Eine sonnenbeschienene Weinrebe.
Europamagazin

Klimawandel Die Zukunft des Bordeaux

Stand: 09.10.2022 03:43 Uhr

In Bordeaux haben die Winzer mit immer extremeren Wetterbedingungen zu kämpfen. Mit neuen Rebsorten und besonderen Anbaumethoden wollen sie sich gegen den Klimawandel wappnen.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde ein riesiger Traktor die aufgereihten Weinstöcke auf dem Weinberg, 30 Kilometer von Bordeaux entfernt, überfahren: Hin, her, hin, her. Doch es ist die Erntemaschine, die auf Hochtouren arbeitet und mit ihren großen Zinken die Weinstöcke so durchrüttelt, dass die Trauben abgeschüttelt werden. Bei der Ernte muss alles ganz schnell gehen. Der Cabernet Sauvignon ist reif - deutlich früher als sonst.

Winzerin Valérie Labrousse ist die fünfte Frau in der Familie, die das "Château du Payre" betreibt. Auf 40 Hektar stellt sie Rotwein, Weißwein und Rosé her. Es ist kein einfaches Jahr für sie: "Es bleiben bei den Reben Lücken. Die sind nicht so voll. Uns wird einiges Volumen bei der Weinherstellung fehlen", erklärt sie. Die Saison sei einfach zu heiß und zu trocken gewesen wie schon 2018 - und habe sehr früh begonnen: "Somit haben wir auch schon sehr früh, am 24. August, mit der Ernte begonnen", sagt Labrousse.

Die Winzerin hat mit immer extremeren Wetterlagen zu kämpfen - und das Klima in der Region verändert sich: Um 1,5 Grad ist die Durchschnittstemperatur nach Berechnungen des europäischen Projektes Adviclim bereits gestiegen. "Wir merken den Klimawandel an Details. Die Rebstöcke leiden, sie haben nicht genug Wasser. Wir dürfen beim Bordeaux ja nicht wässern", sagt Labrousse.

Kurzfristig ein Vorteil?

Dem Fachverband für Bordeaux-Weine CVIB zufolge könnten die kurzfristigen Effekte auf Reifung sogar positiv sein. Allerdings ändere sich die Einschätzung, wenn die Temperaturen dauerhaft steigen würden. Die Szenarien, wie stark die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts in der Gegend von Bordeaux steigen könnten, reichen von einem Plus von 0,6 bis 5,3 Grad.

Als eine der ersten Winzerinnen und Winzer in der Region experimentiert Labrousse mit anderen Rebsorten, die extremere Wetterbedingungen besser aushalten: Etwa Marselan, eine 1961 zugelassene Kreuzung aus Cabernet Sauvignon und Grenache, die später reift und resistenter gegenüber Hitze und Kälte ist. Oder Arinarnoa, ist eine Kreuzung aus Tannat und Cabernet Sauvignon aus den 1950er-Jahren, die auch bei Hitze nur wenig Zucker produziert und gegenüber bestimmten Schimmelsorten resistenter ist. Sie gehören zu den sechs Rebsorten, die zusätzlich zu den klassischen Trauben wie Cabernet und Merlot für den Bordeaux zugelassen wurden. Darunter ist mit Touriga Nacional auch eine Traube aus Portugal oder mit Castet eine alte Sorte, die man quasi vergessen hatte.

Mehr Sonne - mehr Alkoholgehalt

Bei den Weinspezialisten des nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft (ISVV/ INRAE) in Villenave-d'Ornon wird an der Zukunft des Bordeaux getüftelt. "Der Klimawandel ist ja hier bereits seit 1990 spürbar. Somit enthalten die Weine heute mehr Alkohol, und der Säuregehalt ist stark gesunken", sagt Agraringenieurin Agnès Destrac-Irvine.

Damit der Bordeaux auch weiterhin ein Bordeaux bleibt, müssen Alternativen her: Mehr als 50 Rebsorten aus der ganzen Welt wachsen auf dem Forschungsweinberg des Instituts. Die Forscher forschen an Weinsorten, die später reifen. Die große Frage: Wie entwickeln sich die fremden Rebsorten auf den hiesigen Böden - und stimmt der Geschmack?

Im High-Tech-Mixer im Labor wird eine Rebsorte aus Zypern püriert. Destrac-Irvine wiegt und misst über einen langen Zeitraum genau, wie viel Zucker und Säure in den Trauben stecken. "Wir stellen nun Wein mit den Trauben her, jeweils ganz kleine Mengen. Dann bewerten ihn Experten und prüfen, ob der Wein einem Produkt aus traditionellen Bordeaux-Trauben ähnlich ist", erklärt sie. Die Rebsorte aus Zypern scheint vielversprechend.

Agnès Destrac-Irvine im Forschungslabor

Agraringenieurin Agnès Destrac-Irvine erforscht, welche Rebsorten auch für den Bordeaux geeignet sind.

Tradition entwickelt sich weiter

Neues auszuprobieren findet Winzer Xavier Planty sinnvoll, auch wenn er als einer der Traditionshüter des Bordeaux-Weins gilt. "Tradition heißt ja auch, dass sich Dinge weiterentwickeln", sagt er. "Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir mit unseren lokalen Rebsorten noch viel erreichen können." Früher hat Planty ein großes Bio-Weingut geführt und war so etwas wie der Bio-Pionier des Bordeaux. Inzwischen ist er in Rente, stellt aber immer noch Wein her.

Er ist überzeugt, dass man mit den richtigen Anbaumethoden die Trauben vor extremer Hitze und Trockenheit schützen kann. Dieses Jahr hat er trotz der hohen Temperaturen kaum Ernteausfälle. Sein Rezept: Den Weinstock höher wachsen lassen. "Je weiter oben Blätter wachsen, desto tiefer sind die Wurzeln in der Erde. Sie bekommen so mehr Wasser. Und die Blätter schützen die Reben zusätzlich", erklärt er.

Außerdem lässt er Gras zwischen den Weinstöcken wachsen. Dadurch verdunste weniger Wasser - die Erde bleibe "lebendig", sagt Planty: "Das Gras wirkt wie ein natürlicher Dünger für die Weinstöcke."

Xavier Planty in seinem Weinberg.

Xavier Planty setzt auf veränderte Anbaumethoden gegen den Klimawandel.

Die große Unbekannte: der Geschmack

Winzerin Labrousse will aus ihren beiden neuen Rebsorten dieses Jahr ihre erste Cuvée keltern: "Ich weiß noch überhaupt nicht, was herauskommt", sagt sie. "Wir haben nur eine grobe Idee. Durch die Wahl dieser beiden Rebsorten wird der Wein recht fruchtig sein, aber mit Struktur."

Maximal zehn Prozent der neu zugelassenen Trauben dürften theoretisch bereits in Bordeaux-Weinen genutzt werden. Labrousse will aber auf Nummer sicher gehen, und erst einmal einen eigenen Wein aus den neuen Trauben keltern: "Uns geht es bei den neuen Trauben nicht um die Menge, sondern erst mal um die Qualität", sagt sie.

Für sie ist diese Testphase erst der Anfang. "Man muss langfristig denken", sagt sie. Denn ihre Weinstöcke werden im Durchschnitt 30 Jahre alt.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag, 9.10.2022, um 12.45 Uhr im "Europamagazin".

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