sich empört. Devlet Bahceli, Chef der rechtsextremen MHP, stärkte hingegen dem "Grauen Wolf" und Unterwelt-Paten den Rücken, nannte ihn einen Kameraden und Patrioten.

Nachdem in sozialen Netzwerken die Empörung über die Morddrohung immer größer wurde, verurteilte der Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan die Äußerung als inakzeptabel: Ein Verfahren gegen Cakici laufe bereits, die Gerichte werden tun, was nötig sei.

In den meisten solcher Fälle dauern Verfahren in der Türkei allerdings so lange, bis die Öffentlichkeit schon vergessen hat, worum es ging - die Folgen für die "Grauen Wölfe" bleiben wiederum gering.

Auch Erdogan zeigt öffentlich den Wolfsgruß

Die MHP und die "Grauen Wölfe" gehören seit der Gründung der Partei 1969 durch Alparslan Türkes zusammen. Die "Grauen Wölfe" gelten als Jugendbewegung der rechtsextremen Partei. Offizielle Mitgliedszahlen gibt es nicht. Insider sprechen von weit mehr als einer Million Türken, die sich der Bewegung zugehörig fühlen. Das Ziel der "Grauen Wölfe" ist ein Großreich der Turkvölker vom Balkan bis nach China. Als Feinde des Türkentums sehen sie Juden, Armenier und Kurden.

"Graue Wölfe" erkennen sich untereinander am Wolfsgruß. Dabei berühren sich Daumen, Mittel- und Ringfinger, während der Zeige- und der kleine Finger gespreizt werden. Die Hand soll so einen Wolfskopf darstellen. Auch Staatspräsident Erdogan verwendete immer wieder bei seinen Reden das Zeichen.

Das Bündnis mit der MHP und den "Grauen Wölfen" verhalf ihm in der Vergangenheit zu Wahlsiegen. Gleichzeitig wurde die Politik der Regierung in den vergangenen Jahren zunehmend nationalistischer. Die türkische Opposition spottet immer öfter, eigentlich führe die MHP die Regierung, denn ohne die Rechtsextremisten hat Erdogan keine Mehrheit im Parlament. Der Journalist Murat Yetkin schreibt, man könnte den Eindruck haben, MHP-Chef Bahceli bevormunde Erdogan bei bestimmten Themen.

Ein türkischer Soldat im Umland von Aleppo in Syrien formt den Wolfsgruß (Foto vom Februar 2020).

Ein türkischer Soldat im Umland von Aleppo in Syrien formt den Wolfsgruß (Foto vom Februar 2020).

Anschläge auf Journalisten, Anwälte, Aktivisten

Bahcelis Vorgänger Türkes durchlief als Offizier in den 1950er-Jahren eine Ausbildung des US-Militärs in asymmetrischer Kriegsführung. Zurück in der Türkei baute er paramilitärische Einheiten auf, die als "Graue Wölfe" bezeichnet wurden. Diese führten Angriffe gegen die erstarkende türkische Linke durch. In der Zeitung "Los Angeles Times" hieß es 1998 in einem Bericht über die "Grauen Wölfe", die Abteilung "Besondere Kriegsführung" der türkischen Armee habe Geld und Training von Beratern aus den USA bekommen, um Einheiten aufzubauen, die im Falle einer sowjetischen Invasion Widerstand leisten.

In den Folgejahren waren Mitglieder der Bewegung an Pogromen gegen die religiöse Minderheit der Aleviten beteiligt. Sie verübten Bomben- und Schießattentate auf Journalisten, Anwälte, Gewerkschafter und linke Aktivisten, töteten viele von ihnen. Die Gewaltspirale endete mit einem Putsch Anfang der 1980er-Jahre, den MHP-Gründer Türkes immer wieder gefordert hatte. Sein Ziel war es offenbar, den Staatsapparat von sämtlichen nicht nationalistischen Kräften zu befreien.

In einer Anklageschrift gegen die "Grauen Wölfe" aus dem Jahre 1981 heißt es, zwischen 1971 und 1980 hätten Rechtsextreme knapp 700 Morde begangen. Auch außerhalb der Türkei verbreitete die Bewegung Angst und Schrecken. So stand beispielsweise der Papstattentäter Mehmet Ali Agca den "Grauen Wölfen" nahe.

Ein Mann mit einer Flagge der "Grauen Wölfe"

Nach dem Putsch von 2016 versammelten sich auch in vielen deutschen Städten Anhänger der "Grauen Wölfe". Ihr Einfluss auf die Regierung ist gestiegen (Archivbild aus München).

Cakici: Wegen Mordes verurteilt, später Geheimagent

Der an der Istanbuler Marmara-Universität dozierende Politikwissenschaftler Behlul Özkan sagt, die Schnittmenge von "Grauen Wölfen" und Mafia sei in den 1970er- und 1980er-Jahren gewachsen. Die nationalistischen Mafia-Gruppen betätigten sich im Waffen- und Drogenschmuggel und Glücksspiel.

Auch Mafiaboss Cakici soll in dieser Zeit an Kämpfen zwischen türkischen Links- und Rechtsextremisten beteiligt gewesen sein, dann begann er mit dem Eintreiben von Spielschulden und Schutzgelderpressung. Später wurde er wegen Mordes an seiner Frau zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach eigenen Angaben war er für den türkischen Geheimdienst MIT tätig. Ein hochrangiger Mitarbeiter des MIT sagte vor Gericht aus, Cakici sei bei Auslandsoperationen des Geheimdiensts wiederholt eingesetzt worden.

Trotz all dieser Vorfälle ist die MHP und ihre Jugendbewegung "Graue Wölfe" bis heute eine feste Größe in der türkischen Politik. 2019 feierte die Partei ihr 50-jähriges Bestehen. Ein Mitglied, das mehr als 20 Jahre lang in Deutschland lebte und arbeitete, bekundete damals gegenüber dem ARD-Studio Istanbul: "Ich bin ein Adolf-Hitler-Fan. Glauben Sie mir. Wie soll ich sagen - ich war mit 13 bei der MHP, jetzt bin ich 54 und immer noch bei der MHP." Seinen Namen wollte der Mann aber lieber nicht veröffentlicht sehen.

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