Blick auf das "Zentrum für Ausländer" in Ellebæk (Screenshot aus einem tagesthemen-Video)
reportage

Asylpolitik in Dänemark "Klarmachen: Du bist unerwünscht"

Stand: 27.08.2024 17:21 Uhr

Die Dänen seien freundlich, doch ihre Asypolitik sei "eiskalt", sagt eine Helferin. Was sie meint, kann man in Kærshovedgård oder Ellebæk sehen. Dort sind Flüchtlinge untergebracht. Die Zustände erinnern manche an russische Gefängnisse.

Von Kristopher Sell, NDR

Ein Ort im jütländischen Niemandsland, in der dänischen Provinz: Hinter einem Tor befindet sich das sogenannte "Ausreisezentrum" Kærshovedgård. Dänemarks Lager für alleinstehende, nicht gewollte Migranten.

Zum Beispiel für abgelehnte Asylbewerber wie Yasin. Der 36-Jährige lebt hier quasi im offenen Vollzug. Jede Nacht hinter Gittern. Seit sieben Jahren geht das so - tagein, tagaus. "Wir dürfen hier gar nichts", sagt er. "Es ist wirklich hart. Dänemark ist ein Land der Möglichkeiten - aber nicht, wenn man hier in Kærshovedgård lebt. Hier bist du auf dich allein gestellt."

Strafe für Übernachtung bei der Freundin

Der Alltag im Lager für mehr als 200 Insassen sei deprimierend, erzählt Yasin. Eine Matratze, drei Mahlzeiten und strenge Regeln. Die Botschaft hier ist einfach zu verstehen: Geflüchtete sollen Dänemark wieder verlassen.

In seine Heimat Iran zurückkehren kann Yasin nicht, selbst wenn er wollte. Es existiert kein Rückführungsabkommen. Ein Leben in der Endlosschleife. Er spricht gut Dänisch, möchte arbeiten, seine dänische Freundin treffen. Einmal hat er bei ihr übernachtet. Doch dann kam die Polizei, sagt er: "Morgens um sieben Uhr kamen drei Beamte ins Zimmer. Sie haben gesagt: 'Pack' die Zahnbürste und Klamotten ein, Du bist festgenommen.' Ich habe gefragt: 'Warum?' Sie sagten: 'Du hast unangemeldet woanders übernachtet.'"

Ein elektronisches System hatte den Verstoß registriert. Die Folge: drei Monate Gefängnis.

Extrem scharfe Asylregeln

Das Bild Dänemarks ist liberal, smart und hygge - gemütlich. Gleichzeitig verschärft das Land seit Jahren seine Ausländergesetze und diskutiert sogar den Ausstieg aus EU-Regelungen. Das Ziel: maximale Kontrolle über Migranten. Und "null Asylanträge", wie es die dänische Regierung vor einigen Jahren formulierte. Begründung: Zuwanderung gefährde den dänischen Wohlfahrtsstaat.

Der Kurs ist populär. So gewinnt man in Dänemark Wahlen. Migrationsminister Kaare Dybvad ist stolz auf seine Bilanz. Tatsächlich ist die Zahl der Asylanträge in Dänemark stark gesunken. "Wir sind erfolgreich, was abgelehnte Asylbewerber angeht", sagt der Sozialdemokrat. "Wir sind eines der besten Länder in Europa wenn es darum geht, Menschen nach Hause zu schicken. Orte wie Kærshovedgård sollten nicht so gestaltet sein, dass man gerne hier in Dänemark bleibt. Sie sollen klarmachen: Du bist unerwünscht. Akzeptiere, dass Du in diesem Land keine Zukunft hast."

Verhältnisse wie in Russland?

Ein militärisches Sperrgebiet vor den Toren Kopenhagens. "Zentrum für Ausländer" nennt der dänische Staat Ellebæk. Faktisch ist es ein ein Abschiebegefängnis. Das dänische Fernsehen hat die Zustände bereits vor Jahren dokumentiert. Bauliche Mängel, unhaltbare hygienische Bedingungen, mangelnde medizinische Versorgung. Für die Insassen eingeschränkter Zugang zu frischer Luft.

Der Europarat sendet Inspekteure. Ihr verheerendes Urteil: Selbst russische Gefängnisse seien besser. Ellebæk sei eine der schlimmsten Anstalten Europas.

Dybvad verteidigt Einrichtung

Einer, der in Ellebæk saß, ist Martin aus Uganda. Bei einer Polizeikontrolle in Kopenhagen nennt er, wie er sagt, aus Angst einen falschen Namen - ein Regelverstoß. Trotz seines laufenden Asylverfahrens wird er sechs Monate in Ellebæk inhaftiert. "Es war traumatisierend. Dieses Gefühl, jeden Tag abgeschoben werden zu können, versetzt dich in Angst und Schrecken. Du kannst nachts nicht schlafen, hast Albträume. Es klopft an der Zellentür und Du denkst: Jetzt bin ich dran."

Martin hält durch. Aktivisten besorgen ihm einen Anwalt. Er kommt frei und erhält Asyl in Dänemark. Doch die Bilder aus Ellebæk werden wohl für immer bleiben. Die Verhältnisse seien noch immer so wie auf dem TV-Material und vom Europarat beschrieben, sagt er.

Martin aus Uganda im Gespräch mit dem NDR-Reporter

Das Gefühl, jederzeit abgeschoben werden zu können, bereite Albträume, sagt Martin aus Uganda.

Kirche lädt Migranten ein

Migrationsminister Dybvad verteidigt die Maßnahme: "Ich weiß nicht, ob der Europarat je in einem russischen Gefängnis war. Ich war noch nicht da, also kann ich das nicht kommentieren. Salopp gesagt, das darf doch kein Ferienlager sein. Kein Ort, der Spaß macht."

Zurück in der Provinz. Die örtliche Kirche lädt einmal pro Woche Menschen aus dem Lager Kærshovedgård ins Gemeindehaus. Auch Yasin ist regelmäßig hier. Einer der wenigen Momente, die ihm Kraft geben. "Hier kann ich wirklich abschalten und das gibt mir ein wenig Frieden. Hier sind viele liebe Menschen. Ich fühle mich frei, es ist fantastisch."

"Die dänische Politik ist eiskalt"

Anna Lisbeth Sonne organisiert das Treffen seit vielen Jahren. Hunderte Insassen von Kærshovedgård hat sie kommen und gehen sehen. Vielen von ihnen seien inzwischen untergetaucht, versuchten ihr Glück anderswo in Europa. "Unsere gnadenlose Politik funktioniert: Die Zahlen gehen runter", sagt sie. "Eigentlich sind die Dänen sehr freundliche Menschen. Aber die dänische Politik ist eiskalt."

Für einen Moment scheint heute Abend die Kälte vergessen. Doch nicht lange. Um 23 Uhr müssen die Insassen von Kærshovedgård wieder im Lager hinter Gittern sein. Hygge, die dänische Gemütlichkeit, ist für sie nicht vorgesehen.

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