Ursula von der Leyen neben der Flagge der Europäischen Union

Von der Leyens EU-Pläne Weiblicher, grüner, digitaler

Stand: 27.11.2019 04:07 Uhr

Das EU-Parlament stimmt heute über das Team der künftigen Kommissionspräsidentin von der Leyen ab. Sie plant in vielen Bereichen einen Neuanfang. Aber kann das auch gelingen?

"Eine Union, die mehr erreichen will" - mit diesem vielversprechenden und zugleich wenig konkreten Slogan hat Ursula von der Leyen ihr Arbeitsprogramm überschrieben. Bereits erreicht hat sie, dass ihr Team deutlich weiblicher ist als alle EU-Kommissionen zuvor: Mit zwölf Frauen und 15 Männern ist das Verhältnis der Geschlechter beinahe ausgeglichen.

Anders als ihr krisengeplagter Vorgänger Jean-Claude Juncker sieht die neue Präsidentin die EU nicht mehr in der Defensive. Von der Leyen plädiert - trotz Brexit - für mehr Mut und Selbstbewusstsein, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik. Von der Leyen sagt: "Europa muss auch die Sprache der Macht lernen. Eigene Muskeln aufbauen, wo wir uns lange auf andere stützen konnten. Zum anderen die vorhandene Kraft gezielter einsetzen, wo es um europäische Interessen geht."

Mit "Sprache der Macht" meint die ehemalige Bundesministerin für Verteidigung durchaus auch militärische Stärke. In einer Welt der Fleischfresser, so die Erkenntnis, kann die EU auf Dauer kein reiner Vegetarier bleiben. Zwar ist es bis zur EU-Armee noch ein weiter Weg und die NATO vorerst unverzichtbar. Doch immerhin verfügt die neue Kommission erstmals über eine "Generaldirektion für Verteidigung“.

Militärische Stärke erwünscht

Getarnt hinter den bürokratischen Kürzeln PESCO und EDF ist man seit gut zwei Jahren dabei, die nationalen Streitkräfte besser zu koordinieren und die Milliarden für Rüstung sinnvoller anzulegen. Ein Europäischer Sicherheitsrat ist im Gespräch.

Von der Leyen möchte, dass die EU nach außen handlungsfähiger wird, indem wichtige Entscheidungen - Stichwort Russland-Sanktionen - künftig nicht mehr per Veto blockiert werden können.

EU soll ihre Potenziale besser ausschöpfen

In einer "geopolitischen Kommission", wie sie von der Leyen vorschwebt, soll die EU auch in der Wirtschafts- und Handelspolitik sowie bei der Digitalisierung ihre Potenziale besser ausschöpfen. Über diese beiden Schlüsselressorts wachen nicht umsonst zwei ihrer geschäftsführenden Vizepräsidenten: die Dänin Margrethe Vestager und der Lette Valdis Dombrovskis. Beide bekleiden in der neuen Kommission eine herausgehobene Stellung mit besonderen Kompetenzen.

EU-Kommissarin Margrethe Vestager

EU-Kommissarin Margrethe Vestager

Zukunftsfelder: Künstliche Intelligenz und E-Mobilität

Die anspruchsvolle Aufgabe wird zum einen darin bestehen, sich gegen die beiden strategischen Partner und Rivalen auf dem Weltmarkt USA und China, dauerhaft zu behaupten und die EU auch auf Zukunftsfeldern, wie künstliche Intelligenz oder E-Mobilität, wettbewerbsfähig zu halten. So sollen künftig weniger Fördergelder in die Landwirtschaft und deutlich mehr in Bildung, Forschung und neue Technologien fließen.

Zum anderen geht es darum, soziale Ungleichheiten und Spannungen im Innern abzubauen und rechtsstaatliche Errungenschaften zu schützen, um EU-skeptische Bürger mit Brüssel zu versöhnen. Als ehrgeizige Ziele hat sich von der Leyen vergleichbare Mindestlöhne, eine EU-weite Arbeitslosenrückversicherung und eine faire Besteuerung von Internetkonzernen gesetzt. Eine "Zukunftskonferenz“ für Europa soll Ideen für demokratische Reformen sammeln.

Der europäische "Grüne Deal"

Die Präsidentin der EU-Kommission verkündete: "Wir können und müssen es schaffen, dass Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent wird." Das Herzstück auf von der Leyens Reformagenda ist ohne Zweifel der europäische "Grüne Deal" - ein Masterplan, mit dem die oberste "Hüterin der Verträge" den Wettlauf gegen den Klimawandel gewinnen will.

Schon in den ersten 100 Tagen soll der zuständige Kommissionsvize Frans Timmermans einen dazu passenden Gesetzentwurf ausarbeiten. Die Vorgabe: mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030, eine komplett CO2-neutrale EU bis 2050. Das Ganze sozial und ökonomisch abgefedert durch einen sogenannten Transformationsfonds, der vor allem osteuropäischen EU-Ländern den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien erleichtern soll.

Zu hohe Ziele?

Kritiker monieren, von der Leyen habe den Mund etwas zu voll genommen. So sieht etwa der Präsident des deutschen Industrieverbands BDI, Dieter Kempf, speziell im Klima-Teil ihres Programms "magisches Denken“ am Werk.

Die harte Brüsseler Wirklichkeit dürfte die neue Kommissionschefin aber auch auf anderen Gebieten früh genug einholen. Schließlich hat ihr ihr Vorgänger Juncker einen ganzen Stapel unerledigter Hausaufgaben vermacht. Allen voran: die immer noch offene Frage einer echten europäischen Flüchtlingspolitik. Auch hier verbreitet die Behördenchefin Optimismus. Sie erklärte: "Ich glaube, dass es ein Fenster für einen Neustart bei dem Thema Migration gibt …"

Wieviel von ihren Plänen von der Leyen am Ende umsetzen kann, hängt ohnehin nicht von ihr und ihrem Team alleine ab. Jede EU-Kommission braucht zwingend die Unterstützung der beiden anderen Institutionen, also EU-Parlament und Rat der Mitgliedsstaaten. Sie jeweils mit ins Boot zu holen, darin dürfte für von der Leyen in den kommenden fünf Jahren die eigentliche Herausforderung bestehen.

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