Olaf Scholz beim EU-Gipfel in Brüssel (Belgien) im März 2023
analyse

Scholz und die EU Auf Kurssuche

Stand: 09.05.2023 06:43 Uhr

Neun Staats- und Regierungschefs haben bisher im EU-Parlament ihre Visionen von Europa vorgestellt. Heute ist der Bundeskanzler dran. Die Erwartungen an seine Rede sind hoch - auch weil seine Europapolitik zuletzt nicht rund lief.

"Das ist Europa" heißt die Debattenreihe. Der Titel ist eine Einladung an die Staats- und Regierungschefs, ihre Ansichten im Plenum des EU-Parlaments zur Diskussion zu stellen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat für seinen Auftritt in Straßburg ein symbolisches Datum gewählt: den Jahrestag der Unterzeichnung der Schuman-Erklärung, die als erster Schritt zur EU von heute gilt.

Prager Rede mit konkreten Forderungen

Nach Ansicht des Bundeskanzlers muss sich die Union angesichts der Zeitenwende durch Russlands Überfall auf die Ukraine weiterentwickeln, um gegen Herausforderungen von außen zu bestehen. In einer Grundsatzrede in Prag sprach Scholz im Sommer von der "neuen Friedensaufgabe Europas".

Europa muss unabhängiger, stärker, souveräner werden - das ist für Scholz die Lehre aus dem Krieg. In Industrie und Handel, wo es gelte, sich im internationalen Wettbewerb an die Spitze zurückzukämpfen. Und in der Verteidigung, wo EU-Regierungen sich besser abstimmen und gemeinsam mehr Geld ausgeben sollten.

Konkret regte Scholz in Prag eine gemeinsame europäische Luftverteidigung an: Deutschland werde entsprechende Systeme so ausgestalten, dass sich Partner beteiligen können. Ein Vierteljahr danach haben europäische NATO-Staaten auf deutsche Initiative den "European Sky Shield" aufgebaut, um sich gegen Angriffe mit Geschossen, Flugkörpern oder Flugzeugen zu wappnen. Mittlerweile sind 17 Länder dabei.

Plädoyer für Mehrheitsentscheidungen

So schnell geht es bei EU-Reformen nicht, die es nach Ansicht des Bundeskanzlers aber braucht, bevor die Gemeinschaft weitere Länder aufnimmt. Ungarn und Polen haben immer wieder EU-Beschlüsse blockiert, für die Einstimmigkeit nötig war.

Scholz plädiert für Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Steuerpolitik. Die Zeitenwende habe den Handlungsdruck so erhöht, dass ein Festhalten am Prinzip der Einstimmigkeit nicht mehr funktioniere, sagte Scholz in Prag.

Das Problem: Um die Einstimmigkeit abzuschaffen, braucht es einen einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs - und einige wollen sich den Hebel nicht aus der Hand nehmen lassen, mit dem sie die Mehrheit zu Zugeständnissen bewegen können.

Auch Kommission und Parlament müssten sich nach Scholz' Ansicht vor einer EU-Erweiterung reformieren. Konkret wurde er dazu in Prag nicht.

Kritik an Berlin

Im Straßburger Plenum wird der Bundeskanzler an seine Prager Rede anknüpfen und wohl auch die Handlungsfähigkeit der Institutionen ansprechen. Aber manche Abgeordnete erwarten sich mehr. Schließlich lief die deutsche Europapolitik in den vergangenen Monaten nicht immer rund.

Osteuropäische Regierungen und die eigenen Koalitionspartner kritisierten Scholz als zögerlich bei der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. Im Herbst beschwerten sich einige Hauptstädte über Berlins "Doppel-Wumms" - die milliardenschwere Abfederung der hohen Energiepreise für Haushalte und Firmen, die sich andere Länder nicht leisten können.

Paris beschwerte sich, nicht in die Pläne eingebunden zu sein. Überhaupt hat sich das für Europa so wichtige deutsch-französische Verhältnis abgekühlt, weil Berlin und Paris in Energie-, Finanz- und Verteidigungsfragen unterschiedlich ticken und weil die Chemie zwischen Scholz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht zu stimmen scheint.

Zweifel an Europatauglichkeit

Der Rest der EU erwartet von Deutschland als wirtschaftsstärkstem Mitgliedsland, das große Ganze im Blick zu behalten, zu vermitteln und dabei kleinere Partner mitzunehmen, so wie es Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel tat.

Nach Ansicht von Kritikern füllt der amtierende Bundeskanzler diese Rolle noch nicht aus. Zuletzt weckte der deutsche Einspruch in letzter Minute gegen das Aus des Verbrennungsmotors in Brüssel Zweifel an Berlins Europatauglichkeit.

Scholz ist der zehnte EU-Regierungschef, der in Straßburg auftritt. Im Anschluss an seine Rede findet im Plenum eine Debatte statt. Deutsche Abgeordnete aus mehreren Fraktionen rechnen mit einer kritischen Aussprache.

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