Die britische und die EU-Flagge wehen vor dem britischen Parlament.
FAQ

Tauziehen um EU-Austritt Brexit - die Optionen beider Lager

Stand: 03.09.2019 23:45 Uhr

Im britischen Parlament gibt es heute eine Machtprobe mit Premierminister Johnson. Seine Gegner wollen per Gesetz einen No-Deal-Brexit verhindern. Johnson droht mit Neuwahlen. Welche Optionen haben beide Seiten?

Was passiert heute im Parlament?

In einer von Parlamentssprecher John Bercow genehmigten Dringlichkeitsdebatte wurde am Dienstag der Weg für ein Gesetzgebungsverfahren geebnet, das am Mittwoch beginnen soll. Wie aus dem vorgelegten Gesetzentwurf hervorgeht, wollen die Gegner eines ungeregelten EU-Austritts eine Verlängerung der Brexit-Frist um drei Monate erzwingen, sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen mit der EU verabschiedet sein.

Die größte Schwierigkeit dürfte die knappe Zeit darstellen, die den Abgeordneten wegen der von Boris Johnson erwirkten Zwangspause bleibt. Schon am kommenden Montag soll das Parlament für mehrere Wochen seine Tore schließen - ein nicht abgeschlossenes Gesetzgebungsverfahren würde dann einfach verfallen.

Schon während der Parlamentsdebatte kam es allerdings zu einer Überraschung: Johnson verlor seine Regierungsmehrheit im Parlament. Der Abgeordnete Phillip Lee erklärte seinen Austritt aus der Konservativen Partei und schloss sich den Liberaldemokraten an. Bislang hatten die Tories und ihr Regierungspartner, die nordirische DUP, eine Mehrheit von einer Stimme.

Welche Möglichkeiten hat Johnson, ein Gesetz der No-Deal-Gegner zu verhindern?

Johnsons Unterstützer im Parlament könnten das Gesetzgebungsprozedere mit Änderungsanträgen und langatmigen Reden verschleppen. So könnten sie praktisch auf Zeit spielen, bis das Parlament am 9. September suspendiert wird. Erneut zusammentreten soll das Parlament dann kurz vor der Brexit-Frist Ende Oktober. Gegner eines "No-Deal"-Ausstiegs aus der Europäischen Union pochen daher darauf, dass jedwedes Gesetz zur Vermeidung eines solchen Szenarios noch diese Woche verabschiedet werden sollte. Zwar tagt das Parlament an Freitagen und an Wochenenden nicht, doch könnte die Regel angesichts der tickenden Uhr über den Haufen geworfen werden.

Wie schnell könnte ein Gesetz verabschiedet werden?

Das geht in der Regel nicht so schnell. Eine Gesetzesvorlage im Unterhaus bedarf zunächst zweier Lesungen - bei einer muss eine Debatte erfolgen. Dann tritt der Entwurf in die Komiteephase ein, in der jede Klausel im Diskurs eingehend geprüft - und für etwaige Änderungen zerpflückt wird. Dann geht die Vorlage für weitere Debatten - und womöglich weitere Anpassungen - an das Unterhaus zurück. Änderungsanträge kann jeder und jede Abgeordnete einbringen. Zum Ende einer dritten Lesung wird über den Entwurf abgestimmt.

Wird die Initiative angenommen, wird sie ans Oberhaus weitergeleitet. Dort durchläuft die Vorlage ähnliche Phasen - mit unterschiedlichen Regeln, wann Änderungen eingebracht werden können. Auf der Webseite des Parlaments wird betont, wie zäh dieser Prozess sein kann. Und es ist ein gefundenes Fressen für Verschleppungstaktiker: "Sämtliche vorgeschlagenen Änderungen müssen berücksichtigt werden, wenn ein Mitglied es wünscht, und Mitglieder können über ein Thema solange debattieren wie sie wollen."

Wenn Oberhaus-Mitglieder Änderungen am Entwurf vorgenommen haben, wird er zur weiteren Prüfung ans Unterhaus zurückgeschickt. Gibt es keine Änderungen im Oberhaus, ist Queen Elizabeth II. am Zug. Sie muss ihre "königliche Billigung" geben, dann wird die Vorlage zum Gesetz. Der Segen der Königin gilt als Formsache.

Außer der Verschleppungstaktik - welche Optionen hat Johnson sonst noch?

Johnson könnte Neuwahlen provozieren. Zwar erklärte er gestern Abend in einer Rede, er wolle keine Neuwahlen. Doch er drohte indirekt genau damit. Johnson meinte, sollten die Parlamentarier für eine Verschiebung stimmen, würden sie die Position der Briten schwächen und "jegliche weitere Verhandlungen absolut unmöglich machen". Ein ranghoher Regierungsvertreter sagte, sollten die Abgeordneten Johnsons Brexit-Pläne durchkreuzen, werde der Premier den formell ersten Schritt in Richtung vorgezogene Wahlen gehen. Dazu werde er dem Parlament einen Antrag zur Ausrufung von Neuwahlen vorlegen. Voraussichtlich am Mittwoch würde dann über diesen Antrag abgestimmt. Bei Zustimmung würde dem Regierungsvertreter zufolge voraussichtlich am 14. Oktober ein neues Parlament gewählt.

Wie einfach kann Johnson Neuwahlen herbeiführen?

Damit Johnsons Antrag durchkäme, müssten zwei Drittel der Abgeordneten im Unterhaus dafür stimmen. Bisher verfügte Johnson im 650-köpfigen Unterhaus über eine Stimme Mehrheit, mit dem Übertritt des Abgeordneten Lee zu den Liberaldemokraten verlor er diese. Die größte Oppositionspartei, Labour, ist zwar nach Angaben ihres Chefs Jeremy Corbyn bereit für eine Wahl. Sie könnte aber aus taktischen Gründen dagegen stimmen. Medienberichten zufolge sind außerdem etwa 20 Abgeordnete aus Johnsons Konservativen Partei bereit, gegen ihn zu rebellieren.

Fraglich ist außerdem, ob dem Premier an einer Wahl vor dem Brexit-Termin gelegen sein kann. Jüngsten Umfragen zufolge könnte er zwar derzeit auf einen Wahlsieg hoffen, doch die Teilnahme der Brexit-Partei von Nigel Farage würde eine satte Mehrheit unerreichbar machen.

Boris Johnson

Johnson hat gestern in einer Rede vor seinem Amtssitz klar gemacht, dass er am 31. Oktober als Austrittstermin festhalten werde - "ohne wenn und aber".

Wer sind die Rebellen bei den Konservativen?

Ihr "Anführer" ist David Gauke, der in der Regierung von Theresa May Justizminister war. So richtig prominent wurde er, als Johnson an die Macht kam. Gauke trat demonstrativ zurück, anstatt sich feuern zu lassen. Gemeinsam mit dem früheren Finanzminister Philip Hammond und mehreren Hinterbänklern stellt er sich nun gegen den Johnson-Kurs. Mit dem Parteiwechsel des Tory-Abgeordneten Lee zog einer der innerparteilichen Gegner des Premiers nun auch konkrete Konsequenzen.

Wie will Johnson seine parteiinternen Kritiker umstimmen?

Johnson droht damit, alle Tory-Abgeordneten, die für ein Gesetz gegen den No Deal stimmen, aus der Fraktion auszuschließen. Die Rebellen würden im Falle von Neuwahlen wohl nicht wieder als Kandidaten aufgestellt werden.

Könnte Boris Johnson als Premierminister auch gestürzt werden?

Als Ultima Ratio bliebe den Rebellen, Johnson per Misstrauensvotum zu stürzen. Fraglich ist jedoch, ob sich dafür eine Mehrheit finden würde. Es gilt als nicht ausgeschlossen, dass der Premierminister Schützenhilfe aus den Reihen der beinharten Brexiteers in der Labour-Partei bekommen würde. Die Zahl der Tories, die bereit wären, ihre eigene Regierung aus dem Amt zu jagen, dürfte überschaubar bleiben.

Wäre ein Misstrauensvotum erfolgreich, müssten die Abgeordneten innerhalb von zwei Woche einen Übergangspremier bestimmen, ansonsten käme es zu einer Neuwahl, deren Termin Johnson theoretisch auf ein Datum nach dem EU-Austritt legen könnte. Oppositionschef Corbyn hatte sich bereits als Interims-Regierungschef angeboten, doch er gilt als zu umstritten. Als Alternative käme beispielsweise Alterspräsident Ken Clarke infrage. Sollte Johnson noch vor dem Zwangsurlaub des Parlaments eine Vertrauensabstimmung im Unterhaus verlieren, würde sich die Zwei-Wochen-Frist auf die Zeit bis zur Schließung des Parlaments verkürzen.

Was passiert, wenn es weder ein neues Gesetz noch Misstrauensvotum oder Neuwahlen gibt?

Dann verlässt Großbritannien am 31. Oktober ungeregelt die Europäische Union. Das ist so gesetzlich geregelt.

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