Eine Gewitterfront zieht vor einem Windrad am Himmel bei Hannover (Niedersachsen) auf.

Der Krieg und das Klima Verschiebt die EU ihr Jahrhundertprojekt?

Stand: 25.02.2023 09:36 Uhr

Russlands Angriff auf die Ukraine hat Europas Jahrhundertprojekt in den Hintergrund gerückt: den Kampf gegen den Klimawandel. Aufgegeben hat ihn die EU nicht. Aber er wird schwieriger.  

Ursula von der Leyen hat bei ihrem Amtsantritt vor gut drei Jahren den Klimaschutz zu ihrem Thema gemacht. Und wie es ihre Art ist, gab die EU-Kommissionschefin dem grünen Umbau von Europas Wirtschaft und Gesellschaft einen griffigen Titel: "Das ist Europas Mondlandung", erklärte sie im Dezember 2019.

Aber seit der russischen Invasion schaut Europa nicht mehr energisch Richtung Mond, sondern besorgt auf den bedrohten Nachbarn im Osten. Für die Staats- und Regierungschefs haben nicht länger die Folgen des Klimawandels oberste Priorität.

Sie sind auf den EU-Gipfeln vor allem damit beschäftigt, die Folgen der Energiepreiskrise für Bürger und Firmen abzumildern. Dafür werden Kohlekraftwerke wieder angeworfen, in Deutschland laufen die verbliebenen drei Atomkraftwerke länger. Osteuropäische EU-Staaten nutzen die Chance, ohnehin unbeliebte Klimagesetze grundsätzlich in Frage zu stellen.  

Hält die EU noch Kurs?

Von der Leyens Stellvertreter Frans Timmermans beschwichtigt:

Wir können weiter auf Kurs bleiben, weil wir schneller erneuerbare Energien einführen und es sehr ernst meinen mit dem Energiesparen. Ja, wir verbrennen mehr Kohle als geplant und erschließen neue Quellen für Flüssigerdgas. Aber nur für etwa drei Jahre. Dann haben wir unseren Energiemix umgestellt auf mehr Erneuerbare und sind weiter auf Kurs - sogar besser als unsere Ziele.

Derzeit wird Klimaschutz allerdings eher indirekt mitgedacht: Die EU wechselt rascher zu Energie aus Sonne, Wind und Wasser, um sich von russischen Öl- und Gaslieferungen unabhängig zu machen. Und das ist nebenbei auch gut fürs Klima.

Dabei ist im vergangenen Jahr einiges passiert im Kampf gegen die Erderwärmung. Viele Gesetze, mit denen die EU ihre Ziele der Pariser Klimavereinbarung von 2015 erreichen will, waren bei Kriegsausbruch schon aufs Gleis gesetzt.

Die EU will bis 2030 ihren Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase um 55 Prozent gegenüber 1990 senken und bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden, also nicht mehr Klimagase ausstoßen als eingespart werden.  

Viel fürs Klima beschlossen …

Mitgliedsstaaten und EU-Parlament haben wichtige Vorhaben beschlossen, die Europas Lebens- und Wirtschaftsweise drastisch verändern dürften. So verbietet die EU ab 2035 neue Pkw mit Verbrennermotor, setzt auf mehr erneuerbare Energien und weitet den Handel mit Ausstoßrechten aus. Die Zahl der Emissionsgutschriften wird schneller verringert, die Zuteilung kostenloser Zertifikate schrittweise abgeschafft.

Aber unter dem Eindruck des Krieges passt die Gemeinschaft ihre Klimagesetzgebung an. Gut so, meint der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese: "Die russische Aggression in der Ukraine hat natürlich das Jahr dominiert, und kurzfristig müssen wir hier flexibel sein. Deswegen geben wir Bürgerinnen und Bürgern und der Industrie Zeit zum Atmen. Der Emissionshandel wird zwar verschärft, aber die Wirkung wird erst ab 2027 eintreten."

Ab diesem Zeitpunkt soll der Emissionshandel auch CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr und von Gebäuden umfassen, für Privatleute gilt er - wenn überhaupt - erst ab 2029.  

… aber reicht das?

Für den grünen Europaabgeordneten Michael Bloss ist seit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine zu wenig fürs Klima geschehen. Seiner Ansicht nach wurde die EU ihrer Rolle als Vorreiterin in der internationalen Klimapolitik nicht gerecht: "Sie hat sich sehr stark auf die Energiekrise konzentriert. Die EU tritt sogar an afrikanische Staaten wie den Senegal heran, um Gas einzukaufen. Das ist nicht gut für den Klimaschutz und macht unsere Klimapolitik unglaubwürdig."

Dabei hat die Europäische Union in ihren Beschlüssen nach Kriegsausbruch die richtigen Prioritäten gesetzt, sagt Christoph Bals, politischer Direktor der Denkfabrik Germanwatch: neue Energielieferanten suchen, einsparen, schnell auf Erneuerbare umsteigen. Allerdings: "Bei den konkreten Maßnahmen stand bisher aber vor allem der Kauf von LNG-Gas im Vordergrund. Fallbeispiel Deutschland: Insbesondere im Verkehrs-, aber auch im Gebäudesektor wurden nicht einmal die bisherigen Klimaziele erreicht. Wir müssen aber beschleunigt aus Öl und Gas raus."

Ob der Krieg gegen die Ukraine Europas Umstieg auf Energie aus Sonne, Wind und Wasser befördert oder eher die Nutzung fossiler Brennstoffe verfestigt, ist nach Ansicht vieler Fachleute noch nicht ausgemacht. Damit würde Europas "Mondlandung" wohl in weite Ferne rücken.