Der Migrationsforscher Gerald Knaus im Morgenmagazin-Interview.

Ringen um Flüchtlingsabkommen "Der Beginn eines neuen Pokers"

Stand: 24.01.2020 09:30 Uhr

Merkels Verhandlungen mit Erdogan betreffen Millionen von Menschen, sagt Migrationsforscher Knaus im ARD-Morgenmagazin. Doch um den Flüchtlingsdeal zu retten, sieht er beide in der Pflicht: die EU und die Türkei.

Im März 2016 vereinbarten die EU und die Türkei das gemeinsame Flüchtlingsabkommen. Gerald Knaus gilt als einer der Architekten des Deals. Aus seiner Sicht hat sich das Abkommen bislang bewährt, wie der Migrationsforscher im ARD-Morgenmagazin ausführt.

99,5 Prozent der Syrer, die in den vergangenen Jahren als Flüchtlinge in die Türkei gekommen waren, seien auch in dem Land geblieben. Die Türkei sei seit 2014 das Land mit den meisten Flüchtlingen weltweit und habe allein drei Mal so viele Syrer aufgenommen wie die gesamte EU. Es hätten sich kaum Syrer auf den Weg über das Mittelmeer gemacht, "weil ihre Kinder zu Hunderttausenden in türkische Schulen gehen und Zugang zum Gesundheitssystem haben".

Das sei mithilfe der finanziellen Unterstützung der EU möglich gewesen: 2016 seien der Türkei sechs Milliarden Euro zugesagt worden, und entgegen Behauptungen der türkischen Regierung sei das Geld auch geflossen, betonte Knaus.

"Einer der wichtigsten Besuche für Angela Merkel"

Doch bis Ende 2019 sei die volle Summe verplant gewesen - und damit stehe nun "der Beginn eines neuen Pokers" an, wie der Forscher es ausdrückt. Denn es müsse natürlich darüber geredet werden, wie die EU die Türkei auch in Zukunft unterstützt. "Das ist für Angela Merkel einer der wichtigsten Besuche ihrer gesamten Amtszeit", sagt Knaus. Denn Millionen Menschen seien von den Verhandlungen betroffen.

Doch Knaus sieht auch Bedingungen für künftige finanzielle Hilfen: Die Türkei müsse der EU einen Mechanismus zusichern, durch den unabhängig überprüft werden müsse, dass für alle Flüchtlinge, die aus Griechenland zurückgeschickt würden, die Menschenrechtskonventionen angewandt würden.

"Achillesferse" Griechenland

Eine "Achillesferse" der derzeitigen Flüchtlingspolitik der EU sieht Knaus in den prekären Zuständen in griechischen Flüchtlingslagern. Diese sind völlig überfüllt, überfordert und kämpfen mit einer mangelhaften Versorgung. Sollte das Flüchtlingsabkommen zusammenbrechen, drohe "diese humanitäre Katastrophe" sich von den griechischen Inseln, auf denen sich die meisten Lager befinden, auf das Festland auszubreiten. Schon jetzt werden in Griechenland laut Knaus pro Kopf mehr Asylanträge gestellt als in allen anderen EU-Staaten zusammen.

Daher sieht Knaus die EU nicht nur bei einer künftigen Unterstützung für die Türkei, sondern auch für Griechenland in der Pflicht - allen voran Deutschland. Das Griechenland allein über die Masse an Anträgen entscheiden könne, sei unrealistisch, so der Forscher. Da müsse das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als größte Asylbehörde der Welt helfen.

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