Rishi Sunak
analyse

Sunak und der Tory-Parteitag Angeschlagen - und immer weiter nach rechts

Stand: 01.10.2023 06:02 Uhr

Die Umfragen sind katastrophal, Parteichef Sunak gilt als blass und seine Innenministerin hetzt. Was ist vom Parteitag der britischen Konservativen zu erwarten?

Sollte Rishi Sunak den Parteitag der Tories einigermaßen unbeschadet überleben, wird es nicht mehr als ein brüchiger Waffenstillstand sein, der die Fraktionen seiner Partei für die kommenden Monate hinter ihm vereint. Nach dem Chaos der vergangenen Jahre können sich die Tories derzeit keinen Rauswurf ihres Premiers leisten - was aber nicht heißt, dass die meisten Abgeordneten und Mitglieder seiner Partei nicht genau das am liebsten täten. Denn die Tories liegen in Umfragen etwa 20 Prozentpunkte hinter einer vorsichtig agierenden Labour-Partei, die bislang vor allem dadurch aufgefallen ist, dass sie nicht auffällt.

Die Strategie des Labour-Chefs Keir Starmer ist vergleichsweise einfach: möglichst in der Deckung bleiben, um nicht von den vielen taktischen Fehlern Sunaks abzulenken. All das in der Hoffnung, dass Labour die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen dann wie von selbst gewinnt, weil die Tories unter Sunak inhaltlich und strategisch so leer und ausgebrannt dastehen wie noch nie in den 13 Jahren, seit sie an die Macht gekommen sind. Denn Sunak hat es letztlich nicht geschafft, das Land nach dem Brexit-Chaos wieder in ruhigere Bahnen zu lenken.

Eine blasse Übergangsfigur

Sunak agiert stattdessen unsicher, orientierungslos und ist für viele Briten eine blasse Übergangsfigur geblieben. Nachdem er vor einem Jahr die Partei und das Amt des Premiers von Liz Truss übernahm, die die britische Wirtschaft in den wenigen Tage ihrer Amtszeit im vergangenen Herbst um ein Haar komplett vor die Wand gefahren hätte, versprach er zwar, von nun an werde wieder eine Politik der Vernunft herrschen, geprägt von ethisch-moralischen Prinzipien. Wer aber darauf gehofft hatte, die Tories kehrten wieder zu den Prinzipien einer konservativen Partei zurück, sah sich bald getäuscht.

Hinter seiner gepflegten, zivilisierten Fassade trieb Sunak den rechtspopulistischen Kurs Boris Johnsons sogar noch auf die Spitze: Seine Innenministerin Suella Braverman hetzt regelmäßig gegen Flüchtlinge und Homosexuelle und will so bald wie möglich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten, um Asylbewerbern gar nicht mehr erst die Möglichkeit zu geben, auf der Insel einen Asylantrag zu stellen. Dieser Kurs würde sich nahtlos in die Positionen des rechten Flügels der AfD einfügen.

Hetze gegen Minderheiten trotz des diversen Kabinetts

Bei einer Rede vor einem rechtskonservativen Thinktank in Washington erklärte Braverman diese Woche gar, der Multikulturalismus sei grundsätzlich gescheitert, die Migration sei nicht mehr und nicht weniger als eine "existentielle Bedrohung für Großbritannien". Dass solche Sätze ausgerechnet von einer Innenministerin mit indischstämmigen Eltern kommen, die in einem außergewöhnlichen diversen Kabinett sitzt - angeführt von einem Premierminister, der ebenfalls indische Wurzeln hat -, entbehrte dabei nicht einer gewissen Ironie.

Und so sah sich Sunak auch am nächsten Tag gezwungen, den Äußerungen seiner Innenministerin öffentlich zu widersprechen. Was er aber dabei nicht erwähnte, war der nicht ganz unwichtige Umstand, dass er Bravermans Rede vorher genauso abgezeichnet hatte und ihren radikalen Kurs in der Flüchtlingspolitik auch generell weiter unterstützt.

Sunak nutzt das Problem, um Angst zu verbreiten

Die Krux dabei: Kaum ein Brite nimmt ihm noch ab, dass er die Probleme, die mit der irregulären Migration auf der Insel entstanden sind, wirklich lösen kann. Sunak und seine Regierung versuchen das nämlich gar nicht erst. Stattdessen nutzen sie das Thema mit Blick auf die nächste Wahl, um Angst vor einer möglicherweise humaneren Flüchtlingspolitik der Labour-Politik zu verbreiten.

Dafür nur ein kleines Beispiel: Da das britische Innenministerium absichtsvoll die bislang auf Booten angekommenen Asylbewerber nicht abfertigen lässt, um mögliche Nachahmer abzuschrecken, wie der Migrationsminister erst kürzlich wieder erklärte, müssen diese auf längere Sicht in Großbritannien untergebracht werden. Momentan hausen die etwa 150.000 nicht abgefertigten Asylbewerber auf unabsehbare Zeit in zum Teil heruntergekommenen Hotels, demnächst soll ein Teil auf gefängnisartige Schiffe vor der Küste umgesiedelt werden.

Höhere Ausgaben als in jedem anderen Land Europas

Das aber kostet den britischen Steuerzahler Geld, derzeit umgerechnet rund neun Millionen Euro pro Tag. Ausgaben sind das, die 40 Prozent höher liegen als in jedem anderen europäischen Land - und das auf einer Insel, deren Wirtschaft dringend Arbeitskräfte braucht.

Die Tatsache, dass die Regierung dieses Problem immer wieder zum Thema macht, während dabei gleichzeitig vor allem der eigene Unwille und die Unfähigkeit deutlich wird, es zu lösen, wäre in normalen Zeiten eigentlich keine überzeugende Wahlkampfstrategie. Es sei denn, man glaubt, es könne der gegnerischen Partei schaden, wenn sie auf populistische Weise die Gesellschaft mit diesem Thema spalten und verunsichern kann. Genau das scheint Sunak vorzuhaben.

Sein eigenes Profil bleibt dabei seltsam verwaschen, sein Kurs erratisch. Die von Boris Johnson groß angekündigte ambitionierte Klimapolitik vertagte er jetzt kurzerhand, ohne dass das im Kabinett zuvor abgestimmt worden war. Ein Schritt, der die Partei weitere Stimmen gerade in der britischen Mittelschicht kosten dürfte, für die die Klimakrise durchaus ein Thema ist.

Bahnstrecke gestoppt, die die Tories selbst wollten

Eine lange angekündigte Hochgeschwindigkeitszugtrasse, die die wirtschaftlich zurückgebliebenen Regionen im Norden Englands untereinander und mit London verbinden sollte, soll nun mitten im Bau gestoppt werden, weil sie viel zu teuer sei. Das Projekt hatten die Tories selbst auf den Weg gebracht und es kostete bislang bereits viele Milliarden. Sunak erklärte einer erstaunten Moderatorin dazu, die meisten Briten führen doch eh mit dem Auto und er sei klar auf der Seite der Autofahrer.

Diese eher verzweifelt anmutenden U-Turns bergen aber noch ein anderes Problem für Sunak: Er konterkariert damit das Parteimanifest, für das die Tories 2019 gewählt wurden. Sunak hat für eine solche Neuausrichtung seiner Politik eigentlich gar kein Mandat und so trösten sich viele Briten derzeit damit, dass die von ihm angekündigten U-Turns im kommenden Jahr sowieso von einer neuen Labour-Regierung wieder zurückgenommen werden.

Das wissen auch die Abgeordneten aus Sunaks eigener Partei. Und so dürfte auf diesem Parteitag hinter den Kulissen vor allem eines verhandelt werden: Wer die Partei nach einer verlorenen Wahl in der Opposition führen wird. Die Tatsache, dass der radikalen Rechtspopulistin Braverman derzeit dafür gute Chancen zugeschrieben werden, macht vor allem deutlich, dass die Tories unter Sunak den Boden des Konservatismus endgültig verlassen haben. Nach einer verlorenen Wahl dürfte sich die Partei nur noch weiter radikalisieren.