Aktivistinnen in Valetta halten Transparente auf Englisch und Maltesisch hoch, auf denen zu lesen ist: "Ich entscheide", "Abtreibung ist das Recht der Frau" und "Abtreibung ist Gesundheitsfürsorge, kein Verbrechen".
europamagazin

Malta Verzweifelter Kampf gegen das Abtreibungsverbot

Stand: 03.06.2023 15:02 Uhr

Malta hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze in der EU. Die regierende Labour-Partei will das Gesetz etwas lockern, doch das Verfahren zieht sich hin. Der Fall einer Touristin verstärkt die Debatte.

Maria sitzt in einem ärztlichen Behandlungszimmer, irgendwo auf Malta. Maria ist nicht ihr wahrer Name, sie muss anonym bleiben. Sie will nur im Beisein ihrer Frauenärztin reden, in einem geschützten Rahmen. Denn Maria ist vor zwei Jahren schwanger geworden - ungewollt. Deshalb habe sie gleich an Abtreibung gedacht.

Ich hatte Angst, dass die Polizei meine Kreditkartendaten abfragen würde, weil man diese Pillen online mit der Kreditkarte bezahlt. Ich hatte Angst, auf diese Weise entdeckt zu werden. Ich hatte Angst, dass sie meine IP-Adresse verfolgen würden, während ich 'Abtreibung in Malta' google und sie damit herausfinden würden, dass ich nach diesen Dingen suche.

Hohe Haftstrafen bei Abtreibung

Maria hatte so große Angst, weil Abtreibung in ihrer Heimat verboten ist. Frauen drohen bis zu drei Jahre Haft. Doch die damals 25-Jährige sah keine andere Möglichkeit.

Übers Internet bestellte sie Abtreibungspillen. Mifepriston und Misopristol sind die Wirkstoffe, die die Schwangerschaft medikamentös abbrechen, zuhause, ohne Überwachung. Dabei wäre Maria am liebsten ins Krankenhaus gegangen.

Was ich wollte, war eine angemessene Gesundheitsversorgung. Denn das ist das, was du brauchst. In deinem Körper passiert etwas, von dem du nicht möchtest, dass es passiert, aber du kannst nicht richtig mit einem Arzt sprechen. Du musst irgendwie in den Untergrund gehen.

Keine Rücksicht auf die Gesundheit der Mutter

So wie Maria geht es vielen Frauen auf Malta. Nach Schätzungen der Organisation Doctors for Choice sind es mindestens 300 im Jahr. Das Verbot gilt sogar, wenn möglicherweise das Leben der Mutter auf dem Spiel steht.

Wie bei Andrea Prudente, einer US-Amerikanerin. Mit ihrem Partner macht sie im Juni 2022 Urlaub auf Malta, sie ist in der 16. Woche schwanger, ein Wunschkind. Doch sie bekommt Blutungen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Schließlich wird klar: Das Kind hat keine Überlebenschancen mehr.

Doch die Ärzte dürfen nicht eingreifen, da noch die Herztöne des Kindes zu hören sind. Obwohl das Infektionsrisiko für die Mutter immens hoch ist. Der Partner von Prudente macht sich große Sorgen, denn auch ein Flug in ein anderes Land wäre riskant. Prudente könnte während des Fluges Blutungen bekommen, die außerhalb eines Operationssaales schwer zu stoppen wären. Schließlich wird sie nach Mallorca ausgeflogen, dort nehmen die Ärzte den Abbruch vor.

Andrea Prudente liegt in ihrem Bett im Krankenhaus auf Malta.

Die US-Amerikanerin Andrea Prudente verklagte Malta, nachdem sie dort trotz Gefahr für ihr Leben nicht abtreiben durfte.

Klage gegen Malta

Später verklagt Prudente den Staat Malta wegen Verletzung von Menschenrechten. Ihre Anwältin Lara Dimitrijevic setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Frauen in Malta mehr Rechte bekommen.

Als der Fall ihrer Klientin Schlagzeilen machte, so erzählt sie, hätten sich viele andere Frauen gemeldet und in den Sozialen Medien Berichte von ähnlichen Situationen gepostet. Wie sie sich ebenso in einer Notlage befunden hätten und Gefahr gelaufen seien, ihr Leben zu verlieren.

Dennoch, so Dimitrijevic, sei Prudente momentan der einzige juristische Fall. "Vergessen wir nicht: Malta ist eine kleine Insel. Jeder kennt jeden. Und es ist nicht einfach für jemanden, einen so öffentlichen und kontroversen Fall durchzustehen."

Abtreibungsgegner lehnen Änderungen ab

Beim Thema Abtreibung ist die Gesellschaft tief gespalten. Auf der einen Seite steht die einflussreiche katholische Kirche, die die Kultur des Landes stark geprägt hat. Sie ist gegen bestimmte Ausnahmen vom Abtreibungsverbot, die das Parlament mit der Mehrheit der regierenden Labour-Partei im Dezember in zweiter Lesung angenommen hat. Der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna, machte unmissverständlich klar, dass das Pauschalverbot nicht aufgehoben werden dürfe.

Seinen Worten nach führt die Gesetzesänderung etwas Neues ein. In dem Text sei auch von Situationen die Rede, "in denen nicht das Leben der Mutter, sondern ihre Gesundheit in Gefahr ist. Damit schlägt es vor, dass die Gesundheit bewahrt werden kann, indem ein neues menschliches Leben getötet wird. Das bedeutet Abtreibung."

Das befürchten auch Pro-Life-Aktivisten und die Opposition im Parlament, die Nationalistische Partei. Jurastudent Thomas De Martino ist für sie politisch aktiv und glaubt, dass über den Bezug zur Gesundheit der Mutter klammheimlich eine Legalisierung der Abtreibung eingeführt werde: "Der Wortlaut definiert nicht, was ein Notfall ist oder was ein Problem darstellt. Somit würde das alles der Interpretation öffnen und es wäre nichts anderes, als eine Abtreibung durchführen zu lassen."

Das Parlamentsgebäude von Malta

Im Dezember stimmte das maltesische Parlament für eine Lockerung des Abtreibungsverbots. Noch ist unklar, ob diese Änderung in Kraft treten wird.

Frauen müssen freie Wahl haben

Auf der anderen Seite stehen Initiativen wie Doctors for Choice. Ihrer Ansicht nach benachteiligt das generelle Abtreibungsverbot Frauen und setzt ihr Leben unnötig aufs Spiel. Sie setzen sich für eine freie Wahl ein. So hat die Gynäkologin Isabel Stabile einen Appell bei Gericht eingereicht, der von 135 Ärztinnen und Ärzten unterzeichnet worden war.

Tenor: Das generelle Abtreibungsverbot in Malta müsse überprüft werden, da es Frauen benachteilige und ihr Leben unnötig aufs Spiel setze. Stabile: "Was wir wirklich wollen, sind weniger Abtreibungen. Aber dafür brauchen wir sexuelle Bildung und Empfängnisverhütung. Diese müssen kostenlos und zugänglich sein, aber sie sind es nicht."

Hoffen auf internationalen Druck

Bislang sieht der neue Gesetzestext vor, dass künftig die Schwangerschaft abgebrochen werden darf, wenn die Gesundheit der Mutter auf dem Spiel steht. Noch ist unklar, ob das Gesetz überhaupt in Kraft treten wird, auch wenn die Regierung das bis zum Sommer anstrebt.

Denn Maltas Präsident Georg Vella müsste es unterschreiben, er ist allerdings als Abtreibungsgegner bekannt. Trotzdem hofft Maria. Sie muss zwar anonym bleiben, aber sie will ihre Geschichte erzählen.

"Ich hoffe, dass dadurch internationaler Druck auf das Land ausgeübt wird, die Abtreibung irgendwann zu legalisieren. Aber ich denke, der erste Schritt wäre die Entkriminalisierung der Abtreibung - aus welchem Grund auch immer sie gemacht wird."

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Europamagazin - am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.

Berichtete Thema 04 Dieses Das Um Thema Im Programm: Class="sendungsbezug über Title">dieses Am