Blick auf die Maidanproteste (Archivbild: 29.11.2013)
weltspiegel

Zehn Jahre Maidan Kampf für eine freie Ukraine

Stand: 18.02.2024 13:59 Uhr

2014 eskalierte die Gewalt gegen die Demonstranten auf dem Maidan. Kurz darauf begann Russlands Krieg gegen die Ukraine. Julia Maruschewska war damals schon bei den Protesten - und kämpft noch heute für eine freie Ukraine.

Von Birgit Virnich, ARD Kiew

Einst hat Julia Maruschewska auf dem Maidan gegen Korruption in der Ukraine demonstriert. Heute versucht die 34-jährige Reformerin, die verkrusteten Strukturen im ukrainischen Verteidigungsministerium aufzubrechen.

Der Krieg sei die beste Zeit für Reformen, meint sie selbstbewusst. Die Ukraine habe nichts zu verlieren und eigentlich auch keine andere Wahl. Nur wenn das Land es schaffe, seine Institutionen zu reformieren, bestehe überhaupt eine Chance, den Krieg zu gewinnen.

Marsch durch die Institutionen

Maruschewska soll Reformen in einem Ministerium umsetzen, das immer wieder Schlagzeilen mit Fällen von Korruption macht. Im September letzten Jahres musste der damalige Verteidigungsminister Oleksij Resnikow zurücktreten, nachdem sein Ministerium beschuldigt wurde, Verträge zu stark überhöhten Preisen beim Kauf von Lebensmitteln und Winteruniformen abgeschlossen zu haben.

Aktuell wird gegen fünf höhere Beamte ermittelt. Sie sollen beim Kauf von Artilleriemunition Millionen veruntreut haben. Bei der Aufklärung hat das Verteidigungsministerium mit dem ukrainischen Geheimdienst zusammengearbeitet. Maruschewska sieht das als Erfolg.

Sparen und Transparenz schaffen

Mit einer eigens für die Beschaffung von Militärgütern gegründeten Agentur will sie Militärgerät, Munition, Treibstoff und Lebensmittel zukünftig nur noch durch öffentliche Ausschreibungen auf dem internationalen Markt beschaffen und so Geld einsparen.

Ihr 30-köpfiges Team sei handverlesen, erklärt sie: "Einige kommen direkt von der Front, andere haben vor dem Krieg eigene Unternehmen geleitet oder an internationalen Eliteuniversitäten studiert." Mit ihrer Hilfe habe sie es geschafft, sagt Maruschewska, allein seit Anfang Dezember eine Milliarde Euro bei der Ausstattung der ukrainischen Streitkräfte einzusparen. 

"Die Zeit für Reformen ist jetzt"

Das soll Vertrauen nach innen und außen schaffen. Schließlich reagiert die ukrainische Gesellschaft zunehmend empfindlich auf Korruption. Vor allem wenn es um Vorwürfe bei der Beschaffung von Militärausrüstung geht.

Internationale Geldgeber sollen sich darauf verlassen können, dass zukünftig keine Gelder mehr versickern, schließlich werden in den kommenden Jahren Milliarden internationaler Gelder durch das Verteidigungsministerium fließen. Maruschewska soll daher dabei helfen, mehr Transparenz und Effizienz zu schaffen.

Sie habe Unterstützung auf höchster Ebene, vom Präsidenten, dem Parlament und der Regierung, erklärt sie selbstsicher. Allen sei klar, dass es keine Zeit für einen Aufschub gebe. Der Verteidigungssektor sei weniger reformiert, als andere Bereiche. Jetzt sei es an der Zeit, Reformen voranzutreiben.

Archivbild: Julia Maruschewska

Julia Maruschewska kämpft seit den Maidan-Protesten vor zehn Jahren gegen Korruption in einer selbstbestimmten Ukraine.

Auf dem Maidan hat alles begonnen

Dieser Kampf gegen Korruption war schon 2014 eine zentrale Forderung der Maidan-Proteste, die nach jenem zentralen Platz in Kiew benannt wurden, auf dem sie großteils stattfanden.

Als sich der korrupte damalige Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, auf den Druck Russlands hin weigerte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben, gingen die Menschen auf die Straße. Auch die damals 24-jährige Julia Maruschewska schloss sich den Demonstranten an. Ihr war klar: "Wenn wir jetzt nicht aufstehen, wird sich lange nichts ändern."

Als die Regierung die Proteste mit Gewalt niederschlagen wollte und sogar Scharfschützen einsetzte, wurden mehr als 100 Menschen erschossen. Sie gingen als "Himmlische Hundertschaft" in die ukrainische Geschichte ein.

Das trieb immer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer auf die Straße. Auch Maruschewskas Mutter, eine Ärztin, war an der Seite ihrer Tochter, verbrachte ganze Nächte auf dem Maidan und half bei der Versorgung verletzter Demonstranten.

Ein Ukrainer gedenkt der Opfer des Aufstands auf dem Maidan in Kiew im Jahr 2014

100 der pro-westlichen Demonstranten auf dem Maidan wurden vor zehn Jahren erschossen.

Ein noch heute gültiger Gesellschaftsvertrag

Maruschewska wurde zu einem der Gesichter der in der Ukraine auch Revolution der Würde genannten Proteste. Bei eisigen Temperaturen nahm sie damals ein Video auf, das viral ging und viele Millionen Menschen erreichte. Die Botschaft: Der Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer ist selbstbestimmt - anders als von Russland behauptet. 

Russland habe Ukrainern und Ukrainerinnen schon damals den eigenen Willen abgesprochen und unterstellte dem Westen, hinter den Protesten zu stecken, erinnert sich Maruschewska. Dabei sei es die ukrainische Zivilgesellschaft gewesen, die damals Reformen gegen korrupte Beamte, Polizisten und Politiker forderte.

Eine starke Zivilgesellschaft wurde damals zum Motor eines schwachen Staates. Ein Gesellschaftsvertrag entstand, der bis heute gilt. Auf dem Maidan sei das Vertrauen entstanden und auch das Bewusstsein, dass sie sich am Ende selbst verteidigen müssen, meint Maruschewska:

Diese Erfahrungen auf dem Maidan, die Schlachten, der Kampfgeist, die Einheit, sind das Fundament unserer Stärke im Krieg gegen Russland.

Reicht der Kampfeswille?

Die Proteste auf dem Maidan haben das Leben von Julia Maruschewska und vieler Ukrainer und Ukrainerinnen für immer verändert. Dieser Kampfeswille treibt viele Menschen im Land bis heute an. Doch wird das reichen?

Die Russen werden nicht aufhören, davon ist Maruschewska überzeugt. Sie entwickeln ihre Militärproduktion und ziehen immer mehr Leute ein, stärken ihre Verteidigungsindustrie, so als wollten sie nicht nur gegen die Ukraine kämpfen. "So wie sie wachsen, scheinen sie große Pläne zu haben." Deshalb will Maruschewska ihre Pläne so schnell wie möglich vorantreiben.

Diese Reportage sehen Sie am Sonntag, 18.02.2024 um 18:30 im Weltspiegel im Ersten.

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