Prinz Andrew in Paradeuniform.
Analyse

Anklage gegen Prinz Andrew "Niemand mehr, der noch zu ihm hält"

Stand: 14.01.2022 14:24 Uhr

Die britische Königshaus entzieht Prinz Andrew seine militärischen Titel - als Schadensbegrenzung in eigener Sache. Ob Andrew einen Missbrauchsprozess noch verhindern kann, ist möglicherweise eine Frage des Geldes.

Eine Analyse von Gabi Biesinger, ARD London

Prinz Andrew, der bei den Feierlichkeiten zum 70. Thronjubiläum der Queen im Juni 2022 stolz als Oberst der Grenadier Guards an seiner Mutter vorbeidefiliert - dieses zu erwartende Bild war im Buckingham-Palast zum Schreckensszenario geworden, nachdem ein US-Gericht am Mittwoch den Weg für einen Prozess gegen den Herzog von York freigemacht hatte.

Auch wäre ihm als Veteran des Falkland-Kriegs eine zentrale Rolle bei den Zeremonien zum 40. Jahrestag im Frühjahr zugefallen. Insofern entschied sich Königin Elizabeth offenbar kurzfristig für das Projekt Schadensbegrenzung: Sie kassierte die Titel ihres zweitältesten Sohnes ein und gibt sie an andere Familienmitglieder weiter.

Insgesamt besaß der Prinz zuletzt rund ein Dutzend Dienstgrade, darunter auch für Regimenter in Kanada und Neuseeland. Die betroffenen Soldatinnen und Soldaten dürften erleichtert sein, meint Robert Fox, Verteidigungsexperte beim "Evening Standard", in der BBC: "Ich denke, es gab subtilen Druck von verschiedenen Seiten, diese prominenten Auftritte zu verhindern, und das ist der Queen bewusst geworden. Sie hätte die Regimenter mit Andrews Anwesenheit in heftige Verlegenheit gebracht - und auch die Veteranen, die eine bedeutende gesellschaftliche Rolle spielen. Das hier kam zur rechten Zeit."

Militär erleichtert über Degradierung

Unlängst hatten 150 Veteranen die Königin als militärische Oberbefehlshaberin in einem Brief dazu aufgefordert, Andrew seine militärischen Titel zu entziehen. Organisiert worden war der Protestbrief mit Hilfe der Organisation Republic, die sich für die Abschaffung der Monarchie einsetzt. Auch deren Vorsitzender Graham Smith begrüßte den Schritt: "Natürlich kann er unschuldig sein und solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, bleibt er das. Aber unabhängig vom Ausgang geht es auch darum, wie er sich verhalten hat, seit die Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden", betont er.

Andrew habe versucht, den Prozess zu verhindern; statt Bereitschaft zu zeigen, an der Aufklärung mitzuwirken, habe er sich in einem "absurden Interview" unmöglich gemacht, sagt Smith: "Wäre er kein Königssohn sondern ein normaler Oberst, hätte man ihn wohl längst degradiert. Und dass wir hier die bizarre Situation haben, dass nur seine Mutter ihm diese Titel aberkennen kann, wirft ein schlechtes Licht auf die Institution der Monarchie und auf das Militär."

So wenig Angriffsfläche wie möglich

Der Titel "königliche Hoheit“ werde Andrew zwar nicht entzogen, aber er werde ihn künftig nicht mehr nutzen und sich in dem anstehenden Prozess als Zivilperson verteidigen, teilte der Buckingham-Palast weiter mit.

Es geht jetzt vor allem darum, Schaden vom Königshaus, von der Institution, von der Queen und vom Jubiläumsjahr der Queen abzuwenden - und darum wurde Andrew zwangsläufig weiter isoliert, um so wenig Angriffsflächen wie möglich zu bieten. Beobachter gehen davon aus, dass vor allem die Thronfolger Charles und William die Sache vorangetrieben haben.

Verheerendes Interview

Zu keinem Zeitpunkt hatte Andrew öffentlich eine gute Figur gemacht, seit die Vorwürfe von Virginia Giuffre erhoben wurden. Andrew streitet den Missbrauch, den sie ihm vorwirft, vehement ab.

Vor zwei Jahren dachte er, sich mit einem Interview bei der BBC-Sendung "Newsnight" reinwaschen zu können, redete sich stattdessen aber um Kopf und Kragen. Er konnte damals nicht beantworten, warum er mit dem pädophilen US-Multimillionär Jeffrey Epstein auch nach dessen Verurteilung wegen Missbrauchs weiter befreundet war, er war nicht in der Lage, Mitgefühl für Epsteins Opfer auszudrücken - und seine Anwälte versuchten bis zuletzt, den Prozess mit allen möglichen Tricks zu verhindern.

Andrew will sich weiter verteidigen

Der Prozess ist jetzt in der Phase der Beweisaufnahme; beide Seiten werden gebeten, Dokumente vorzulegen. Andrew hatte im "Newsnight"-Interview vor allem mit zwei Aussagen Aufsehen erregt: zum einen mit der Behauptung, dass er nach einem Trauma im Falklandkrieg eine Weile nicht habe schwitzen können, nachdem Giuffre beschrieben hatte, wie er in einer Diskothek geschwitzt haben soll. Seine zweite Aussage war, dass er an einem der Tage, an dem er Giuffre angeblich missbraucht haben soll, seine Tochter von einer Party bei einem Pizza-Express im Londoner Stadtteil Woking abgeholt habe - ob es dafür Belege gibt, ist nicht öffentlich bekannt.

Der Prozess soll im Herbst beginnen - und aus dem Umfeld des Prinzen war zu hören, er werde sich weiter mit aller Kraft verteidigen. Dies sei ein Marathon und kein Sprint. Eine Chance hätte der Prinz noch, das Gerichtsverfahren abzuwenden: Wenn er sich mit der Klägerin Virginia Giuffre außergerichtlich einigen würde. Ein Schritt, der kein Schuldeingeständnis beinhalten, aber mutmaßlich einen bis zu zweistelligen Millionenbetrag kosten würde. Geld dürfe bald vorhanden sein, berichten britische Medien: Denn der Verkauf von Andrews Chalets im Schweizer Alpenort Verbier soll laufen, erwartet werden Einnahmen von rund 17 Millionen Euro.

Klägerin sucht Medienöffentlichkeit

Doch ob Giuffre ein Vergleich genügen würde, ist offen. Ihr Anwalt David Boies erklärte in der BBC, seiner Klientin sei vor allem ihre Rehabilitation wichtig: "Es geht ihr darum, dass diese Angelegenheit auf eine Weise gelöst wird, dass sie und die anderen Opfer Gerechtigkeit erfahren. Wie diese Lösung genau aussieht, dazu hat sie noch keine abschließende Meinung."

Der ehemalige Staatsanwalt Nazir Afzal geht wie viele Beobachter davon aus, dass die Klägerin die Sache eher nicht hinter verschlossenen Türen regeln will. "Der Prozess würde bestimmt ein unglaublicher Medienzirkus, den Andrew und seine Anwälte unbedingt vermeiden wollen. Aber Giuffre müsste sich ja auf einen Vergleich einlassen", führt er aus. "Und wenn sie lieber ihren Auftritt im Gerichtssaal möchte, damit die Welt erfährt, was ihr passiert ist, dann wird sie ihn jetzt bekommen."

Eine Gefängnisstrafe droht nicht

Dass Andrew persönlich in den USA aussagen wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Er könnte schriftlich oder per Video befragt werden. Zu berücksichtigen ist, dass es sich um ein Zivilverfahren handelt. Selbst wenn die Klägerin Recht bekäme, müsste Andrew zwar bezahlen, aber nicht ins Gefängnis.

Ganz gleich wie es für Andrew weitergeht: Die Royals haben sich von ihm distanziert, er wird nie wieder als ihr Repräsentant auftreten. So sollen Kollateralschäden für die Institution, die Queen und ihr Jubiläum vermieden werden. Der Medienanwalt Mark Stephens findet dafür drastische Worte: "Es gibt niemanden mehr, der noch zu ihm hält", sagt er. "Was die Königsfamilie angeht, so ist er ein zum Tode Verurteilter, der nur noch auf die Vollstreckung wartet."

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