Ein Soldat feuert eine Panzerabwehrwaffe ab.
reportage

Ukrainische Soldaten "Wir lernen hier direkt an der Front"

Stand: 09.05.2024 04:17 Uhr

Um mit immer weniger Munition auszukommen, müssen ukrainische Soldaten im Feld laufend den Umgang mit ihren Waffen trainieren. Auch nachts - obwohl das besonders riskant ist.

Von Susanne Petersohn, ARD Kiew

Eine dunkle Nacht nicht weit von der ukrainischen Front entfernt. Mit hoher Geschwindigkeit und quietschenden Reifen kommen Autos angefahren. Eines nach dem anderen schaltet die Scheinwerfer ab. Männer in Uniformen steigen aus den Autos, reden gedämpft, machen Scherze, lachen. Doch die Situation ist gefährlich. Ukrainischen Soldaten treffen sich, um in der Nacht zu trainieren. Im Krieg für den Krieg.

Alle Männer hier sind schon länger im Einsatz. Auch Agat, der 24 Jahre alte Kommandeur. Er ruft die Soldaten zu einer kurzen Besprechung zusammen, bevor es losgeht. "Warum machen wir dieses Training?", fragt Agat und gibt kurz darauf selbst die Antwort. "Damit man sich bei Nacht wenigstens orientieren kann." Beim zurückliegenden nächtlichen Gefecht sei einiges schief gegangen.

Denn gerade im Schutz der Dunkelheit passiert an der Front viel. Russische Truppen bringen Munitionsnachschub oder Verpflegung für die Soldaten ins Kampfgebiet. Es gibt Stellungswechsel oder Verstärkung trifft ein.

Das Training ist deshalb für die ukrainischen Soldaten wichtig, aber auch hochgefährlich: Auf engem Raum versammeln sich viele Soldaten mit Munition und Waffensystemen. Immer wieder beschießt die russische Armee ukrainische Trainingsgelände - besonders jene, die nahe der Front liegen. Offizielle Zahlen zu beim Training verletzten oder getöteten Soldaten gibt es nicht, solche Informationen hält das ukrainische Militär unter Verschluss.

"Schau, wie hell... schön"

Bevor es losgeht, werden Koordinaten festgelegt: Ziele, die mit verschiedenen Waffensystemen getroffen werden sollen. Der 36-jährige Drohnenpilot Andrij überwacht das Geschehen aus der Luft. Anhand der Drohnenaufnahmen werden die Übungen ausgewertet.

Er selbst ist gezeichnet von den letzten Jahren. "Es ist klar, dass wir müde sind. Ich bin müde", sagt er. "Ich bin nicht mehr gesund." Jeden Morgen und jeden Abend nehme er Schmerztabletten ein. "Ich sehe jung aus, aber ich habe fast keine Wirbelsäule mehr. Alle meine Gelenke sind kaputt. Ich sehe schlecht, trage Kontaktlinsen. Ich kann mit einem Ohr nicht hören, mit einem Auge nicht sehen."

Die Soldaten schießen Leuchtgranaten ab, um das Ziel besser zu erkennen. In der sternenklaren Nacht wird weites karges Gelände irgendwo in der Nähe der ukrainisch-russischen Front im Donbass sichtbar. "Schau, wie hell… schön", ruft einer der Soldaten. Andrij erklärt stolz, die US-Leuchtgranaten leuchteten etwa zehn Sekunden länger als die sowjetischen. Trainiert wird hier mit beiden Modellen.

Der Soldat Andrij mit einer Katze

Zwei Jahre im Kampfeinsatz haben seiner Gesundheit hart zugesetzt - das gesteht Soldat Andrij offen ein.

Trainieren, wann immer es möglich ist

"Im Moment trainieren wir jeden Tag", sagt Kommandeur Agat. "Wann immer wir nicht kämpfen, wann immer es möglich ist, wenn es ruhiger ist, können wir trainieren, feindliche Ziele zu beschießen. Mit anderen Worten: Wir lernen hier direkt an der Front."

Das sei besonders wichtig, weil aktuell die Munition so knapp sei. Natürlich würde auch beim Training Munition verbraucht, das brauche es, um die wenige Munition später im Kampf effizienter einsetzen zu können.

Die Soldaten üben, Panzerabwehrraketen vom Typ Javelin und Corsar von der Schulter abzufeuern. "Steht nicht hinter ihm", ruft Agat den herumstehenden Soldaten zu, bevor einer den Abzug drückt. Der Schuss sitzt, die Männer freuen sich.

Nach fast drei Stunden ist das Training beendet. Die Soldaten müssen jetzt schnell in ihre Schlafpositionen verschwinden - weit verteilt, meist in von Zivilisten verlassenen Häusern in der Umgebung.

Keine Regeln für Fronturlaub

Die Lage an der mehr als 1.000 Kilometer langen Front bleibt für die Ukrainer schwierig. Um die Linie weiter halten zu können, benötigt die Armee dringend Artillerie und vor allem auch Soldaten. Mehr als zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion sind viele Soldaten müde und erschöpft. Eine offizielle einheitliche Regelung zur Rotation oder Rückkehr nach Hause gibt es jedoch nicht.

Drohnenpilot Andrij versteht nicht, warum sich manche ukrainischen Männer, die aktuell nicht kämpfen, nicht auf einen möglichen Einsatz an der Front vorbereiten. "Wir werden Leute brauchen, die uns ersetzen", sagt er. "Ich verstehe nicht, warum sie sich im zivilen Leben nicht darauf vorbereiten - keine medizinischen Kurse besuchen, keine Waffen studieren". Unter Umständen könnte der Krieg noch Jahrzehnte lang dauern, meint er.

In der nächtlichen Übung haben die Ausbilder ihr Bestes gegeben, um den Soldaten beizubringen, mit möglichst wenig Munition auszukommen - und die Front weiter zu halten.

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