Kanzler Scholz bei einer Veranstaltung in Moskau
Analyse

Scholz zu Besuch in Moskau Kraftakt mit offenem Ausgang

Stand: 15.02.2022 19:03 Uhr

Kanzler Scholz hat in Moskau diplomatisches Fingerspitzengefühl und Rückgrat bewiesen. Und Präsident Putin gezeigt, wie geschlossen der Westen in der Ukraine-Frage zusammensteht.

Eine Analyse von Martin Ganslmeier, ARD Berlin

Vier Stunden lang haben Scholz und Putin miteinander gesprochen. Trotz teilweise gravierender Unterschiede, die auf der gemeinsamen Pressekonferenz deutlich wurden, ist die wichtige Botschaft nach dem Antrittsbesuch des Bundeskanzlers: Beide Seiten sind bereit, den Dialog und die Verhandlungen im Ukraine-Konflikt fortzusetzen.

Auch wenn man Putins Versprechen nicht für bare Münze nehmen darf: Auf die Frage, ob er Krieg in der Ukraine wolle, antwortete Putin glaubhaft: "Natürlich nicht!" Ebenfalls positiv: Noch vor dem Antrittsbesuch von Scholz ließ Russland erste Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine abziehen. Dies kann ein erstes Signal der Entspannung sein.

Welten liegen zwischen den Sichtweisen

Dennoch wurde deutlich, dass zwischen den Einschätzungen von Scholz und Putin noch Welten liegen. Selbst wenn die Verhandlungen weitere Monate andauern und beide Seiten bereit sind, aufeinander zuzugehen, ist derzeit kaum vorstellbar, wie die Gräben überwunden werden können. Der Westen kann unmöglich auf die Maximalforderungen Putins nach einer Rückabwicklung der NATO-Osterweiterung eingehen.

Und Putin machte deutlich, dass ihm ein mündliches Versprechen des Westens, dass die Ukraine auf absehbare Zeit kein NATO-Mitglied werde, nicht ausreicht. Er besteht auf schriftlichen Garantien.

Auch wenn der Ausgang des Konflikts weiter ungewiss ist - die Reise-Diplomatie des Bundeskanzlers war ein Kraftakt, der sich gelohnt hat. Die Bundesregierung und die westliche Allianz haben aus den Fehlern von 2014 gelernt. Damals wurden die NATO-Mitglieder vom russischen Angriff auf die Ukraine überrumpelt und waren gespalten.

Mehr Klarheit über mögliche Sanktionen

Diesmal ist der Westen einig wie selten zuvor. Vorhandene Zweifel daran hat Scholz bei seinen Besuchen in Washington, Kiew und Moskau ausgeräumt. Besonders wichtig war die enge Abstimmung mit den Präsidenten Frankreichs und der USA, die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks mit Polen und Frankreich und der Schulterschluss mit den baltischen Ländern. Scholz lässt auch keinen Zweifel mehr daran, dass die Erdgas-Pipeline "Nord Stream 2" nicht in Betrieb gehen wird, sollte Russland die Ukraine angreifen.

Scholz bewies in Moskau diplomatisches Fingerspitzengefühl: Er rief Russland zur Deeskalation auf und betonte gleichzeitig, nachhaltige Sicherheit könne in Europa nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland erreicht werden.

Gegenüber Putin zeigte Scholz aber auch Rückgrat: Putins Darstellung der NATO als Aggressor im Jugoslawien-Krieg wies der Bundeskanzler mit Verweis auf den damaligen Völkermord trocken zurück.

Nawalny, Memorial, Deutsche Welle

Selbstbewusst sprach der Bundeskanzler auch schwierige Themen an, wie die Verurteilung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, das Verbot der Bürgerrechtsgruppe Memorial und das Vorgehen gegen die Deutsche Welle.

Und als Putin eine Lobeshymne auf seinen Freund Gerhard Schröder und dessen Erdgas-Engagement anstimmte, stellte Scholz klar: "Was Nord Stream 2 betrifft, will ich die privatwirtschaftlichen Aktivitäten eines früheren Politikers nicht weiter kommentieren."

"Wo ist Scholz" wurde vor zwei Wochen in den sozialen Medien gefragt. Der neue Bundeskanzler sei zu passiv in der Ukraine-Krise, warfen ihm Kritiker vor, er verstecke sich im Kanzleramt.

Zwei Wochen später hat Scholz bewiesen, dass er nichts unversucht lässt, um einen russischen Angriff auf die Ukraine zu verhindern. Ob die Shuttle-Diplomatie der vergangenen Tage allerdings Erfolg haben wird, weiß niemand außer vielleicht der russische Präsident.