Menschen stehen am Bahnhof in Kramatorsk auf einem Bahnsteig.
Reportage

Krieg im Donbass Nach der Flucht zurück an die Front

Stand: 27.01.2023 17:43 Uhr

Die Städte Kramatorsk und Kostjantyniwka geraten zunehmend unter Beschuss. Während manche Menschen fliehen, kehren auch immer mehr Geflüchtete in die Frontregion zurück, weil sie kein Zuhause finden.

Am Vortag ging der Luftalarm in Kramatorsk sieben Mal los, an diesem Tag ist es nun das dritte Mal. Die Post schließt bei jedem Alarm, damit die Mitarbeiter sich im Bunker schützen können, und auch die Busse bleiben jedes Mal stehen, bis die Entwarnung ertönt. Doch draußen vor der Post bildet sich eine Schlange von Menschen.

Sie warten im Freien, ungeschützt, dass die Post wieder öffnet. Auch an der Bushaltestelle am zentralen Platz vor dem Bahnhof stehen Dutzende unter freiem Himmel. Die Industriestadt in der Oblast Donezk, nur etwas westlich von Bachmut gelegen, hatte bis zu Beginn des Angriffskrieges etwa 150.000 Einwohner.

Sie wird ständig beschossen und bombardiert, kaum ein Tag vergeht, an dem die Stadt nicht angegriffen wird. In den ersten Wochen des Krieges hatte das russische Militär 57 am Bahnhof wartende Menschen getötet und 109 Menschen verletzt. Man sollte denken, dass die Menschen weiterhin fliehen und die Stadt leerer wird.

Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: von Russland annektierte Gebiete.

Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete.

Drehscheibe für Flüchtende und Rückkehrer

Doch mittlerweile ist die Stadt nicht nur eine Drehscheibe für Flüchtende, sondern auch für Rückkehrer. Kateryna, eine junge Frau, wartet auch auf den Bus. Sie verstehe das auch nicht. Es kämen einfach viele Menschen zurück in die Frontregion. Manche gingen noch in den Bunker, doch andere hätten sich an die häufigen Einschläge gewöhnt. "Wir müssen uns leider an diesen Horror gewöhnen. Seit etwa einem Jahr."

"Je mehr sie bombardieren, desto mehr kommen zu uns. Sie sind aus Soledar oder Bachmut", erklärt Marina, die in der evangelischen Kirche hilft, gleich um die Ecke von der zentralen Bushaltestelle. Eine Nacht können die Flüchtenden hier verbringen, ehe sie dann weiter gen Westen fahren. Doch oft wissen sie gar nicht, wohin.

Ein deutscher Linienbus steht vor dem Gemeindezentrum. Fast jeder Platz ist an diesem Tag belegt. Mit Kindern, Katzen, Frauen und Familienvätern. Die in dem Bus sitzen, sind gerade noch mit ihrem Leben davongekommen.

Mit dem deutschen Sonderbus

Dieser Tage sind die Busse oft voll, denn die Angriffe nehmen zu, erklärt Marina. Sie bespricht mit dem Busfahrer noch die Route. Weiter hinten wartet blass und stumm Natalia. Auf die vorsichtige Frage, wo sie herkäme, antwortet sie nur: "Bachmut." Unter ihrem Mantel schaut eine kleine Katze hervor. Die Fragen zu beantworten, fällt ihr erkennbar schwer.

Was der Auslöser war, zu fliehen? Wieder antwortet sie mit einem Wort: "Bombardierung." Sie hält die Katze fest und sofort hat sie Tränen in den Augen. Nur zwei Taschen habe sie mitgenommen, mit "ein paar Sachen und etwas zu Essen". Jetzt könne man die Stadt noch verlassen, doch schon bald werde das nicht mehr möglich sein.  

Der Pfarrer der Kirche und Helferin Marina laufen noch durch den Bus, sie sprechen ein kurzes Gebet. Dann fährt der Bus los und wird die Flüchtenden 80 Kilometer weit nach Pokrowsk fahren, wo sie mit dem Zug weiterreisen. Auf dem Linienbus steht auf Deutsch "Sonderfahrt".

Menschen besteigen einen Evakuierungsbus im ukrainischen Kramatorsk.

Da die Angriffe auf Kramatorsk zunehmen, sind die Evakuierungsbusse oft voll.

Eine Million zurück im Donbass

Kurz danach kommt ein Zug am Hauptbahnhof von Kramatorsk an. Dutzende Menschen steigen aus. Auch wenn die Lage in Frontnähe immer gefährlicher wird - sie kehren mit ihren Rollkoffern und großen Plastiktaschen genau hierher zurück.

Nach Angaben von IOM, der UN-Organisation für Migration, sind über eine Million Geflüchtete allein in den Donbass zurückgekehrt. Im ganzen Land irren Millionen umher. Bei einer Umfrage der IOM gab über die Hälfte der Vertriebenen an, weniger zu essen und nicht genug Geld zu haben. Wenn sie die Miete nicht zahlen oder keine Unterkunft finden könnten, würden sie eben zu ihren Häusern und Wohnungen in Frontnähe zurückkehren.

Sobald man in Kramatorsk aussteigt, hört man die Artillerie aus dem umkämpften Bachmut. Es sind nur 35 Kilometer Luftlinie. Der Krieg gegen die Zivilisten ist zermürbend und zerreibend und soll es wohl auch sein.

Im Bus der Evakuierten hatte auch eine Schülerin gesessen, die schon lange keine Schule mehr besuchen kann. Diana heißt sie und ist 17. Vor drei Monaten sei sie in den Donbass zurückgekehrt: "Ich habe meine Stadt vermisst, und dann bin ich zurückgekommen." Doch jetzt halte sie es nicht mehr aus. Sie habe sich wieder entschlossen, zu gehen.

Eine alte Frau läuft auf einem Bahnsteig des Bahnhofs von Kramatorsk in der Ukraine.

Rund um den Bahnhof von Kramatorsk schlugen immer wieder Raketen und Granaten ein. Doch die Menschen sind auf ihn angewiesen.

Einschläge immer näher

Noch näher an der Frontlinie liegt die Stadt Kostjantyniwka, 43.000 Menschen leben hier noch. Die Zahl ist auch deshalb hoch, weil so viele Menschen zurückkehren. Etliche Male pro Minute hört man die Einschläge der Artillerie aus dem umkämpften Bachmut, die immer lauter werden, bis eine Rakete in direkter Nähe einschlägt.

Die Russen haben erkennbar den Druck erhöht, sagt der Leiter der örtlichen ukrainischen Militärverwaltung, Oleksyi Roslow. "Sie kommen jetzt näher als noch im Sommer", erklärt er. Roslow steht mitten in einem Wohngebiet, das gestern von zwei Raketen getroffen wurde. Zwei Kinder und zwei Erwachsene wurden verletzt.

Die Stadt werde Tag und Nacht angegriffen. "Ich muss dann sofort reagieren und alle Dienste der Stadt anrufen. Die Polizei muss die Verbrechen aufnehmen. Wir versuchen, so schnell wie möglich alles zu reparieren." Holz vor die zerstörten Fenster zu schrauben, herumhängende Kabel und Schutt zu beseitigen, beim Aufräumen zu helfen.

5000 Kinder in der Stadt

Wasser gibt es ohnehin nur noch in einem Teil der Stadt. Die meisten Menschen leben von Hilfslieferungen, die von den Behörden verteilt werden. Dass die Zahl der Menschen, die die Stadt versorgen muss, in einer derart angespannten Lage wieder steigt, macht Roslows Arbeit komplizierter.

"Die Menschen, die in den ersten Monaten evakuiert wurden, die kommen jetzt zurück. Im Moment haben wir mehr als 5000 Kinder hier in der Stadt", sagt Roslow. Obwohl die Regierung die Menschen auffordere, sich evakuieren zu lassen, kämen mehr Menschen zurück.

Es gab eine direkte Zugverbindung von Kiew nach Kostjantyniwka. Die Strecke wurde früher "Kiew - Krieg" genannt. Doch zurzeit fährt dieser Zug nicht - er würde sonst noch mehr Rückkehrer in die Frontregion bringen. 

Class="sendungsbezug Uhr Title">dieses Thema Im Um Programm: 24 über 2023 Januar Uhr 26 Am