Alte Fabrikhalle
Reportage

Flüchtlinge in Bosnien Vergessen auf der Balkanroute

Stand: 16.06.2020 14:31 Uhr

Im bosnischen Bihac hausen Flüchtlinge im Wald - die Lager in der Region sind voll. Corona ist nicht ihr größtes Problem: Sie kommen nicht weiter und berichten von Misshandlungen durch die Polizei.

Sie gehen vor, über das große Gelände einer alten, zerfallenden Fabrik in Bihac. Sie würde wohl einfach zuwachsen, wenn sie nicht hier hausen würden. Es sind fast durchweg junge Männer und Jugendliche, vorwiegend aus Afghanistan, dem Iran oder Pakistan. 

Schwarzhaarig, schmal und hungrig nach Aufmerksamkeit, zeigen sie alles bereitwillig - und es bricht geradezu aus ihnen heraus. "Wir kennen nur zwei Camps hier: Bira und Lipa. Die Polizei hat uns ein oder zwei Mal nach Lipa gebracht, doch dort haben sie uns gesagt: alles ist voll. Es gibt nur Platz für 1000 Leute. Wir sollen dort hingehen, wo wir hergekommen sind."

Durch den Wald nach Kroatien

Keine Toilette, keine Dusche. Viele Menschen aufeinander und das in Zeiten von Corona. "Wir hier haben andere Probleme", sagt Mustafa. Denn der 26-Jährige versuchte schon mehrfach, ohne gültige Papiere nach Kroatien zu gelangen. Oft viele Tage im Wald unterwegs, in dem Bären, Wölfe, Hunger und wundgelaufene Füße nur einige von vielen Probleme sind.

Kind mit Gipsarm

Ein geflüchteter Vater mit Kind

Die kroatische Polizei greift Menschen regelmäßig auf und bringt sie ohne jede Formalie nach Bosnien und Herzegowina zurück - auch weit aus dem Landesinneren, wie die Männer erzählen. Das hieße, ohne Rücksicht auf geltendes Recht, dafür unter Anwendung roher Gewalt, so lauten die sich wiederholenden Vorwürfe - auch in der alten Fabrik.

"Wenn uns die kroatische Polizei fängt und nach Bosnien abschiebt, dann nimmt sie uns alles weg. Sie nehmen unsere Handys weg, unsere Powerbanks, unser Geld, unsere Schlafsäcke und sie werfen unsere Sachen ins Feuer, auch unsere Schuhe. Und wir kommen zurück und haben nur eine Hose an und ein Hemd", erzählt einer der jungen Männer.

Bericht über schwere Misshandlungen

Menschenrechtsorganisation haben inzwischen Tausende Fälle von Grenzgewalt auf dem Balkan dokumentiert. Die kroatische Polizei gehe an der EU-Grenze zu Bosnien und Herzegowina besonders brutal vor, heißt es sinngemäß in einem neuen Bericht von Amnesty International.

Mann in gelber Weste von der Hilfsorganisation SOS Bihac

Flüchtlinge reden mit einem Mitarbeiter der Hilfsorganisation SOS Bihac.

Dieser bezieht sich auf eine Gruppe verletzter Pakistaner und Afghanen und bosnische Ärzte, die diese behandelt haben. Menschen würden so stark misshandelt, dass komplizierte Brüche und schlimme Kopfwunden die Folge seien. Das kroatische Innenministerium hat alle diese Vorwürfe erneut zurückgewiesen.

In der alten Fabrikhalle zeigen die Männer unterdessen viele Verletzungen. Schlag- und Schürfwunden an Beinen, Händen und am Kopf oder schlecht verheilte Brüche. Viele haben wiederholt versucht, nach Kroatien zu gelangen.

Abasin Al-Wahedi aus Kabul erzählt, er habe in Bihac keinen Platz mehr im Flüchtlingscamp bekommen, stattdessen Misshandlungen, dieses Mal durch die bosnische Polizei. "Ich möchte Sie über die Lage der Flüchtlinge informieren", sagt er. "Polizisten aus Bihac haben mich geschlagen und seitdem höre ich auf einem Ohr nichts mehr."

Hilfe leisten trotz Verbots

Bihac liegt im Nordosten von Bosnien und die Una-Sana-Kantonsregierung möchte die Flüchtenden nicht mehr unterbringen und verfolgt einen entsprechenden Kurs. "Zur Zeit verbietet unsere Regierung, dass wir helfen", sagt Zlatan Kovacevic von der unabhängigen Organisation SOS Bihac. Trotzdem versorgt er die mittellosen und hungrigen Menschen weiter mit Schlafsäcken, Zelten, Essen oder medizinischer Hilfe.

"Die Migranten sind im Stadtzentrum, weil es verboten ist, woanders hinzugehen. In Lipa gibt es keinen Platz, nach Bira möchten sie nicht mehr", sagt er. "Was machen wir mit diesen Leuten? Die Polizei bringt sie weg vom Stadtzentrum, irgendwoanders hin. Aber wo? Sie sind im Chaos." 3000 bis 4000 Migranten seien zur Zeit in Bihac, schätzt Kovacevic.

Ein Jahr auf der Flucht

Zurück in die zerfallende alte Fabrikhalle. Dort hält ein braunhaariger Junge eine Plastiktüte mit Weißbrot hoch. Dies sei alles, was sie hätten, sagt er, den Tränen nahe. Er sei 15 Jahre alt und wolle in Europa arbeiten und seiner Familie in Afghanistan Geld für Essen schicken. Ein Jahr lang sei er unterwegs. Ohne gutes Essen, ohne Geld, ohne seine Eltern.

Auch der Afghane Mustafa Jusufi vermisst seine Familie. Er zeigt auf das marode Dach der alten Fabrikhalle. Große Teile hängen herunter und vor kurzem donnerte ein Stück auf den kahlen, harten Boden, auf dem die obdachlosen Menschen sitzen, liegen oder essen, was sie auf offenem Feuer kochen. Mustafa schläft trotzdem oben auf dem Dach. "Wir haben hier Probleme - wir schlafen jede Nacht wie die Mäuse, weil wir nicht wissen, wann die Polizei kommt und wann wir rennen müssen."