Der britische Brexit-Minister Dominic Raab and der Verhandlungsführer der EU, Michel Barnier, bei einer Pressekonferenz in Brüssel

Die EU und der Brexit Eine Frage der Prinzipien

Stand: 04.10.2018 12:04 Uhr

Die Brexit-Verhandlungen laufen zäh - und das liegt auch an der Haltung der EU. Doch warum zeigt sie eine so klare Kante? Weil es um ihre Grundpfeiler geht - und da gibt es nur Alles oder Nichts.

So tief zerstritten Europa auch ist, wenn es um die Flüchtlingsfrage geht, um Rechtsstaatsprinzipien oder illiberale Demokratie. Und so flexibel die EU auch während der Eurokrise und Griechenland-Rettung agierte - bei den Brexit-Verhandlungen bleibt sie unnachgiebig. Denn hier geht es um sehr viel Geld.

Es geht um die EU-Exportwirtschaft. Beim Brexit steht die Geschäftsgrundlage des mächtigsten Wirtschaftsblocks der Welt auf dem Prüfstand.

Es geht um Geld und Arbeitsplätze

Ein Beispiel: Allein bayerische Unternehmen exportieren pro Jahr Waren im Wert von 190 Milliarden Euro. Der überwiegende Anteil davon geht in die Mitgliedsstaaten der EU. Von der deutschen Exportstärke innerhalb der EU profitieren vor allem osteuropäische Staaten. Sie liefern sogenannte Vorprodukte nach Deutschland. Der EU-Profiteur Bundesrepublik sichert dadurch seinerseits rund 4,9 Millionen Arbeitsplätze in anderen EU-Staaten.

Die Grundlage dabei sind die vier Grundfreiheiten, nämlich der freie Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr - sozusagen die DNA der EU. Und den profitablen EU-Binnenmarkt will man bei den Brexit-Verhandlungen mit den Briten nicht gefährden. Für die EU ist ein Markt mit 440 Millionen Menschen weit wichtiger als ein Markt mit 80 Millionen Briten.

An ihren Prinzipien will die EU nicht rütteln

Deshalb ist die EU auch nicht mehr zu flexiblen Lösungen wie 2004 bereit: Damals setzte die rot-grüne Bundesregierung in Brüssel durch, dass die Freizügigkeit polnischer und tschechischer Arbeitnehmer sieben Jahre lang eingeschränkt wurde. Eine solche Einschränkung wäre heute als Angebot an die Briten undenkbar, weil dann andere Staaten dasselbe Privileg für sich verlangen könnten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist es mittlerweile fast leid, mit den Briten immer wieder über die Frage zu diskutieren, ob sich an diesem Grundlagenvertrag der EU nicht doch rütteln lässt. Und ob es nicht auch mit eingeschränkten Grundfreiheiten geht. Er habe überhaupt keine Lust mehr, immer wieder über das ABC der EU zu diskutieren und über das rückwärtsgewandte Brexit-Thema, betonte er während eines Bürgerdialogs in Freiburg.

Jean-Claude Juncker

EU-Kommissionschef Juncker ist die Brexit-Debatten allmählich leid.

Kein Brexit à la Carte

Für die Mehrheit der EU-Parlamentarier - ganz gleich ob von der Linkspartei, den Grünen, den Liberalen oder den Konservativen - steht fest: Eine EU-Mitgliedschaft à la Carte gibt es nicht. Das sogenannte Chequers-Papier von der britischen Premierministerin Theresa May funktioniert nicht.

Ausschließlich für seine wirtschaftlich nicht sonderlich relevante Warenproduktion will das Vereinigte Königreich weiterhin die EU-Regeln uneingeschränkt akzeptieren. Die drei anderen EU-Grundfreiheiten werden nach britischen Kriterien interpretiert: Die EU-Freizügigkeit soll nur noch für Arbeitnehmer aus bestimmten EU-Ländern gelten. Die müssen außerdem bestimmte Qualifikationen erfüllen.

Auch die Regeln für ihren Bankensektor wollen die Briten nach dem Brexit selber definieren - um anschließend mit weniger regulierten Banken in der EU die Konkurrenz auszustechen.

"Kommt nicht in Frage", sagen unisono die EU-Kommission, das EU-Parlament und die Staats- und Regierungschefs der EU: Wer den Binnenmarkt und die Zollunion verlässt, der verliert auch ihre sämtlichen Vorteile.

Kein Vorankommen bei irischer Grenzfrage

Außerdem habe May noch immer nicht geklärt, wie der zukünftige Drittstaat Großbritannien eine harte Außengrenze vermeiden wolle, zwischen der weiterhin zur EU gehörenden Republik Irland und dem beim Vereinigten Königreich verbleibenden Nordirland. Die irische Frage bleibt für die EU - neben den aus ihrer Sicht unantastbaren Grundfreiheiten - eine Priorität. Der gute Wille auf britischer Seite reiche bei der irischen Frage nicht, betonte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Und die Zeit dränge.

Im Klartext: Die Gefahr eines ungeregelten Brexit wird von Woche zu Woche größer.

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