Mit einem Traktor wird gegen das geplante Abkommen der EU mit den Mercosur-Staaten protestiert (26.11.2024, Südwestfrankreich).

EU-Abkommen mit Mercosur-Staaten Zu viel Widerstand gegen Freihandel?

Stand: 05.12.2024 06:56 Uhr

Endlich das Freihandelsabkommen mit Südamerika über die Ziellinie bringen - auch als Signal an Trump: Das hoffen viele in der EU, allen voran Deutschland. Doch der Widerstand ist groß - zu groß?

An mangelnder Vorbereitungszeit liegt es nicht, dass die EU und vier südamerikanische Mercosur-Staaten immer noch kein Freihandelsabkommen abgeschlossen haben: Beide Seiten verhandeln seit 25 Jahren, 2019 erzielten sie einen politischen Grundsatzbeschluss. Eigentlich sollte Ursula von der Leyen die Vereinbarung beim Mercosur-Gipfel in Uruguays Hauptstadt Montevideo heute unterschriftsreif machen.

Aber Anfang der Woche erklärte die EU-Kommission, ihre Präsidentin habe im Augenblick keine Reisepläne. Denn wichtige EU-Mitgliedsstaaten machen gegen das Abkommen mobil: Frankreich, Polen, Österreich und die Niederlande.

Deutsch-französischer Zwist

Über deren Widerstand will sich die Kommissionschefin offenbar nicht hinwegsetzen. Falls sich Italien, das ebenfalls Bedenken hat, den Bremsern anschließt, gäbe es für die Vereinbarung ohnehin keine qualifizierte Mehrheit unter den EU-Ländern mehr. In allen skeptischen Mitgliedstaaten sind rechtspopulistische Parteien stark.

Die Gegner befürchten wirtschaftliche Nachteile für Europas Landwirte, vor allem beim Handel mit Rindfleisch und Geflügel. Dagegen drängt Deutschland mit seiner besonders exportabhängigen Wirtschaft nachdrücklich auf einen Abschluss - notfalls sogar gegen EU-internen Widerspruch: Nach den Worten von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Kommissionschefin von der Leyen das volle Mandat, das Abkommen politisch abzuschließen, und das solle sie nutzen.

EU sucht neue Partner

Erklärtes Ziel Berlins und Brüssels ist es, angesichts der angespannten geopolitischen Lage neue Handelspartner zu finden. Denn mit Europas wichtigstem Partner, den USA, dürfte es nach Donald Trumps Amtsantritt als US-Präsident schwieriger werden - er droht mit neuen Zöllen.

Außerdem will die EU gegenüber dem Systemrivalen China Boden gutmachen. Der hat Europa in Lateinamerika vom ersten Platz verdrängt, was Warenverkehr und Direktinvestitionen angeht. Das liegt nach Einschätzung der Brüsseler Denkfabrik Bruegel daran, dass der Westen Handelsabkommen mit Lateinamerika nicht ernst genug nahm. Peking habe eine Gelegenheit genutzt, die andere leichtfertig verstreichen ließen.

Dabei ist Südamerika für Europa strategisch wichtig, wenn es um Rohstoffe für den Ausbau nachhaltiger Technologien geht: Dort befinden sich die weltweit größten Vorkommen von Lithium, das gebraucht wird, um Batterien für Elektroautos herzustellen. Ein funktionierendes Abkommen mit den Mercosur-Staaten wäre zudem ein Beweis, dass das multilaterale Handelssystem noch funktioniert.

"In Geiselhaft von Landwirtschaftsinteressen"

Gerade Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beschwört bei jeder möglichen Gelegenheit Europas "strategische Autonomie", um unabhängiger von den USA und China zu werden. Auch französische Winzer, Milchbauern und Autohersteller würden von einem Freihandelsabkommen profitieren, das Einfuhrzölle von bis zu 35 Prozent in den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay beseitigen würde.

Nach Ansicht von Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kann es sich Europa nicht länger leisten, diese potenziellen Handelspartner hinzuhalten: "Unsere geopolitischen und industriellen Interessen werden in Geiselhaft genommen von Landwirtschaftsinteressen, die in Europa besonders ausgeprägt sind."

Matthes verweist auf Schutzmechanismen für europäische Landwirte und nennt die Debatte über deren vermeintliche Bedrohung völlig überzogen. Der IW-Experte verweist darauf, dass im Streit über Ausgleichszölle für E-Autos aus China Deutschland überstimmt wurde. Jetzt müsse sich die EU über Frankreichs Widerstand hinwegsetzen.

Zölle sollen entfallen

Das EU-Mercosur-Abkommen soll die größte Freihandelszone der Welt mit über 700 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern schaffen. Noch ist das Handelsvolumen mit rund 110 Milliarden Euro im vergangenen Jahr vergleichsweise klein.

Die Vereinbarung soll das ändern, indem schrittweise Zölle auf 90 Prozent der Waren wegfallen, die EU-Firmen in den Mercosur liefern. Dadurch könnten europäische Unternehmen jährlich vier Milliarden Euro einsparen. Deutschland liegt beim Verkauf von Autos und Autoteilen in den Mercosur unter den EU-Staaten vorne, ebenso beim Export von Maschinen und Elektrogeräten.

Aus Südamerika importiertes Rindfleisch und andere Lebensmittel müssen europäischen Standards genügen. Beide Seiten verpflichten sich, die Pariser Klimavereinbarung umzusetzen und Entwaldung zu bekämpfen. Auch wenn die Kommissionschefin nicht nach Montevideo fliegt, laufen die Verhandlungen weiter. Wann das nächste Kapitel in der unendlichen Geschichte des EU-Mercosur-Abkommens geschrieben wird, ist offen.