Ein ukrainischer Soldat steuert eine Drohne in der Region Charkiw.
reportage

Drohnenkrieg in der Ukraine "Wenn wir entdeckt werden, sind wir erledigt"

Stand: 14.06.2024 04:49 Uhr

Tagelang hocken sie in Kellern und steuern tödliche Waffen. Die Männer einer ukrainischen Drohneneinheit leben mit der ständigen Angst, entdeckt zu werden. Doch besonders groß ist ihre Furcht vor etwas anderem: einem Waffenstillstand.

Von Rebecca Barth, ARD Kiew

Ein Surren in der Luft bedeutet an der Front in der Ukraine oft den sicheren Tod. Es stammt von kleinen sogenannten FPV-Drohnen. First Person View, gesteuert durch eine Brille, wie in einem Videospiel. Es ist Menschenjagd auf beiden Seiten der Front.

Die billigen Drohnen, mit Sprengstoff beladen, zerstören nicht nur millionenschwere Militärtechnik - auch einzelne Menschen reißen sie in Stücke.

Nur noch nachts an der Front

Der ukrainische Soldat mit dem Decknamen "Calvados" nimmt das achselzuckend hin: "Wir töten keine Menschen, sondern den Feind, der unser Land besetzt hält und unsere Leute und uns tötet. Die Russen sind auch nicht zimperlich. Die sind verrückt. Es ist nicht leicht, gegen sie zu kämpfen."

Die russischen Soldaten leisten oft erbitterten Widerstand, berichtet "Calvados". Der 28-Jährige bewegt sich mit seinen Kameraden nur noch nachts an der Front, damit ihn die russischen Drohnenpiloten nicht entdecken.

"Wenn wir entdeckt werden, sind wir erledigt"

Tagelang hockt das Team dann in einem Keller irgendwo im Kampfgebiet und fliegt Drohne um Drohne in russische Panzer, russische Positionen oder russische Soldaten. Wie die Jagd auf den Gegner am besten funktioniert, das erklärt "Calvados" an diesem Tag einer Gruppe von Neulingen. Der Bedarf an Rekruten ist groß.

"Wir sind ein Ziel von höchster Priorität. Wenn wir entdeckt werden, sind wir erledigt", warnt "Calvados" sie: "Dann werden wir so heftig wie möglich angegriffen. Bis das Haus über uns niedergebrannt ist oder der halbe Wald um uns herum zerstört ist. Deshalb ist unsere Aufgabe so gefährlich. Wenn du verrätst, wo du bist, dann hast du ein verdammtes Problem."

Um der Todesangst zu entkommen machen sie Witze, erklärt der Soldat. Das Wichtigste sei, im Einsatz nicht in Panik zu geraten. Die Verluste der ukrainischen Armee aber seien hoch, gibt "Calvados" zu.

"Waffenstillstand ermöglicht Feind, Ressourcen aufzufüllen"

Aber trotz des Leids - einen Waffenstillstand fürchten die Männer der Einheit, erklärt Kompanie-Kommandeur Anton: "Wenn man jetzt theoretisch einer Art Waffenstillstand oder so zustimmt, dann ermöglichen wir dem Feind nur, seine Ressourcen aufzufüllen. Auch solange es bei uns politische Schwankungen wie Verzögerungen bei Waffenlieferungen gibt, wird der Feind das nutzen, um seine Ressourcen aufzustocken."  

Dann könne Russland, so ist Anton überzeugt, der Ukraine seine Bedingungen aufzwingen und weitere Landesteile annektieren. Der Krieg werde erst enden, wenn eine Seite nicht mehr zu kämpfen in der Lage sei, wenn die Ressourcen ausgehen.

Aktuell, da sind sich Beobachter einig, sei das eher die Ukraine. Sie ist abhängig von westlichen Waffenlieferungen und hat viel weniger Soldaten zur Verfügung.

Das sieht auch Anton: "Es herrscht völliger Personalmangel, da der Feind bevölkerungstechnisch in der Überzahl ist. Die Russen haben auch einen totalen Vorsprung in der Technik, bei den Waffen, bei der Artillerie, bei Raketen und in der Luft. Die Russen werden also nicht aufhören." Deswegen könne auch die Ukraine nicht aufhören, meinen Anton und seine Kameraden.

"Wir brauchen viele Leute, aber noch mehr Waffen"

Umfragen zeigen: Die meisten Menschen in der Ukraine glauben immer noch fest an einen Sieg - aber die Zuversicht schwindet. Freiwillig melden sich nur noch wenige Männer zum Dienst in der Armee.

Das habe auch mit den schleppenden Waffenlieferungen aus dem Westen zu tun, meint Soldat Calvados: "Es gibt genug Leute, wenn wir sie rekrutieren. Die Frage ist nur, womit wir kämpfen sollen. Wir haben zu wenig Waffen und Munition, um dem Feind maximalen Schaden zuzufügen. Wir brauchen viele Leute, aber noch mehr Waffen."

Waffen und Diplomatie, das seien keinen Gegensätze - zu diesem Schluss kommen auch die Forscherinnen und Forscher des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Russland, so heißt es im aktuellen Friedensgutachten des Instituts, werde sich nur auf Verhandlungen einlassen, wenn es militärisch und mit Sanktionen weiterhin unter Druck gesetzt werde.

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