Eine Gruppe gewählter Abgeordneter der linkspopulistischen Partei LFI ballt die Faust in der Nationalversammlung.

Parlament wählt Vorsitzenden Probelauf für schwierige Mehrheitsfindung

Stand: 18.07.2024 05:44 Uhr

Die neu gewählte französische Nationalversammlung kommt heute zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Dabei wird auch ein Parlamentspräsident gewählt. Nicht nur für das Linksbündnis ist es eine Bewährungsprobe.

Marine Tondelier, die Chefin der französischen Grünen, gibt sich keine Mühe mehr, den Schein zu wahren. Sie sprach im Sender France 2 aus, was viele Wähler des Linksbündnisses wohl denken. "Ich bin angewidert und habe einfach genug. Es tut mir leid, welches Bild wir gerade für die Menschen abgeben, die uns gewählt haben", so Tondelier.

Sie kritisierte vor allem die fehlende Kompromissbereitschaft innerhalb des Bündnisses bei der Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Premierministers. "Jeder Vorschlag für einen Premierminister-Kandidaten wurde von irgendeiner Seite vom Tisch gewischt. LFI und die Sozialisten müssen eine Schnittmenge finden."

Machtkampf innerhalb des Linksbündnisses

Tondelier gilt als Architektin des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire, das als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervorgegangen ist. Nun droht das Bündnis am offen ausgetragenen Machtkampf zwischen den Sozialisten (PS) und der linkspopulistischen LFI zu scheitern. Größter Streitpunkt ist ein gemeinsamer Kandidat für das Amt des Regierungschefs.

Nach langem Hin und Her hat das Linksbündnis einen gemeinsamen Kandidaten für ein anderes Amt bestimmt: das des Parlamentspräsidenten, der heute gewählt wird. André Chassaigne, Mitglied des Parti Communiste und seit 22 Jahren Abgeordneter, stellt sich zur Wahl. Chassaigne gilt als ausgleichender Politiker und wird über Parteigrenzen hinweg geschätzt.

Für das Bündnis ist es ein Kompromiss in letzter Minute - der wohl vor allem zeigen soll, dass das Bündnis handlungsfähig ist und die Grabenkämpfe zumindest vorerst zurückgestellt werden.

 

Premierminister spricht von "traurigem Spektakel"

Das Präsidentenlager nennt die Auseinandersetzungen im Linksbündnis ein "trauriges Spektakel". Gabriel Attal ist als Premierminister nur noch geschäftsführend im Amt, zugleich aber neuer Fraktionschef der Präsidentenpartei im  Parlament. Er warf den Parteien des Nouveau Front Populaire vor, Parteiinteressen vor die des Landes zu stellen.

"Wir haben gearbeitet, während andere sich zerfleischen", so Attal. "Diese inhaltliche Arbeit wollen wir gemeinsam mit den anderen politischen Kräften angehen - unter Ausschluss der Extreme."

Im Klartext: mit allen außer dem rechtsnationalen Rassemblement National und der linkspopulistischen LFI. Doch die Präsidentenpartei ist angezählt und Attal muss als Fraktionschef nun auch interne Fliehkräfte bändigen. Die deuten sich zum Beispiel in der Frage an, welche Prioritäten auf der Suche nach politischen Verbündeten gelten sollen. Manche Schwergewichte wie Ex-Innenminister Gérald Darmanin werben offen für eine Allianz mit den Konservativen. 

Konservative deuten Zusammenarbeit an

Präsident Emmanuel Macron hatte die Abgeordneten nach der Wahl mehrfach aufgefordert, eine breite Allianz aller gemäßigten Kräfte von links bis rechts zu schmieden. Und das könnte die Stunde der Konservativen werden. Die Droite Républicaine, wie sich die Fraktion jetzt nennt, lehnt eine formale Koalition zwar ab, aber Fraktionschef Laurent Wauquiez nutzt einen anderen Begriff, nämlich pacte législatif - also einen "Gesetzgebungspakt".

Dies könnte bedeuten, dass man bei bestimmten Projekten zusammenarbeitet, ohne ein formelles Regierungsbündnis einzugehen. So ähnlich erklärt es die konservative Abgeordnete Annie Genevard. Man habe sich innerhalb der Fraktion auf eine klare Linie verständigt, sagte sie bei France Inter: "Wir wollen konstruktiv sein und Vorschläge machen, daher der 'Gesetzgebungspakt'. Aber wir wollen keiner Regierungskoalition angehören und eine gewisse Unabhängigkeit bewahren."

Sechs Kandidaten für Parlamentsvorsitz

Bislang gibt es offiziell sechs Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten. Darunter ist auch Yaël Braun-Pivet, die auf eine zweite Amtszeit hofft. Ihre Wiederwahl würde der Präsidentenpartei einen wichtigen Posten erhalten.

Doch mit der aktuellen Zusammensetzung der Nationalversammlung ist der Ausgang der Wahl so offen wie kaum je zuvor. Es gibt maximal drei Wahlgänge: In den ersten beiden ist eine absolute Mehrheit nötig, um gewählt zu sein - also mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Sollte das kein Kandidat schaffen, reicht im dritten Wahlgang dann eine einfache Mehrheit.

Vieles wird davon abhängen, ob sich zwischen den einzelnen Wahlgängen Kandidaten zurückziehen, neue Kandidaturen auftauchen oder sich Kompromisse abzeichnen - und wenn ja, zwischen welchen politischen Kräften. Die Wahl zum Parlamentsvorsitz wird zeigen, wo sich Allianzen bilden und wie geschlossen die drei großen Blöcke dastehen. Sie gilt deshalb als eine Art Testballon für die Mehrheitsfindung - und damit perspektivisch für eine Regierungsbildung.

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