Angela Merkel

Merkels Regierungserklärung "Migration als Schicksalsfrage der EU"

Stand: 28.06.2018 11:46 Uhr

Kanzlerin Merkel geht beim bevorstehenden EU-Gipfel nicht von einer Einigung im Asylstreit aus. Die Migration könne zur Schicksalsfrage werden, sagte sie im Bundestag. Die SPD unterstützt sie. Kritik kam von der Opposition.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kurz vor dem EU-Gipfel in einer Regierungserklärung eingeräumt, dass eine gesamteuropäische Lösung des Asylstreits noch nicht erreicht ist. "Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen", sagte sie im Bundestag. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge sei zwar geringer geworden, aber noch nicht zufriedenstellend.

Das Thema Migration könne "zur Schicksalsfrage für die Europäische Union werden", so Merkel, und werde heute Abend auf dem Gipfel beraten. Das aktuelle Papier sei jedoch noch nicht beschlussfähig. Von sieben Punkten einer gemeinsamen Asylpolitik seien noch zwei umstritten. Dabei gehe es um die Asylverfahrensfrage, um die Standards in den Mitgliedsländern anzugleichen, sowie um die Verteilung der Flüchtlinge in den einzelnen Staaten - ein neues Dublin-Verfahren.

Merkel sprach sich erneut dafür aus, Lösungen nicht unilateral, sondern im Gespräch mit den Partnern zu suchen. Sie sagte, man müsse mit afrikanischen Staaten über Rückführungen von Migranten sprechen. Vorbild solle dabei das Abkommen zwischen der EU und der Türkei sein.

Seehofer bleibt Debatte fern

Merkel rechtfertigte ihre Entscheidung, im September 2015 die Länder Österreich und Ungarn in der Flüchtlingskrise zu unterstützen und eine hohe Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen. Sie bezeichnete die damalige Situation als Ausnahmesituation. Es sei somit keine unilaterale Entscheidung gewesen. Die Situation habe sich heute aber geändert.

Merkel betonte, dass es Deutschland nur gut gehe, wenn es Europa gut geht. "Auf alle globalen Herausforderungen sollte Europa eine möglichst geschlossene Antwort geben", sagte sie.

In ihrer Rede legte Merkel ihre Erwartungen an den EU-Gipfel in Brüssel dar und bestimmte ihre Position im erbitterten unionsinternen Asylstreit, der die Koalition der beiden Schwesterparteien bedroht. CSU-Chef und Bundesinneminister Horst Seehofer war jedoch im Bundestag nicht anwesend. Er saß in seinem Büro im Innenministerium. "Der Minister arbeitet im Haus und hat Termine", sagte eine Sprecherin.

Dobrindt beharrt auf CSU-Forderungen

Für die CSU ging Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ans Rednerpult. Er beharrte auf der Forderung seiner Partei, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Um sich langfristig vor illegaler Migration zu schützen, müsse Deutschland auch geltendes Recht an den Grenzen umsetzen, so Dobrindt. Das heiße auch, in anderen EU-Staaten registrierte Asylbewerber "an unseren Grenzen zurückzuweisen".

Laut Dobrindt ist eine Kombination aus nationalen und europäischen Maßnahmen notwendig, um die Migration zu verringern. Die CSU wünsche der Bundesregierung daher bei den Verhandlungen auf dem EU-Gipfel ausdrücklich viel Erfolg.

SPD unterstützt Merkel und Seehofer

SPD-Chefin Andrea Nahles appellierte an die Verantwortung der Unionsparteien zur Lösung des erbitterten Asylstreits. "Dass wir in dieser Situation, nur 100 Tage nach Amtsantritt der neuen Bundesregierung, in einer handfesten Regierungskrise stecken, darf nicht sein", sagte sie in ihrer Rede. "Meine Damen und Herren, werden sie ihrer nationalen und internationalen Verantwortung gerecht, bevor es zu spät ist", so Nahles. Nichts habe sich in der Sachlage der Flüchtlingspolitik seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrags verändert. Man habe damals Vereinbarungen getroffen, um Steuerung und Kontrolle zu sichern.

Die SPD unterstütze Merkel dabei, auf europäischer Ebene an Lösungen zu arbeiten, und Bundesinnenminister Horst Seehofer dabei, die nationalen Vorhaben umzusetzen, die man gemeinsam verabredet habe. Deutschland brauche eine stabile und proeuropäische Bundesregierung.

Die SPD-Vorsitzende und Fraktionschefin Andrea Nahles im Bundestag

Die SPD-Vorsitzende und Fraktionschefin Andrea Nahles appellierte im Bundestag an die Verantwortung der Unionsparteien zur Lösung des erbitterten Asylstreits.

Kritik der AfD

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte, er rechne nicht damit, dass sich die anderen europäischen Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen bewegen lassen. "Frau Bundeskanzlerin, Sie rufen Europa zur Hilfe, wie es Ihnen passt", sagte er. Die Europäer ließen sich nicht schikanieren. "Und sie sind auch nicht bereit, Ihre Buntheit, die Morde und Messerattacken und sexuelle Belästigung einschließt, in ihre Länder zu integrieren."

Den Menschen müsse in ihren Herkunftsregionen geholfen werden, so Gauland. "Dafür könnten sie einen europäischen Hilfsfonds auflegen", sagte er an die Adresse von Kanzlerin Merkel gerichtet. "Wir haben nicht das geringste dagegen, Menschen in Not zu helfen. Aber hören Sie auf, Probleme ohne Ende in unser Land zu importieren, dagegen sind wir."

Lindner: CSU hat Merkel erpressbar gemacht

Auch FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner rechnet mit keinen Durchbrüchen beim EU-Gipfel. Dennoch werde die CSU beidrehen und am Ende werde es wieder öffentliche Harmoniebekundungen geben, sagte er im Bundestag. "Das kennen wir: Aus höchsten Staatsämtern heraus mit parteipolitischen Motiven die Stimmung anheizen, um danach beizudrehen."

Lindner mahnte zugleich, das Thema Migration dürfe nicht allein die politische Tagesordnung bestimmen. Die CSU habe Merkel in Europa mit ihrem Verhalten erpressbar gemacht. Die FDP wolle einen Kontinent ohne Binnengrenzen und Schlagbäume. Notwendig und sinnvoll sei eine europäische Lösung. Doch möglicherweise sei es notwendig, "übergangsweise" altes Recht wieder anzuwenden, damit Deutschland seine Sonderrolle nicht fortsetze.

Vorwürfe der Linksfraktion und der Grünen

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte, Merkel habe Deutschland in der EU isoliert. "Der Scherbenhaufen, vor dem Sie stehen, das ist doch der Scherbenhaufen Ihrer Politik", so Wagenknecht. "Sie haben doch das Porzellan zerschlagen und unsere europäischen Partner immer wieder gegen sich aufgebracht." Sie warf Merkel Alleingänge, erratische Entscheidungen sowie "deutsche Selbstgefälligkeit und Rechthaberei" nicht nur in der Flüchtlingskrise, sondern beispielsweise auch in der griechischen Schuldenkrise, vor.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte die CSU scharf. Es gehe ihr nicht um eine Sachfrage, sondern nur darum, dass Kanzlerin Merkel wegkomme, sagte sie. "Denn sie wollen ein anderes Land, sie wollen ein Land mit Abschottung, mit Egoismus, ohne Kooperation und ohne Zusammenhalt." Die CSU setze alles aufs Spiel für eine "einzige, billige, alte Rechnung". Das Innenministerium sei nicht die "Nebenwahlkampfzentrale der CSU".

Suche nach Ausweg aus Streit

Beim am Nachmittag beginnenden EU-Gipfel in Brüssel sucht Merkel nach einem Ausweg aus dem Asylstreit mit der CSU. Bis zum Wochenende will sie eine europäische Lösung präsentieren, die Seehofer von einem nationalen Alleingang abhalten soll. Der CSU-Chef will Migranten an der deutschen Grenze zurückweisen lassen.

Die CSU will Asylbewerber an der deutschen Grenze abweisen, wenn diese zuvor bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Merkel ist dagegen, so etwas ohne Abstimmung mit den EU-Partnern zu tun. Für eine europäische Lösung mit bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen hat die CSU-Spitze der Kanzlerin bis Ende Juni Zeit eingeräumt.

In der ARD-Sendung "Maischberger" bekräftigte Seehofer die Position der CSU, signalisierte aber zugleich Einigungsbereitschaft. "Ich kenne bei mir in der Partei niemand, der die Regierung gefährden will in Berlin, der die Fraktionsgemeinschaft auflösen möchte mit der CDU oder der gar die Kanzlerin stürzen möchte", sagte Seehofer.

Im Ard Am Dieses 2018 über dieses Morgenmagazin Thema Thema Programm: Juni Im Nachrichten Um