Premierministerin May verlässt nach einem Statement einen Pressesaal der EU in Brüssel
Interview

EU-Sondergipfel zum Brexit Erst mal Zeit gewinnen

Stand: 10.04.2019 17:25 Uhr

Wieder sitzen die EU-Spitzen in Brüssel in Sachen Brexit zusammen. Am Ende wird es wohl eine Fristverlängerung geben, sagt ARD-Korrespondentin Astrid Corall im Interview mit tagesschau.de. Jetzt geht es darum, möglichst viel Zeit zu gewinnen.

tagesschau.de: Großbritannien möchte einen Brexit am 30. Juni - ist das wahrscheinlich?

Astrid Corall: Es ist derzeit völlig unklar, welcher Variante die Staats- und Regierungschefs zustimmen werden. Es spricht aber vieles dafür, dass es eine längere Fristverlängerung geben wird - dafür hat sich unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgesprochen.

tagesschau.de: Was spricht denn gegen den 30. Juni?

Corall: Wenn Theresa May bis dahin das Austrittsabkommen erneut nicht durch das Parlament gebracht hat, müsste es im Juni einen weiteren Sondergipfel geben. Die Staats- und Regierungschefs müssten sich auch weiterhin intensiv mit dem Brexit beschäftigen. Eine längere Frist würde ihnen etwas Luft verschaffen.

Leerstellen und Varianten

tagesschau.de: Welche Variante ist derzeit denn die wahrscheinlichste?

Corall: Auch das ist schwer abzuschätzen. Es gibt einen Entwurf einer Abschlusserklärung, in der der Zeitraum der angestrebten Verlängerung offen gelassen wird - da gibt es noch eine Leerstelle. Es gibt aber verschiedene Optionen. Von einer Verlängerung bis Ende des Jahres ist die Rede, der 1. März steht im Raum, und auch eine Verlängerung bis Ende 2020 ist möglich. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat eine sogenannte Flextension vorgeschlagen. Die Briten würden dabei eine Verlängerung von bis zu zwölf Monaten bekommen. Sollte es schon vorher im britischen Parlament eine Mehrheit für ein Austrittsabkommen geben, könnten sie schon kurz darauf die EU verlassen und müssten nicht die vollen zwölf Monate Mitglied bleiben.

tagesschau.de: Das bedeutet aber, dass der harte Brexit erst einmal vom Tisch ist?

Corall: Wahrscheinlich ja - es sei denn, die Gipfelteilnehmer einigen sich heute Abend nicht. Danach sieht es aber nicht aus.

Was May zusichern muss

tagesschau.de: Eine Verlängerung dürfte es kaum per Blankoscheck geben - was werden die EU-Chefs von May im Gegenzug verlangen?

Corall: Eine Voraussetzung ist, dass Großbritannien dann an der EU-Wahl Ende Mai teilnimmt. Damit soll sichergestellt werden, dass es bei der Durchführung der Wahl und der Zusammensetzung des Parlaments keine rechtlichen Probleme gibt. In dem Entwurf der Abschlusserklärung steht auch, dass die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens automatisch am 1. Juni endet, wenn das Land nicht an der EU-Wahl teilnimmt und es keinen Austrittsvertrag gibt. Das wäre dann doch der harte Brexit.

Der Entwurf nennt als weitere Bedingung, dass sich Großbritannien verpflichtet, nichts zu tun, was die EU hindert, ihre Ziele zu erreichen. Dahinter steckt der Wunsch, dass sich Großbritannien bei der Haushaltsplanung oder Vergabe von EU-Spitzenämtern nach der Wahl nicht mehr richtig mitredet. Das ist aber insofern schwierig, weil Großbritannien ja bis auf weiteres ein Mitglied mit allen Rechten und Pflichten bleibt.

tagesschau.de: Einige britische EU-kritische Abgeordnete drohen jetzt damit, in diesem Fall im Parlament ein "trojanisches Pferd" zu sein. Kann May so ein Wohlverhalten überhaupt verlässlich zusagen?

Corall: Man muss wahrscheinlich unterscheiden zwischen dem, was auf der Regierungsebene stattfindet und dem, was im Parlament geschieht. Die Staats- und Regierungschefs haben zum Beispiel ein Vorschlagsrecht, wenn es um einen neuen EU-Kommissionspräsidenten geht - hier kann man von May sicher Zurückhaltung erwarten. Etwaige Versuche, die Parlamentsarbeit zu blockieren, dürfte dagegen kaum zu verhindern sein. Das setzt aber voraus, dass Großbritannien an der Wahl teilnimmt und diejenigen, die mit einer Blockade drohen, gewählt werden.

Demonstrative Geschlossenheit mit Haarrissen

tagesschau.de: Ist denn die Haltung der EU-Staats- und Regierungschefs einheitlich?

Corall: Nach außen hat die EU in Sachen Brexit bislang stets Einigkeit demonstriert. Gleichwohl waren schon beim vorherigen Brexit-Gipfel vor drei Wochen einige Risse zu sehen, als bis in die Nacht diskutiert wurde. Dennoch gelang es auch damals, als Gemeinschaft zusammenzuhalten. Es gibt nun Meinungsunterschiede bei der Länge der Fristverlängerung. Bundeskanzlerin Merkel kann sich eine Verlängerung bis Ende 2019 vorstellen. Auf der anderen Seite steht Frankreich, dass signalisiert hat, dass man eine Verlängerung um ein Jahr für zu lang hält und man einem Aufschub nur unter strikten Bedingungen zustimmen wird, damit das Funktionieren der EU nicht gestört wird. Deshalb ist am Abend mit Diskussionen zu rechnen. Aber am Ende wird man eine Einigung finden.

tagesschau.de: Die Neigung der Staats- und Regierungschefs, im Juni einen weiteren Brexit-Sondergipfel abzuhalten, ist erkennbar gering - spricht das für einen gewissen Überdruss? 

Corall: Einige sind mit ihrer Geduld sicher am Ende. Man muss bedenken, wie lange sich dieser Prozess schon hinzieht. Es wurde lange über das Austrittsabkommen verhandelt, die im November erzielt Einigung ist dreimal im Parlament durchgefallen, es gab einen Sondergipfel und eine Fristverlängerung – deshalb ist die Neigung, bald schon wieder außerplanmäßig zu tagen, gering. Und es gibt warnende Stimmen, dass die EU-Chefs  sich nun mit anderen Dingen beschäftigen sollten, als immer nur mit dem Brexit. Es stehen wichtige Dinge an - zum Beispiel die Europawahl.

Das Gespräch führte Eckart Aretz. tagesschau.de

Das Interview führte Astrid Corall, ARD Brüssel

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