Ukrainische Soldaten in Kiew

Kampf um Kiew Russischer Angriff vorerst abgewehrt?

Stand: 26.02.2022 14:17 Uhr

In der Nacht wurden aus Kiew heftige Kämpfe gemeldet - doch die Ukraine wehrte russische Angriffe laut eigenen Angaben ab. Auch Präsident Selenskyj bleibt in der Stadt. Anderswo rücken die Russen hingegen angeblich vor.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in einer neuen Videobotschaft über andauernde Kämpfe in Kiew und anderen Landesteilen berichtet. In der rund fünfminütigen Ansprache sagte er, russische Truppen wollten das Stadtzentrum von Kiew einnehmen und wie in den ostukrainischen Separatistengebieten "ihre Marionetten installieren": "Wir haben ihren Plan durchkreuzt."

Bislang seien die Hauptstadt und andere strategisch wichtige Städte unter Kontrolle der ukrainischen Armee. Die Russen hätten alles eingesetzt, den Widerstand der ukrainischen Armee aber nicht brechen können. Selenskyj warf Russland zudem vor, ukrainische Wohngebiete zu attackieren. Moskau bestreitet das.

Konfliktparteien als Quelle
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Appell an die russische Bevölkerung

Selenskyj richtete sich auch direkt an die russische Bevölkerung. Er wisse, dass "viele Menschen in Russland einfach schockiert über die Schäbigkeit und Grausamkeit" ihrer Regierung seien. Die Russen müssten dem Kreml nun deutlich machen, "dass dieser Krieg sofort beendet werden muss", sagte er unter Verweis auch auf die russischen Todesopfer.

Der ukrainische Staatschef sprach sich für eine EU-Mitgliedschaft seines Landes aus - derzeit ein aussichtsloses Unterfangen. Er forderte darüber hinaus Deutschland und Ungarn auf, einen Ausschluss Russlands aus dem internationalen Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift voranzutreiben. Die EU und die USA haben bereits weitreichende Wirtschaftssanktionen als Reaktion auf die russische Aggression in der Ukraine verhängt.

Ausgangssperre ausgedehnt

Ähnlich zur Lage in Kiew äußerte sich Bürgermeister Vitali Klitschko: "Die Nacht war schwer, doch es gibt keine russischen Truppen in der Stadt", sagte er in einem Telegram-Clip. Mit Stand 5.00 Uhr MEZ gebe es 35 Verletzte, unter ihnen zwei Kinder.

Der Bürgermeister verschärfte die Ausgangssperre in der Stadt: Wer sich zwischen 17.00 und 08.00 Uhr auf der Straße aufhalte, werde als "Feind" betrachtet, erklärte Klitschko via Telegram. Bisher hatte die kriegsbedingte Ausgangssperre in der ukrainischen Hauptstadt von 22.00 bis 07.00 Uhr gegolten. "Alle Zivilisten, die sich während der Ausgangssperre auf den Straßen aufhalten, werden als Mitglieder von Sabotage- oder Aufklärungstruppen des Feindes betrachtet", betonte Klitschko. Er kündigte zugleich an, dass der U-Bahn-Verkehr in der Hauptstadt eingestellt werde. Die U-Bahn-Stationen dienten nun als Schutzräume für die Bürger der Stadt. 

Durch Beschuss beschädigtes Hochhaus in Kiew

Dieses Kiewer Hochhaus wurde durch Beschuss schwer beschädigt.

Bevölkerung vor Straßenkämpfen gewarnt

Die Behörden warnten die Bevölkerung Kiews vor Straßenkämpfen. "Auf den Straßen unserer Stadt laufen jetzt Kampfhandlungen. Wir bitten darum, Ruhe zu bewahren und maximal vorsichtig zu sein!", hieß es in der Mitteilung. Wer in einem Bunker sei, solle dort bleiben. Im Fall von Luftalarm sollten die Menschen den nächsten Bunker aufsuchen.

Zu Hause sollten die Menschen nicht ans Fenster oder auf Balkone gehen und sich abdecken, um sich vor Verletzungen zu schützen.

Der U-Bahn-Betrieb ist eingestellt. Die Stationen dienen ausschließlich dem Schutz der Menschen, die dorthin bei Sirenenalarm fliehen oder dort bereits die ganze Zeit ausharren.

Die Karte zeigt die Ukraine mit dem Separatistengebiet in Luhansk und Donezk sowie Teile Russlands und Belarus'.

Heftige Kämpfe in der Nacht

Vom Stadtrand der ukrainischen Hauptstadt Kiew waren in der Nacht Schüsse und Kämpfe gemeldet worden. Russische Truppen beschossen nach Angaben der ukrainischen Armee eine Kaserne. Der Angriff sei zurückgeschlagen worden. Auf Videos, die in sozialen Netzwerken geteilt wurden, waren Explosionen und Schüsse zu hören.

Russische Truppen versuchten zudem, das Heizkraftwerk Nr. 6 in Nordosten Kiews anzugreifen. Eine Rakete traf ein Hochhaus am südwestlichen Rand der Stadt nahe dem Flughafen Schuljany.

Am frühen Morgen schossen die Ukrainer laut eigenen Angaben eine russische Rakete ab, die auf den der Wasserversorgung Kiews dienenden Staudamm zugesteuert sei. Dessen Zerstörung würde zu einem katastrophalen Verlust von Menschenleben führen, erklärte das Infrastrukturministerium.

Bürgermeisterin: Angriff auf Militärstützpunkt gescheitert

Die Bürgermeisterin der Stadt Wassylkiw, die 40 Kilometer südlich des Kiewer Stadtzentrums liegt, sagte, das Militär habe einen Versuch russischer Soldaten abgewehrt, die Kontrolle über einen Militärstützpunkt zu erlangen. Dabei sei es auch auf der Hauptstraße von Wassylkiw zu heftigen Kämpfen gekommen. Es habe schwere Verluste gegeben.

Russen melden Eroberung von Großstadt

In der Nähe der westukrainischen Metropole Lwiw (Lemberg) wurde nach Angaben von Bürgermeister Andrij Sadowyj ein russischer Angriff zurückgeschlagen. Drei Hubschrauber hätten am Morgen etwa 60 Fallschirmjäger bei Brody abgesetzt, rund 90 Kilometer nordöstlich von Lwiw. "Wir behalten die Situation unter Kontrolle", betonte Sadowyj.

Im Südosten der Ukraine eroberten russische Truppen laut Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau die Großstadt Melitopol. Die Stadt liegt in der Nähe des Asowschen Meeres zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und den Separatistengebieten der Ostukraine. Der britische Verteidigungsstaatssekretär James Heappey sagte hingegen, nichts deute auf eine Einnahme hin. Auch um Mariupol, das an die Separatistengebiete grenzt, wird gekämpft.

Im Südwesten rückten die russischen Truppen in Richtung Odessa vor. Die Hafenmetropole ist die drittgrößte Stadt des Landes.

Separatisten rücken angeblich vor

Laut russischen Angabe rückten Separatisten-Kämpfer aus der ostukrainischen Region Luhansk bislang etwa 30 Kilometer in bislang von ukrainischen Regierungstruppen kontrolliertes Gebiet vor. Donezker Kämpfer hätten mit russischer Unterstützung weitere Geländegewinne über sechs Kilometer erzielen können. Am Freitagabend hatte es geheißen, die Aufständischen seien dort 25 Kilometer weiter in ukrainisches kontrolliertes Gebiet vorgedrungen.

Russland setze laut eigenen Angaben insgesamt mehr als 800 ukrainische Militärobjekte "außer Gefecht": 14 Militärflugplätze, 19 Kommandoposten, 24 Flugabwehr-Raketensysteme vom Typ S-300 und 48 Radarstationen. Zudem seien acht Marine-Boote der Ukraine getroffen worden.

Die ukrainischen Streitkräfte töteten bislang laut eigenen Angaben 3500 russische Soldaten und nahmen 200 gefangen. Zudem seien 14 Flugzeuge, acht Hubschrauber, 102 Panzer und mehr als 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden. Der Gesundheitsminister erklärte, bislang seien 198 Zivilisten getötet worden. Darunter seien drei Kinder.

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