Ein Rettungshelfer in den Trümmern eines zerstörten Hauses in Lwiw.
reportage

Russischer Angriff auf Lwiw Lebensgefahr fernab der Front

Stand: 06.07.2023 15:06 Uhr

Der bisher schwerste Angriff auf Lwiw hat die Menschen mitten im Schlaf getroffen. Vier Menschen sind tot, mehr als 30 verletzt. Der ukrainische Präsident Selenskyi kündigte eine Reaktion auf den Angriff an.

Von Andrea Beer, ARD Kiew

Der russische Angriff auf die Stadt Lwiw hat sie direkt aus dem Schlaf gerissen und nun ringt sie um Fassung. Die rundliche Dame mit den braunen kurzen Haaren hat wie durch ein Wunder überlebt. "Gott sei Dank hab ich den Hund auch gleich gefunden", meint sie aufgelöst. "Dann bin ich raus und habe mich hingesetzt. Sie sehen ja, was ich anhabe", fährt sie fort und zeigt auf ihren rosafarbenen Schlafanzug.

Jetzt müsse sie noch ins Krankenhaus. Als der Einschlag kam, sei sie alleine gewesen, erst seien die Blumentöpfe herumgeflogen, dann alles andere. "Jetzt ist alles weg und leer." Um ihre Schultern liegt eine dünne schwarze Decke. Ihr Gesicht ist blutverschmiert und auch auf ihrem Schlafanzug ist Blut.

95-Jährige unter den Toten

Die russischen Raketen vom Typ Kalibr beschädigten rund 30 Wohn- und Bürogebäude, 250 Wohnungen sowie ein Umspannwerk. Zeitweise waren rund 150 Haushalte ohne Strom. Unter anderem zwei Hochschulen, ein Kinderheim und eine Schule wurden ebenfalls beschädigt. In Hunderten Häusern gingen Scheiben durch die Druckwelle zu Bruch und verletzten die Menschen. "Wir haben weder Fenster noch Türen im Haus", meint eine weitere Frau, die verletzt worden ist.

Stand jetzt kamen mindestens vier Menschen bei dem Angriff ums Leben, darunter eine 95-jährige Frau. Mehr als 30 weitere Menschen wurden verletzt, unter ihnen ein Kind, das teilte das ukrainische Innenministerium am Vormittag mit.

Schwerster Angriff seit Beginn der Großinvasion

Der Angriff erfolgte tief in der Nacht vom Schwarzen Meer aus. Nach Angaben eines Sprechers der ukrainischen Luftwaffe Jurij Ihnat flogen die russischen Raketen zunächst in Richtung Kiew, bogen dann aber abrupt ab in den Westen nach Lwiw. Sieben von zehn Raketen wurden laut ukrainischen Armeeangaben abgeschossen. Die übrigen drei trafen mit tödlicher Wucht.

Bei dem nächtlichen Angriff seien die dritte und vierte Etage eines Wohnhauses zerstört worden, das erklärte der sichtlich erschütterte Bürgermeister von Lwiw, Andrii Sadowyi, in einem Video auf Telegram. Er sprach vom bisher schwersten Angriff auf die Großstadt im Westen des Landes seit dem Beginn der russischen Großinvasion vor mehr als 16 Monaten.

Mehr als 60 Menschen konnten nach dem Angriff zügig in Sicherheit gebracht werden und aus den Trümmern wurden mehrere Menschen geborgen. Weitere seien aber noch verschüttet, so ein Sprecher des Gebiets Lwiw. Der Katastrophendienst sucht weiter nach Überlebenden.

Lebensgefahr fern der Front

Der Angriff auf die Stadt nahe der Grenze zu Polen zeigt einmal mehr, dass auch Menschen mehr als 1000 Kilometer entfernt der Front im Osten oder Süden des Landes in ständiger Gefahr leben. Jederzeit können die Menschen in der Ukraine von russischen Raketen und Drohnen getroffen werden.

Das wiederholte auch die Sprecherin des südlichen Militärkommandos Natalja Hummeniuk im ukrainischen Fernsehen. "Ich betone, dass eine vom Schwarzen Meer aus gestartete Kalibr Rakete 2500 Kilometer zurücklegen und das gesamte Territorium der Ukraine erreichen kann. Sie kann überallhin fliegen."

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi sprach den betroffenen Familien sein Beileid aus und kündigte eine Reaktion auf den nächtlichen russischen Raketenangriff an.

Berichtete Class="sendungsbezug Programm: Title">dieses Uhr 14:36 über Im 06 Um Br24