Kinder laufen durch ein Zeltlager auf Lesbos

Migranten aus Griechenland Woher die aufgenommenen Flüchtlinge kommen

Stand: 08.03.2021 07:15 Uhr

Deutschland hat 47 Flüchtlinge - Kinder und Jugendliche - aus griechischen Lagern aufgenommen: Wer sind die Menschen, woher kommen sie - und welche EU-Länder beteiligen sich noch an der Aufnahme?

In Hannover ist trotz des eingestellten Flugplans ein Charterflug der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gelandet. An Bord: 47 Kinder und Jugendliche aus den überfüllten Flüchtlingslagern der griechischen Inseln Chios, Samos und Lesbos. "Ein großer Erfolg und ein Zeichen von Solidarität, dass das trotz der Corona-Krise funktioniert", sagte zuvor EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson.

Wer wird aufgenommen?

Die Minderjährigen sind keine Waisen - es sind Kinder und Jugendliche, die auf der Flucht von ihren Eltern oder Geschwistern getrennt wurden, oder sich auf der Flucht alleine bis Griechenland durchgeschlagen haben.

Nach Angaben der EU sind sie zwischen acht und 17 Jahren alt - die meisten wohl zwischen zwölf und 14. Und obwohl sich das Innenministerium das anders gewünscht hat: In der Mehrheit sind es Jungen. Nur vier Mädchen finden sich in der Gruppe.

Wie kam es zu der Entscheidung?

Die EU-Migrationspolitik steckt seit Jahren in einer Sackgasse. Über die Frage der gerechten Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsstaaten sind die zuständigen Innenminister der einzelnen Länder zerstritten. Die Visegrad-Staaten, Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn, sowie Österreich blockieren jegliche Lösung.

Eine "Koalition der Willigen" mit Deutschland, Frankreich und Luxemburg an der Spitze hatte deshalb beispielsweise in Fragen der Seenotrettung immer wieder per Telefondiplomatie - wie Bundesinnenminister Horst Seehofer stets betonte - "humane Lösungen" gefunden. Solidarität mit den Mittelmeeranrainern, die sonst die ganze Last tragen müssten, gelte als oberstes Gebot.

Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos wärmen sich an einem Feuer.

Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos wärmen sich an einem Feuer.

Wer ist bereit, Flüchtlinge aufzunehmen?

Anfang März, bei ihrem letzten physischen Treffen in Brüssel, hatten sich die Innenminister auf Drängen Griechenlands darauf verständigt, bis zu 1600 kranke oder unbegleitete Kinder und Jugendliche aus den völlig überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen. Zehn EU-Staaten und die Schweiz wollten sich an der Hilfsaktion beteiligen. Deutschland kündigte an, etwa 350 Jugendliche zu übernehmen, Frankreich 300, Portugal 250, Finnland 175, Bulgarien 50, Irland 28, Luxemburg zwölf.

Italien, Spanien, Litauen und die Schweiz machten noch keine konkreten Angaben zu Zahlen. Bislang hat aber nur Luxemburg dieses Versprechen eingelöst. Am vergangenen Mittwoch sind dort zwölf Jugendliche aus Afghanistan und dem Irak eingetroffen.

Wie viele Flüchtlinge warten auf den griechischen Inseln?

In den völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln Chios, Samos und Lesbos harren derzeit mehr als 40.000 Menschen unter schwierigsten hygienischen Bedingungen aus. Etwa 14.000 von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, etwa 2000 davon sind komplett ohne familiäre Begleitung unterwegs.

Das hat verschiedene Gründe: Entweder, weil sie auf der Flucht von ihren Eltern, Geschwistern oder anderen Verwandten getrennt wurden. Oder die Jungen wurden alleine losgeschickt: Weil sie etwa von der Familie auserwählt wurden, zum Beispiel um einer Einberufung zum Militär im Kriegsgebiet zu entgehen oder damit wenigstens einer in der Familie die Chance auf ein besseres Leben habe.

Woher kommen diese Menschen?

Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in den Camps sind nach Angaben des griechischen Roten Kreuzes Afghanen, die meist aus dem Iran kommen, wo sie vor Jahren schon vor Krieg und Taliban Zuflucht gesucht hatten. Durch die Krise im Iran wurden sie gezwungen auszureisen und weiter zu fliehen. Die Minderjährigen sind oft mit einem afghanischem Pass im Iran geboren und aufgewachsen.

Die zweitgrößte Gruppe stammt demnach aus Pakistan. Dazu kommen die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak sowie Menschen aus Ländern wie etwa Marokko, Algerien. Doch nur wenige dieser Flüchtlinge - mit Ausnahme der Syrer - haben eine Chance auf Schutz in Deutschland. Daher nehme auch die Hilfsbereitschaft diesen Migranten gegenüber spürbar ab, beklagen Hilfsorganisationen vor Ort, etwa das Rote Kreuz. Ausnahme sind Kinder und Jugendliche, die unabhängig von ihrer Herkunft als besonders schutzbedürftig gelten.

Wie wird entschieden, wer ausgeflogen wird?

Die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson ist mehrfach nach Griechenland gereist mit dem Auftrag dort, mit der zuständigen Regierung einen Modus zu finden, nach welchen Kriterien die Kinder und Jugendlichen ausgewählt werden. Vor Ort in den Lagern auf den Inseln der Ägäis übernehmen Hilfsorganisationen wie das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Koordination.

Was sind die größten Schwierigkeiten?

Größtes Problem dabei: Die genaue Feststellung von Identitäten, da die meisten Kinder und Jugendlichen nicht über Ausweispapiere verfügen. In der Regel handelt es sich nicht um Waisenkinder. Daher müssen familiäre Beziehungen im Vorfeld geklärt werden. Oder wie der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagt: "Wir holen da ja Menschen und nicht einfach Säcke Zement, die man einfach so umladen kann."

In diesem Zusammenhang besonders schwierig: die Feststellung des Alters. Viele Flüchtlinge sind schon sehr lange unterwegs. Es bedarf also eine genauen Inaugenscheinname und intensiver Befragung.

Wer soll Hilfe erhalten?

Grundsätzlich haben die meisten Länder angekündigt, besonders Schutzbedürftigen unter 14 Jahren und bevorzugt Mädchen ein neues Zuhause geben zu wollen. Allerdings ist die Gruppe derer, auf die diese Merkmale zutreffen sehr klein: 93 Prozent der unbegleiteten Minderjährigen sind nach Angaben der EU-Kommission männlich.

Nur sieben Prozent sind Mädchen, die in der Regel auf der Flucht von Eltern oder Geschwistern getrennt wurden. Und was das Alter angeht, so sind die meisten Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren alt. Das erklärt, warum es sich bei den Jugendlichen, die jetzt nach Deutschland kommen, überwiegend um Jungen handelt.

Werden nur Minderjährige aufgenommen?

Ärzte ohne Grenzen spricht von etwa 1000 kranken Kindern in den griechischen Camps, die dringend auf medizinische Hilfe angewiesen sind. Das deutsche Innenministerium hatte sich daher darauf verständigt, auch einen Teil dieser Kinder samt ihrer Kernfamilien, also Eltern und direkten Geschwistern aufzunehmen. Aber dieses Unterfangen scheint durch die Corona-Krise fast vollständig zum Erliegen gekommen, weil es noch höhere bürokratische Hürden birgt. Im Moment konzentrieren sich alle Beteiligten vorrangig auf unbegleitete Minderjährige.

Allerdings betont die für Migration verantwortliche EU-Kommissarin Johansson, dass sie weiterhin mit Deutschland in engem Austausch stehe, um bald auch Familien mit kranken Kindern ausfliegen zu lassen.

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Sind die Minderjährigen auf Corona getestet?

Klar ist, alle Kinder, die ausgeflogen werden, wurden im Vorfeld medizinisch gecheckt und ein Corona-Test fiel negativ aus. Dennoch gilt für sie, wie für alle Menschen, die auf dem Luftweg nach Deutschland einreisen, jetzt eine 14-tägige Selbstisolation. Vom Flughafen Hannover werden die Kinder deshalb zunächst in den Landkreis Osnabrück gebracht. Und später auf die einzelnen Bundesländer verteilt.

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