Trauernde vor der Crocus City Hall im Moskauer Vorort Krasnogorsk.

Nach Anschlag bei Moskau Quälende Stunden für die Angehörigen

Stand: 25.03.2024 00:39 Uhr

Wer sind die Toten? Diese Frage quält viele Angehörige nach dem Terroranschlag bei Moskau - denn die meisten der Opfer sind noch nicht identifiziert. Vier Tatverdächtige sitzen inzwischen in Untersuchungshaft.

Nach dem Anschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau ist der Großteil der 137 Toten noch nicht identifiziert. Die Moskauer Gesundheitsbehörde teilte mit, dass die DNA-Tests bis zu zwei Wochen dauern könnten. Zahlreiche Opfer seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Viele Menschen, deren Angehörige bei dem Konzert in der "Crocus City Hall" waren und seither vermisst sind, wissen deshalb noch nicht, ob ihre Angehörigen tot sind.

Zudem wird befürchtet, dass in der ausgebrannten Ruine des riesigen Veranstaltungszentrums noch weitere Opfer gefunden werden. Man setze die Bergungsarbeiten rund um die Uhr fort, hieß es von den Behörden. Knapp 4.000 Menschen spendeten bis zum Abend Blut, um die ärztliche Behandlung der Verletzten zu erleichtern.

Bewaffnete waren am Freitagabend vor Beginn eines Konzerts in die "Crocus City Hall" eingedrungen und hatten wahllos auf Besucher geschossen. Zudem legten sie Brände. Laut den Behörden kamen viele der Getöteten durch Rauchgasvergiftungen ums Leben.

Blumen am Tatort, Fahnen auf halbmast

Wegen des Anschlags wurde in Russland am Sonntag ein Tag der Trauer eingelegt. Am Zaun vor der abgeriegelten Konzerthalle standen Hunderte trauernde Menschen Schlange, um Blumen an einem improvisierten Gedenkort niederzulegen. Auch Spielzeug wurde niedergelegt, weil Kinder zu den Toten und Verletzten zählen. Über dem Kreml wehte die Fahne auf halbmast. Auf Leuchttafeln in der russischen Hauptstadt flackerte anstelle von Werbung die Aufnahme einer Kerze und darunter die Aufschrift: "Wir trauern. 22.03.2024."

In dem großen Konzertsaal hätte am Freitag die russische Rockgruppe Piknik auftreten sollen. Eine Augenzeugin berichtete der Nachrichtenagentur dpa, sie habe gerade mit ihrem Mann auf einer der oberen Besuchertribünen gestanden, als die bewaffneten Angreifer den Saal stürmten. "Wir wollten ein Erinnerungsfoto machen." Erst habe sie die Explosionsgeräusche für lauten Begrüßungsapplaus für die Künstler gehalten, erinnert sie sich. "Aber es knallte weiter. Da habe ich sofort verstanden, dass etwas nicht stimmt."

"Wir werden jeden einzelnen rächen"

Nach Worten des Vizechefs des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, wird Russland die Drahtzieher des Anschlags ins Visier nehmen. "Wir werden jeden einzelnen rächen. Und diejenigen, die daran beteiligt sind, unabhängig von ihrem Herkunftsland und ihrem Status, sind jetzt unser wichtigstes und legitimes Ziel", teilte Medwedew via Telegram mit.

Die Deutungen darüber, wer hinter dem Anschlag steckt, gehen allerdings auseinander. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) reklamierte die Tat in mehreren Bekennerschreiben für sich. Dennoch will Russland eine Verwicklung der Ukraine sehen, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg führt.

Wladimir Putin

Russlands Präsident Putin ließ sich beim Anzünden einer Kerze für die Terroropfer fotografieren.

Untersuchungshaft für vier Tatverdächtige angeordnet

Am Sonntagabend erließ ein Gericht in Moskau die ersten Haftbefehle gegen Verdächtige. Vier Männer seien des "Terrorismus" beschuldigt und müssten mit einer lebenslangen Haftstrafe rechen, erklärte das Gericht im Moskauer Bezirk Basmanni. Demnach bekannten sich mehrere der Angeklagten für schuldig. 

Die nun bis zum 22. Mai festgelegte Untersuchungshaft kann demnach bis zum Beginn des Prozesses gegen die Männer verlängert werden. Ein Datum für den Beginn des Verfahrens ist noch nicht festgelegt worden. Die russischen Behörden haben bislang die Festnahme von 11 Verdächtigen vermeldet, darunter die vier nun in Untersuchungshaft befindlichen mutmaßlichen Angreifer.

Putin spricht von Spur in die Ukraine

Russlands Präsident Wladimir Putin sprach bereits am Samstag in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede von einer angeblichen Spur in die Ukraine. Mit Blick auf mehrere festgenommene Verdächtige sagte er: "Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war."

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies jede Verwicklung seines Landes in den Anschlag zurück. "Putin und die anderen Bastarde" versuchten nur, "jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben", sagte Selenskyj am Samstag in seiner Videoansprache. Auch die USA erklärten, dass es für eine Verantwortung der Ukraine keinerlei Hinweise gebe.

Ein Verdächtiger wird in die Zentrale des russischen Ermittlungskomitees eskortiert.

Ein Verdächtiger wird in die Zentrale des russischen Ermittlungskomitees eskortiert.

Terrormiliz IS veröffentlicht Video

Der IS-Propagandakanal Amak wiederum veröffentlichte als angeblichen Beweis, für den Angriff verantwortlich zu sein, ein Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. Zudem wurde ein Bild der angeblichen Attentäter gezeigt, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen "schweren Schlag" versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe "Tausenden Christen in einer Musikhalle" gegolten. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige.

Terrorismusexperten stuften das Bekennerschreiben als glaubwürdig ein. Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte es glaubhaft, dass der IS-Ableger, die Gruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK), den Anschlag zu verantworten habe. Von dieser gehe derzeit auch für Deutschland die größte Gefahr aus, sagte Faeser der Süddeutschen Zeitung. Die ISPK-Terrorgruppe hat ihren Ursprung in Afghanistan. Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan und vom Iran umfasste. 

Putin-Getreue fordern Todesstrafe

Unterdessen sprachen sich innenpolitische Verbündete von Putin für die Wiedereinführung der Todesstrafe in Russland aus. "Jetzt werden viele Fragen zur Todesstrafe gestellt. Es wird eine Entscheidung getroffen werden, die der Stimmung und den Erwartungen unserer Gesellschaft entspricht", sagte der Fraktionschef der Regierungspartei Geeintes Russland, Wladimir Wassiljew, in einem Video. Die Todesstrafe ist in Russland seit 1996 per Moratorium ausgesetzt.

Der Vizevorsitzende des Ausschusses für Sicherheitsangelegenheiten in der Duma, Juri Afonin, sagte: "Es ist notwendig, die Todesstrafe wieder einzuführen, wenn es um Terrorismus und Mord geht."  Bereits am Freitag hatte Medwedew via Telegram erklärt: "Terroristen verstehen nur vergeltenden Terror. Tod für Tod."

Frankreich ruft höchste Sicherheitsstufe aus

Am Abend wurde bekannt, dass Frankreich nach dem Terrorangriff in Russland die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen hat. Angesichts des vom IS beanspruchten Attentats und der Bedrohung, die auf Frankreich laste, habe man sich zu diesem Schritt entschlossen, schrieb Premierminister Gabriel Attal auf X. Die Entscheidung sei nach dem von Staatschef Emmanuel Macron am Sonntag im Élysée-Palast einberufenen Verteidigungs- und Sicherheitsrat gefallen. 

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