Aubervilliers: Polizeiermittler gehen an ausgebrannten Bussen vorbei.

Krawalle in Frankreich Macron nimmt Eltern und soziale Medien in Verantwortung

Stand: 30.06.2023 20:54 Uhr

Frankreichs Präsident Macron hat nach der dritten Krawallnacht in Folge gefordert, Gewaltaufrufe in sozialen Medien zu entfernen. Außerdem appellierte er an die Eltern. Den nationalen Notstand rief er aber nicht aus.

Nach der dritten Nacht mit Unruhen in ganz Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron explizit die Eltern im Land angesprochen. Ein Drittel der in der vergangenen Nacht Festgenommenen seien sehr jung, sagte er nach einem interministeriellen Krisentreffen in Paris. "Ich fordere alle Mütter und Väter auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden! Die Jugendlichen wirken, als lebten sie auf der Straße aus, was sie in Video-Spielen in sich aufgesogen haben."

Kein nationaler Notstand

Beobachter hatten vermutet, dass Macron nach dem Krisentreffen den nationalen Notstand verhängen könnte. Premierministerin Élisabeth Borne hatte zuvor angekündigt, "alle Hypothesen" zu prüfen, um schnell wieder zur "republikanischen Ordnung" zurückzukehren - auch die Ausrufung des landesweiten Notstands hatte sie nicht ausgeschlossen. Die französische Regierung entschied sich zunächst jedoch dafür, dass das Innenministerium "zusätzliche Mittel" einsetzen solle. Sie erläuterte allerdings nicht genauer, was damit gemeint ist. Später kündigte Innenminister Gérald Darmanin den Einsatz von 45.000 Sicherheitskräften für den Abend an. Diese seien im ganzen Land im Dienst, sagt er dem Sender TF1.

Außerdem sollen in den am stärksten betroffenen Regionen Feste und Versammlungen abgesagt werden. "Wir haben entschieden, in den am stärksten betroffenen Departements mehrere Feste und Versammlungen abzusagen, um die Rathäuser und unsere Landsleute zu schützen", so Macron.

Emmanuel Macron und Elisabeth Borne bei der Krisensitzung der französischen Regierung

Emmanuel Macron (Mitte) bei der Krisensitzung der französischen Regierung

Nahverkehr in der Nacht gestoppt

In ganz Frankreich dürfen Busse und Straßenbahnen ab abends nicht mehr fahren. Innenminister Gérald Darmanin habe die Präfekten in den Regionen angewiesen, ab 21 Uhr den Verkehr dieser Transportmittel einzustellen, teilte das Innenministerium mit.

Zuvor war bereits mitgeteilt worden, dass ein Teil des Nahverkehrs im Ballungsraum Paris abends bis auf Weiteres unterbrochen werde. Alle Straßenbahnen und Busse müssten spätestens um 21 Uhr anhalten, hatte die zuständige Behörde per Twitter mitgeteilt. In der Stadt Clamart im Südwesten der Hauptstadt gibt es bis zum 3. Juli eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 und 6 Uhr.

Laut Innenministerium solle landesweit außerdem der Verkauf von Feuerwerkskörpern, von Benzinkanistern sowie entzündlichen und chemischen Produkten systematisch unterbunden werden.

Das Auswärtige Amt hat wegen der schweren Krawalle seine Reise- und Sicherheitshinweise für Frankreich aktualisiert. "Informieren Sie sich über die aktuelle Lage an dem Ort Ihres Aufenthalts und meiden Sie weiträumig Orte gewalttätiger Ausschreitungen", heißt es in dem veröffentlichten Hinweis für Reisende nach Frankreich. Dies gelte für einige Stadtviertel und Vororte von Paris, vor allem in Nanterre, sowie andere größere Städte Frankreichs.

"Gewalttätige Versammlungen in sozialen Netzwerken organisiert"

Der Staatspräsident machte auch die sozialen Netzwerke für die Gewalteskalation der vergangenen Tage verantwortlich. Dort seien gewalttätige Versammlungen organisiert worden. "Wir werden gemeinsam mit den Betreibern der Plattformen dafür sorgen, dass die sensibelsten Inhalte gelöscht werden. Auch geht es in einigen Fällen darum, die Identität derjenigen herauszufinden, die die Inhalte posten", erklärte er. Außerdem habe er das Gefühl, dass einige Jugendliche auf der Straße Videospiele nachahmten.

In der vergangenen Nacht waren laut französischem Innenministerium etwa 40.000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, davon etwa 5000 in Paris. Trotz der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen kam es in mehreren Städten wie Paris, Marseille, Lyon, Toulouse oder Lille zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dabei wurden 249 Einsatzkräfte verletzt, hatte Innenminister Gérald Darmanin mitgeteilt. Schwere Verletzungen habe jedoch niemand erlitten.

Autos wurden in Brand gesetzt und Barrikaden auf den Straßen errichtet. In Paris wurden Schaufenster von Geschäften eingeworfen. Wie die Zeitung "Le Monde" weiter berichtete, wurden in Aubervilliers nahe der Hauptstadt mehrere Busse in Brand gesteckt, woraufhin der Betrieb mehrerer Linien zeitweise eingestellt oder eingeschränkt wurde.

Auch in Grenoble wurde ein Bus mit Feuerwerkskörpern beschossen. Die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe legten daraufhin die Arbeit nieder. In der Hafenstadt Marseille gerieten in der Nacht Hunderte Protestierende mit der Polizei aneinander, Geschäfte wurden geplündert. Die Polizei feuerte Tränengas ab, als es zu Zusammenstößen mit Jugendlichen kam, berichtete die Zeitung "La Provence".

875 Menschen festgenommen

875 Menschen wurden in der Nacht festgenommen, teilte das Innenministerium mit. 408 Festnahmen habe es in Paris und den Vororten gegeben.

"Heute Nacht haben sich unsere Polizisten, Gendarmen und Feuerwehrleute erneut mutig einer außerordentlichen Gewalt entgegengestellt", sagte Innenminister Darmanin. Gemäß seiner Anweisungen hätten sie hart gegen Randalierer durchgegriffen. Er dankte allen Mitgliedern der Polizei und Gendarmerie, die sich in der vergangenen Nacht ein weiteres Mal "mit Mut" der Gewalt entgegengestellt hätten.

Wie "Le Monde" berichtete, kündigte die Präsidentin des Regionalrates von Île-de-France, Valérie Pécresse, Soforthilfen in Höhe von 20 Millionen Euro an. Mit der Summe sollten in der Region, zu der auch Paris gehört, die verursachten Schäden schnellstmöglich beseitigt werden.

17-Jähriger von Polizist erschossen

Vor drei Tagen war ein 17-Jähriger nordafrikanischer Abstammung im Pariser Arbeitervorort Nanterre durch den Schuss aus der Waffe eines Polizisten ums Leben gekommen.

Eine Motorradstreife hatte den Jugendlichen am Dienstagmorgen am Steuer eines Autos gestoppt. Als er plötzlich anfuhr, fiel der tödliche Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten.

Die Staatsanwaltschaft hat wegen des Verdachts des Totschlags ein Verfahren gegen den Beamten eingeleitet. Er kam in Untersuchungshaft. Der Einsatz der Waffe bei der Kontrolle war nicht gerechtfertigt, hieß es von der Staatsanwaltschaft.

Macron kritisierte, dass der "Tod eines Jugendlichen, den wir alle beklagen, instrumentalisiert" werde. "Ich verurteile auf schärfste diejenigen, die diese Situation ausnutzen, um die Institutionen der Republik zu attackieren. Sie laden eine erdrückende Verantwortung auf sich."

Mit Informationen von Julia Borutta, ARD-Studio Paris

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