Recep Tayyip Erdogan bei einer Militärparade auf Zypern
europamagazin

Türkischer Präsident Erdogan Von allen Seiten unter Druck

Stand: 10.08.2024 20:35 Uhr

Außenpolitische Muskelspiele, rigoroses Vorgehen im Inneren: Was den türkischen Präsidenten Erdogan und seine AKP lange populär machte, kommt bei den Menschen immer schlechter an. Zu groß sind die wirtschaftlichen Sorgen.

Der türkische Präsident wirkte angespannt, obwohl er vor seinen treusten Anhängern sprach. In Rize am Schwarzen Meer attackierte Recep Tayyip Erdogan wieder einmal Israel. Doch diesmal ließen seine Worte aufhorchen.

Erst lobte er die türkische Rüstungsindustrie, dann drohte er unverhohlen: "Wir müssen stark sein, sodass Israel nicht weiter den Palästinensern schlimme Dinge antut" und "Wir haben in Bergkarabach interveniert, wir haben in Libyen interveniert, das können wir auch anderswo tun. Es gibt keinen Grund, das nicht zu tun."

Der Aufschrei war groß. Will Erdogan etwa im Nahen Osten militärisch eingreifen? Erdogan sprach ohne Teleprompter. Experten bezweifeln, dass er eine militärische Intervention plant, zumal das auch für das NATO-Mitglied Türkei nicht nur militärisch, sondern auch politisch schwierig sein dürfte. Doch Erdogan ist ein Getriebener.

Ablenken funktioniert nicht mehr

Die türkische Bevölkerung steht fest hinter den Palästinensern, immer lauter werden die Stimmen, sie noch stärker zu unterstützen. Diese Forderung kommt vor allem aus dem islamistischen Lager: Die Neue Wohlfahrtspartei hat bei den vergangenen Wahlen deutlich zugelegt. Viele Wähler wechselten von der AKP zu den Islamisten. Nun will sich die Partei als wahrer Beschützer der Palästinenser zeigen. Das schadet Erdogan, wie die Umfragen zeigen.

Suat Özcelebi ist Berater für politische Kommunikation in Istanbul. Er hat viele Parteien beraten, Kampagnen gesteuert. Der Politikprofi meint, dass Erdogan insbesondere in letzter Zeit massiv an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren hat und kritisiert seine politische Strategie: Der türkische Präsident wolle mit außenpolitischen Schritten von Misserfolgen in der Wirtschaft ablenken.

"Aber die Krise sitzt so tief, da kann er alles Mögliche machen, über Existenzfragen und Sicherheit sprechen. Dennoch kann er damit nicht die wirtschaftliche Lage, in der sich die Menschen momentan befinden, vergessen machen."

Alltag für viele unbezahlbar

Viele Türken geben dafür Erdogan mit seiner jahrelangen auf Ausgaben und Niedrigzins basierenden Wirtschaftspolitik die Schuld. Das Hauptproblem ist die Inflation: Offiziell liegt sie bei knapp 62 Prozent, tatsächlich dürfte sie deutlich darüber liegen. Das unabhängige Forschungsinstitut ENAG beziffert die Rate auf knapp 101 Prozent.

Einkäufe und Mieten, das tägliche Leben sind für Millionen von Türken, vor allem in den Städten, nahezu unerschwinglich geworden. Größere Anschaffungen sind kaum noch möglich. Gerade gab der staatliche Öl- und Gasanbieter bekannt, dass der Preis für Erdgas, welches in Wohngebäuden verwendet wird, um 38 Prozent erhöht wurde. Da die Löhne, auch der Mindestlohn und die Renten, jedoch nach offiziellen Daten berechnet werden, steigen sie bei weitem nicht so schnell wie die Ausgaben.

Bei vielen Türken macht sich Verzweiflung breit: Wie soll man überleben? Wie soll man den Kindern eine vernünftige Bildung gewährleisten? Auch deshalb planen vor allem junge Menschen, das Land zu verlassen.

Beliebtheit schwindet stark

Der Politikberater Özcelebi spricht von einer Wirtschaftskrise, die viel ernster ist, als es im Ausland gesehen wird. Vor allem, weil die Mittelschicht in die Armut fällt: "Die Menschen haben Mitte des Monats ihr Gehalt schon ausgegeben. Wenn die Menschen ihre Miete zahlen, haben sie schon 80 Prozent ihres Gehalts ausgegeben und versuchen mit den restlichen 20 Prozent auszukommen. Es gibt Millionen solcher Familien. Die Hungergrenze in der Türkei liegt knapp bei 19.000 bis 20.000 Türkischen Lira." Das sind umgerechnet etwa 570 Euro.

Auf die Frage des Metropoll Instituts, wie kompetent die Regierung in Wirtschaftsfragen ist, sagen mehr als 81 Prozent, dass ein Missmanagement vorliege. Nur noch 26 Prozent der Wähler würden aktuell noch für die AKP stimmen, im Mai 2023 bei den Parlamentswahlen waren es noch über 35 Prozent. Die größte Oppositionspartei CHP liegt aktuell knapp acht Prozentpunkte vor der AKP.

Auch bei den persönlichen Werten befindet sich Erdogan im Sinkflug: Nur noch knapp 19 Prozent sagen laut Umfrage-Institut ASAL im Political Agenda Survey vom Juli, dass er ihr Lieblingspolitiker sei. Für den erfolgsverwöhnten und machtbewussten Erdogan ist das ein persönlicher Tiefschlag. Auch weil der Bürgermeister der Stadt Ankara, Mansur Yavas, ihn als beliebtesten Politiker abgelöst hat.

Nervosität trotz Diplomatie-Erfolg

Wie nervös die türkische Regierung ist, zeigte sich auch Anfang August. Die Regierung sperrte den Onlinedienst Instagram, mit der Begründung: Dort sollen viele Beileidsnachrichten zur Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija geblockt worden sein. Ein weiterer Vorwurf lautete, Instagram betreibe "digitalen Faschismus", die Werte der Türkei würden nicht respektiert.

Doch die Aktion verfehlte ihre Wirkung. Denn 57 Millionen Türken nutzen das sehr populäre Netzwerk. Die Konsequenz: Die regierende AKP verlor weiter in den Umfragen - bis zu zwei Prozentpunkte. Das sagte zumindest der Chef des Umfrage-Instituts ASAL dem Nachrichtenportal T24.

Özcelebi meint, dass politische Attacken auf einen Feind von außen nicht wie früher greifen, denn das Misstrauen in die Regierung werde immer größer. "Es gibt momentan kein großes Problem, was das türkische Volk nicht erlebt. Es gibt nichts, von dem wir behaupten könnten: Das läuft gut", meint er.

In der Außenpolitik läuft es für Erdogan zwar etwas besser. Die Türkei und sein Nachrichtendienst MIT waren offenbar maßgeblich beim spektakulären Gefangenaustausch zwischen Russland und Belarus und westlichen Staaten beteiligt. Der Flughafen Ankara stand im Fokus des Austauschs. Das wurde in den überwiegend staatsnahen Medien gefeiert. Doch letztendlich wird für Erdogan die wirtschaftliche Entwicklung über den Erfolg seiner wahrscheinlich letzten Amtszeit entscheiden.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag, 11.08.2024 um 12:45 im Europamagazin.

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