Italiens Premier Giuseppe Conte bei seiner Ankunft auf dem EU-Gipfel in Brüssel.

Streit um Asylpolitik Blockade auf dem EU-Gipfel

Stand: 28.06.2018 20:56 Uhr

Italien erhöht den Druck auf die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel: Ministerpräsident Conte verweigert offenbar die Zustimmung zu ersten Beschlüssen des Gipfels. Er will die Debatte über die Migrationspolitik abwarten.

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hat beim EU-Gipfel in Brüssel offenbar erste Beschlüsse der europäischen Staats- und Regierungschefs blockiert - offenbar aus taktischen Gründen: Er wolle die Debatte über Migrationspolitik abwarten, hieß es aus italienischen Regierungskreisen.

Conte hatte schon am Nachmittag mit einer Blockade der Gipfel-Ergebnisse gedroht, wenn die Teilnehmer Italien beim Thema Asylpolitik nicht entgegenkämen: Das Land habe die letzten Jahre viele Solidaritätsbekundungen gehört, "wir hoffen, dass sich diese Worte in Fakten übersetzen", sagte er.

Italien hat aufgrund seiner geographischen Lage die Hauptlast der über das Mittelmeer ankommenden Migranten zu stemmen. Für Unmut sorgt dort insbesondere die formal geltende EU-Regelung, nach der Migranten nur im Land ihrer Ankunft Asyl beantragen können, statt innerhalb der EU weiterzureisen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel war angesichts Contes Drohungen am Nachmittag mit ihm zu bilateralen Gesprächen zusammengekommen. Dabei konnte aber offenbar keine Einigung erzielt werden. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte ursprünglich geplant, erste Tagungspunkte bereits am Nachmittag von den Staats- und Regierungschefs billigen zu lassen, darunter Fragen der Handels- und Verteidigungspolitik. Dazu kam es nun nicht: "Ein Mitglied" behalte sich die Zustimmung noch vor, teilte Tusk in einer Erklärung mit.

Debatte um Asylzentren außerhalb der EU

Am Abend wollten die Gipfelteilnehmer über ein Konzept für sogenannte Anlandestellen diskutieren, in denen Migranten außerhalb der EU bis zur Entscheidung ihrer Asylgesuche untergebracht werden könnten.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte vorab mitgeteilt, das Konzept sei in den vergangenen Tagen gemeinsam mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erarbeitet worden.

Details zum Inhalt nannte Mogherini nicht - sie betonte lediglich, die geplanten Zentren verstießen weder gegen internationales Recht noch gegen Menschenrechte.

Wieviel Zustimmung die Idee der Anlandestellen auf dem Gipfel finden wird, ist ungewiss. Bundeskanzlerin Merkel meinte, darüber könne man diskutieren - jedoch nur mit einer Einschränkung. "Man muss mit den Ländern sprechen, nicht über sie!" Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte: "Nordafrikanische Länder mögen es nicht, fremdbestimmt zu werden. Wenn dieses Signal von uns ausgehen sollte, dann geht die Sache schief!"

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zeigte sich hingegen zuversichtlich, dass man sich auf dem Gipfel bereits auf die sogenannten Anlandeplattformen einigen werde.

CSU entscheidet nicht, "wie Europa funktioniert"

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel geht es neben dem Handelsstreit mit den USA, der Lage der Eurozone und den Sanktionen gegen Russland insbesondere um die Frage, ob die EU-Staaten im Umgang mit Migranten zu einer gemeinsamen Richtung finden oder auf nationale Lösungen setzen.

Gemeinsam ist den Mitgliedsstaaten nur, dass sie Migranten den Zuzug in die EU erschweren wollen: Die Hauptankunftsländer Italien, Griechenland und Spanien verwehren sich zunehmend dagegen, die Versorgungslast allein tragen zu müssen, während Deutschland und Frankreich eine Weiterreise nach Mitteleuropa verhindern wollen und sich die osteuropäischen Mitgliedsstaaten gänzlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sperren.

Merkel plädiert in der Flüchtlingspolitik für eine gesamteuropäische Lösung und liegt darüber im Streit mit Bundesinnenminister Horst Seehofer und dessen Partei CSU, die in einem nationalen Alleingang die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze planen.

Auf dem EU-Gipfel erhielt Merkel sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Es könne nicht sein, "dass irgendeine bayerische Partei entscheidet, wie Europa funktioniert", sagte Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel. Dies könne in Europa einen "Domino-Effekt" in Gang setzen. Er erwarte in Brüssel schwierige Gespräche.

Rückendeckung für Merkel von Griechenland, Absage von Tschechien

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras stellte Merkel eine Vereinbarung in Aussicht: "Wenn es hilft, macht es uns nichts aus, dass wir vielleicht einige Rückführungen aus Deutschland haben werden", sagte er der "Financial Times" mit Blick auf Migranten, die bereits in Griechenland registriert und nach Deutschland weitergereist sind.

Auch Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron trat für eine Zusammenarbeit auf der Basis der bestehenden Abmachungen ein. Er hatte Merkel bereits auf dem Treffen im brandenburgischen Meseberg zugesagt, Flüchtlinge zurückzunehmen.

Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis erteilte Merkels Plänen hingegen eine klare Absage. Eine Rücknahmevereinbarung mit Deutschland werde er "definitiv" nicht unterzeichnen, sagte Babis: Die EU schwenke in der Migrationspolitik immer mehr auf die Linie der Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei ein, die eine Aufnahme von Flüchtlingen rigoros ablehnen.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bekräftigte erneut seine kompromisslose Haltung: Die wichtigsten Ziele seien es, Zuwanderung zu stoppen und bereits angekommene Migranten aus der EU auszuweisen, sagte er. In ungarischen Regierungskreisen zeigte man sich jedoch offen für bilaterale Gespräche mit Merkel.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte, Polen werde an seiner Weigerung festhalten, Migranten im Rahmen eines Umverteilungsprogramms aufzunehmen. Gleichzeitig müsse mehr getan werden, damit die Menschen gar nicht erst ihre Herkunftsländer verließen.

Ob es in Brüssel zu einem Beschluss kommt, den alle EU-Staaten mittragen wollen, ist offen. Doch der Druck steigt - auch auf Staaten mit einer defensiven Haltung. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani warnte: "Wenn wir heute nicht weiterkommen, ist Europa irgendwann in Gefahr."

Mit Informationen von Andreas Meyer-Feist, ARD-Studio Brüssel

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