Jaroslaw Kaczynski beantwortet in Warschau (Polen) Fragen, umringt von Reportern
reportage

Regionalwahlen in Polen Wo sich die einstige Erfolgsformel der PiS rächt

Stand: 07.04.2024 11:36 Uhr

Die Kommunalwahl in Polen ist der erste Stimmungstest im Land seit der Abwahl der PiS-Regierung. Der neue Premier Tusk und die neue Opposition hoffen deshalb auf ein landesweites Signal. Doch die PiS hat national ein Problem.

"Gehen Sie wählen!", ruft Krystian Majewski und winkt mit einem Flyer. Aber nur wenige Menschen greifen zu. Ein älterer Herr freut sich, weil er Majewski erkennt - den jungen Kandidaten der PiS in Konin, ziemlich genau in der Mitte zwischen Warschau und der polnisch-deutschen Grenze. Majewski freut sich auch. Politik sei eine Droge, sagt er: "Wenn der Mensch das Gefühl bekommt, dass er Einfluss nehmen kann auf die Realität, dass er etwas ändern kann, was bleibt, dann ist das verlockend. Dann macht er immer weiter."

Und Majewski macht immer weiter. Mit 16 hat er angefangen in der Lokalpolitik, mit 20 saß er im Stadtrat, jetzt mit 30 steht er auf Platz 1 der PiS-Liste. Majewski ist Lokalpolitiker aus Überzeugung, und in Konin gibt es viel zu tun. Die Stadt ist mit einem Kohletagebau groß geworden. Aber der wirft kaum noch etwas ab und die Industrie, die um den Tagebau entstanden war, der Maschinenbau, die Hütte, gehen mit ihm zu Grunde.

"Der kommunistische Staat hat viel Geld in das Wachstum von Konin investiert", erzählt Majewski. Von 15.000 Einwohnern nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Stadt, staatlich gewollt, zu Zeiten der Volksrepublik auf gut 90.000 Einwohner angewachsen - inzwischen sei die Einwohnerzahl allerdings wieder rückläufig.

Konins Bürgermeister von der PO, der Partei von Polens Premierminister Donald Tusk, will die Stadt als Modellprojekt für die Energiewende retten und setzt dazu auf Wasserstoffbusse und kostenlosen Nahverkehr. Majewski sieht die Zukunft eher in dem Atomkraftwerk, das hier entstehen soll - ein Projekt der PiS, von dem jedoch nicht klar ist, wann und ob es überhaupt kommt.

Wegen der Sozialpolitik in der PiS

Majewski ist PiS-Mitglied nicht wegen ihres nationalistischen Programms, nicht wegen ihrer europa- und vor allem deutschlandkritischen Haltung oder wegen des permanent propagierten Kulturkampfes gegen sexuelle Minderheiten und Geflüchtete. Er versteht sich als Anwalt der Älteren und Schwächeren. Er sei Patriot aus einer Arbeiterfamilie und deren Bedürfnisse habe bisher vor allem die Sozialpolitik der PiS adressiert.

Die Partei wurde bei den zurückliegenden Wahlen 2018 stärkste Kraft in Konin, landete aber mangels Koalitionspartner in der Opposition - genau wie national bei den Parlamentswahlen.

Es geht auch um die Regierung

Knapp vier Monate nach dem Regierungswechsel hat Tusk die Kommunalwahl auch zu einem Votum über die neue polnische Regierung gemacht. Tobias Bochenski, der PiS-Kandidat in Warschau, nimmt die Herausforderung gern an. Er steht in den Umfragen auf dem dritten Platz und hat keine realistische Chance, nächster Stadtpräsident von Warschau zu werden.

Also spricht er bei Wahlkampfauftritten lieber über nationales Steuerrecht. Anfang April erklärt er auf dem Warschauer Altstadtmarkt, die Polinnen und Polen müssten entscheiden, "welche Politiker die Herausforderungen Polens lösen sollen, ob sie die Kosten auf die Einwohner und auf Polen übertragen, wie das die aktuelle Regierung macht. Oder ob sie Politik wie die Regierung und die Politiker der PiS machen".

Bochenski hat die ehemalige Premierministerin und den früheren Verteidigungsminister der PiS mitgebracht. Zusammen schlagen sie neue Regeln für die Mehrwertsteuer vor - nichts, was tatsächlich bei Regionalwahlen zur Debatte stünde. Die 100 Maßnahmen, die Tusk für die ersten 100 Tage seiner Regierung versprochen hatte, seien eher 100 Lügen, erklären PiS-Vertreter während der Wahlkampagnen im ganzen Land.

Tatsächlich ist bisher weniger als ein Viertel der Versprechen tatsächlich umgesetzt. Nach den Wahlen könnte Tusk sowohl von den eigenen Leuten als auch von den Koalitionspartnern seiner Regierung für jedes verlorene Mandat verantwortlich gemacht werden.

Stimmt die Richtung?

Die bisherige Regierungsbilanz dürfte dennoch nicht wahlentscheidend sein, sagt die Politologin Agnieszka Lukasik-Turecka von der katholischen Universität Lublin. Den Menschen sei bewusst, dass Tusk nicht allein regiert, also mit sehr unterschiedlichen Koalitionspartnern Kompromisse aushandeln müsse. Außerdem kann der PiS-nahe Präsident Andrzej Duda mit seinem Vetorecht viele Reformprojekten schlicht verhindern.

"Ich glaube, jedem vernünftigen Menschen war klar, dass es nicht möglich sein würde, derart ernsthafte Projekte in den ersten 100 Tagen umzusetzen.", sagt Lukasik-Turecka. Aus der Perspektive zumindest der Menschen, die die Regierung gewählt haben, sei ohnehin wichtiger, "ob die Richtung stimmt, sodass Veränderungen in Sicht sind". Und das sei durchaus der Fall.  

PiS in schwieriger Lage

Nach einem PiS-Comeback sieht es laut Wahlforscher Marcin Palade nicht aus: Die Situation der Partei sei "viel schlimmer" als bei den Regionalwahlen 2018. Damals habe sie den Staatspräsidenten und die Regierung in Warschau gestellt. Getragen von diesem Erfolg konnte sie auch in den Regionen punkten und in acht von 16 Woiwodschaften, also in der Hälfte aller Landesparlamente, allein- oder mitregieren. Diesmal, so Palade, könnte sie auf ein einziges Parlament in der PiS-Hochburg Podkarpacie abrutschen.

Dabei steht die Partei in Umfragen außerhalb der großen Städte gar nicht schlecht da. In vielen Gemeinden und Landkreisen könnte sie erneut stärkste Kraft werden. Sie gilt aber als kaum koalitionsfähig - und darum nicht regierungsfähig.

Und die Partei hat ein grundsätzliches Problem: Durch ihren zentralistischen Aufbau sei sie "in den Kommunalverwaltungen nicht gut verankert", sagt Palade. Jetzt rächt sich, dass die gesamte Partei um einen Mann in Warschau kreist, um Jaroslaw Kaczyński und dessen immer radikaleren Kurs.

Krystian Majewski in Konin zahlt dafür gleich dreifach. Denn die ideologisch aufgeladene Politik der Warschauer PiS-Zentrale macht sich auch im Stadtrat bemerkbar. Die großen, nationalen Streitthemen, "die Polen so spalten", sagt er, würden auch in Konin die Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg immer schwerer machen. "Aber in einer Stadt mit 60.000 Einwohnern kann man keine Polarisierung gebrauchen. Das zerstört alles."

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