Östliche Nachbarländer der EU Unter dem Druck des Kreml

Stand: 21.11.2013 18:02 Uhr

Die Ukraine steht zwischen der EU und Russland, wie weitere fünf Ex-Sowjetrepubliken. Die EU lockt mit politischer und wirtschaftlicher Annäherung. Russlands Präsident Putin versucht energisch, diesen Prozess zu hintertreiben - er hat andere Pläne. Damit sorgt er für Unmut, auch bei Kanzlerin Merkel.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Die Enttäuschung war groß in Brüssel und anderen Hauptstädten in der EU, als die Regierung der Ukraine erklärte, sie stoppe den Abschluss des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der EU. Die Union war in den vergangenen Wochen immer weiter auf den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zugegangen. Das Abkommen hätte die Ukraine wirtschaftlich und politisch enger an die EU gebunden. Als größtes Land zwischen der EU und Russland bietet sie mit ihren 46 Millionen Einwohnern einen interessanten Markt. Die Ex-Sowjetrepublik verfügt über nährstoffreiche Böden, Rohstoffe und ein wichtiges Pipeline-Netz für Öl und Gas.

Stabilität an der EU-Außengrenze

Das Abkommen mit der Ukraine sollte ein wichtiger Baustein der östlichen EU-Nachbarschaftspolitik sein. In der kommenden Woche will die EU bei einem Gipfel in Vilnius auch Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit Moldawien und Georgien paraphieren, eine Vorstufe vor der endgültigen Unterzeichnung. Zudem sind Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland in die Nachbarschaftspolitik eingebunden. Ziel ist es, an der östlichen EU-Außengrenze Stabilität zu schaffen. Kommt die wirtschaftliche und demokratische Entwicklung dort voran und werden auf Dauer die Konflikte um die abtrünnigen Gebiete einer Lösung näher gebracht, sinkt der Einwanderungsdruck aus diesen Ländern, ebenso die Wahrscheinlichkeit neuer militärischer Konfrontationen.

Doch neben den teils erheblichen Defiziten in den sechs Ex-Sowjetrepubliken gibt es ein weit größeres Problem für eine Öffnung zur EU. Denn obwohl es nicht um eine EU-Mitgliedschaft dieser Länder geht, hintertreibt Russlands Präsident Wladimir Putin dieses Vorhaben.

Er verfolgt ein eigenes Projekt: Aus einer bereits gegründeten Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland soll eine Eurasische Union mit der Ukraine und weiteren Ex-Sowjetrepubliken werden. Weniger wichtig ist dabei, ob diese Union wirtschaftlich sinnvoll ist. Vielmehr geht es darum, Russland mit einem solchen Staatenbund zu stärken.

Merkel warnt Putin

Nicht nur der EU-Parlamentarier Elmar Brok sieht russischen Druck als einen Grund dafür, dass der ukrainische Präsident Janukowitsch immer mehr Abstand von dem Abkommen nahm. Doch anders als bei der 2008 anstrebten NATO-Erweiterung um die Ukraine und Georgien zeigt Deutschland diesmal weniger Verständnis für die russischen Interessen.

In einer Regierungserklärung warnte Kanzlerin Angela Merkel am Montag Putin: "Um es klar zu sagen: Die Länder entscheiden allein über ihre zukünftige Ausrichtung. Ein Veto-Recht Dritter kann es nicht geben. Das ist unser Verständnis der gegenseitigen Achtung der Entscheidungsfreiheit, wie sie in der OSZE-Charta festgeschrieben ist." Sie habe Putin auch immer wieder deutlich gemacht, dass sich die östliche Nachbarschaft und die Verträge der EU mit ihren Nachbarn nicht gegen Russland richten.

Bemerkenswert war, dass Merkel den betroffenen Ländern zugleich Unterstützung zusagte. Beim Gipfel in Vilnius werde sie sich dafür einsetzen, dass die EU dem russischen Druck etwas entgegensetze, "sei es durch zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Produkte unserer Partner, die zum Beispiel nicht nach Russland eingeführt werden dürfen oder durch Hilfe bei der weiteren Aufstellung ihrer Energieversorgung." Passend dazu ließ EU-Energiekommissar Günter Oettinger verkünden, dass die Ukraine Gas künftig aus der Slowakei geliefert bekommen könne. Dies verringert die Energie-Abhängigkeit der Ukraine von Russland.

Vielseitige Druckmittel Russlands

Die EU müsste viel gegen das Druckarsenal Russlands aufbieten. Noch aus Sowjetzeiten rühren die engen wirtschaftlichen Verbindungen zu den sechs Nachbarländern. Russland ist zum Beispiel der größte Außenhandelspartner der Ukraine, wenngleich es inzwischen zahlreiche Wirtschaftsverbindungen in die EU gibt.

Auch Militärstrukturen nutzt Russland zum Beispiel in Armenien. Der Präsident der Südkaukasusrepublik, Serge Sarkisjan, erklärte im September nach einem Treffen mit Putin in Moskau den Beitritt zur Zollunion Russlands. Damit wurde ein schon vorbereitetes Abkommen mit der EU hinfällig. Sarkisjan nannte in seiner Begründung nicht nur die wirtschaftlich, sondern auch die militärisch engen Verbindungen zu Russland.

Russische Soldaten schützen die Grenzen Armeniens. Der Kommandeur einer russischen Militärbasis in Armenien erklärte im Oktober, Russland werde Armenien beistehen, falls dessen Nachbar Aserbaidschan den Konflikt um die umstrittene Region Berg-Karabach militärisch lösen wolle. Damit zeigte sich der Kreml nicht nur gegenüber Armenien erkenntlich. Er erhöhte auch den Druck auf Aserbaidschan, das seit Jahren Distanz zu Russland sucht. Diese Politik trägt allerdings nicht dazu bei, den Territorialkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan beizulegen.

Grenzzaun zwischen dem abtrünnigen Südossetien und der georgischen Seite

Grenzzaun zwischen dem abtrünnigen Südossetien und der georgischen Seite

Auch die Konflikte um die abtrünnigen Regionen in Georgien und Moldawien spielt Russland zum eigenen Vorteil aus. Georgien sucht seit einem Jahr nach einer Annäherung an Russland, wurde jedoch enttäuscht. Der Sondergesandte der georgischen Regierung, Surab Abaschidse, verweist zum Beispiel darauf, dass der russische FSB Grenzzäune an der abtrünnigen Region Südossetien errichtet, dies vielfach mitten durch Felder und Gärten hindurch und weit auf die georgische Seite. Verteidigungsminister Irakli Alasania befürchtet zunehmende Provokationen von russischer Seite. Dem Kreml sei es nicht recht, dass die neue Regierung in Tiflis nicht nur eine Annäherung an Russland will, sondern auch den Kurs in Richtung Westen beibehalten will.

Fremdenfeindlichkeit schadet

In allen sechs Ex-Sowjetrepubliken trifft man auf Argwohn gegenüber Russland, sowohl in  der Bevölkerung als auch bei den Regierenden. Bei jeder Präsidentschaftswahl in diesen Ländern kommt die Vermutung auf, dass der Kreml einen ihm genehmen Kandidaten unterstützt. In jeder Regierung werden Geheimagenten im Dienste des Kreml vermutet. Putin behandelt diese Länder nicht auf Augenhöhe. So ist überliefert, dass Putin den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch gern stundenlang warten lässt.

Hinzu kommt, dass die engere Anbindung der Ex-Sowjetrepubliken im Kaukasus und in Zentralasien der Stimmung in der russischen Bevölkerung zuwiderläuft. So gab es erst kürzlich in Moskau Krawalle und Jagden auf Migranten aus diesen Regionen. Immer häufiger nimmt die russische Polizei Razzien gegen Gastarbeiter vor und verweist sie des Landes.

Je stärker sich die Ex-Sowjetrepubliken gegängelt und unter Druck gesetzt fühlen, desto weniger wohl fühlen sie sich in ihrer Abhängigkeit von Russland. So stimmten kürzlich in der Ukraine bei einer Umfrage 44 Prozent der Befragten für das Assoziierungsabkommen mit der EU. In der moldauischen Hauptstadt Chisinau demonstrierten am 3. November Zehntausende für das EU-Abkommen. Auch die Menschen in Georgien wollen zwar bessere Beziehungen zu Russland, sie wollen aber nicht den Weg in Richtung Westen verlassen. Je mehr Präsident Putin als neo-imperialer Herrscher auftritt, desto eher kann sich die EU bei den Menschen als Alternative ins Spiel bringen.

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