Menschen gehen nach der Erdbebenkatastrophe durch die Trümmer in der türkischen Stadt Samandag.

Türkei und Syrien Alle vier Minuten bebt die Erde

Stand: 17.02.2023 19:06 Uhr

Tausende Nachbeben erschütterten die Erdbebengebiete in der Türkei und in Syrien in den vergangenen elf Tagen - und es hört nicht auf. Trinkwasser ist knapp, Seuchen drohen. Aber noch immer werden offenbar Menschen gerettet.

Während die Menschen im türkisch-syrischen Erdbebengebiet ums Überleben kämpfen, erschüttern weiterhin starke Nachbeben die Region. Für die kommenden Tage erwartet der türkische Katastrophenschutz AFAD Erdstöße mit einer Stärke von mehr als 5. Etwa alle vier Minuten gebe es in der Region ein Nachbeben, sagte der AFAD-Geschäftsführer für Risikominderung, Orhan Tatar, der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Bisher habe es mehr als 4700 Nachbeben gegeben.

Mehr als 84.000 Gebäude in der Türkei sind nach Angaben des Umwelt- und Stadtplanungsministeriums eingestürzt oder stark beschädigt. Auch in Syrien sind Tausende Häuser zerstört. In den Erdbebengebieten warnen Behörden die Menschen deshalb noch immer davor, in ihre Häuser zurückzukehren.

Die Zahl der bestätigten Toten in der Türkei und Syrien steigt immer noch. Zuletzt lag sie bei mehr als 45.000. Zehntausende Menschen wurden zudem verletzt, Tausende gelten noch als vermisst. Millionen Menschen sind von den Auswirkungen der heftigen Erdstöße betroffen.

Zugang zu Trinkwasser dringend nötig

In der Türkei gibt es mancherorts wegen der Zerstörung bereits kein Trinkwasser mehr, wie der Chef der Ärztekammer (TTB) im südtürkischen Adana, Selahattin Mentes, sagte. Betroffen sei etwa der Bezirk Nurdag in Gaziantep. Anderswo könne das Leitungswasser womöglich durch Vermischung mit Wasser aus der Kanalisation verseucht sein. "Wir brauchen dringend Zugang zu sauberem Trinkwasser in der Region und müssen Hygiene herstellen. Außerdem muss der Müll entsorgt werden." Andernfalls drohten Infektionskrankheiten wie Cholera.

Immer noch Rettungen

Elf Tage nach dem Beben gibt es aber auch aufsehenerregende Berichte über Rettungen. Helfer in der türkischen Stadt Antakya hätten zwei Verschüttete nach 261 Stunden aus den Trümmern geholt, berichtete der staatsnahe Sender CNN Türk. Einer der beiden jungen Männer bestand nach Angaben des türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca gleich nach seiner Befreiung darauf, mit einem Angehörigen zu telefonieren. Auf einem Video war zu sehen, wie ein Angerufener am Telefon in Tränen ausbrach, als er von dem Geretteten hörte.

Laut der staatlichen Agentur Anadolu wurde in Hatay sogar ein Mann nach 278 Stunden gerettet. Die Angaben ließen sich aber nicht unabhängig überprüfen.

Behinderung von Medienschaffenden in der Türkei

Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" wirft den türkischen Behörden vor, die Berichterstattung nach der Erdbebenkatastrophe zu behindern. Zu Verletzungen der Pressefreiheit gehören demnach physische Gewalt, Festnahmen, Gerichtsverfahren, Verfolgung im Netz und die Einschränkung von Twitter.

Medienschaffende seien beschuldigt worden, die Polizei oder den Staat zu diffamieren. Es werde immer deutlicher, dass die Regierung versuche, die Berichterstattung über die Katastrophe und die Reaktion der Behörden zu kontrollieren, kritisierte die Journalistenorganisation. Der Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen" in Berlin, Christian Mihr erklärte: "Die türkischen Behörden dürfen die Tragödie nicht ausnutzen, um die Pressefreiheit noch weiter einzuschränken." Reporterinnen und Reporter, die derzeit in die verwüsteten Gebiete führen, machten unter schrecklichen Bedingungen nur ihre Arbeit. Deren Berichterstattung sei wichtiger denn je.

Luftbrücke aus Deutschland gestartet

Unterdessen werden die internationalen Hilfsbemühungen für die Türkei und Syrien fortgesetzt. Aus Deutschland wurde eine neue Luftbrücke in die türkischen Erdbebengebiete aufgebaut. In Frankfurt starteten zwei Lufthansa-Cargo-Maschinen mit Hilfsgütern nach Antalya. Ab Montag fliegt die deutsch-türkische Gesellschaft SunExpress jeweils montags und dienstags mit einer für den reinen Frachttransport umgebauten Passagiermaschine nach Antalya.

Seit Mitte vergangener Woche hätten 143 Lkw der Vereinten Nationen Hilfsgüter von der Türkei in den Nordwesten Syriens geliefert, erklärte der Sprecher des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe, Jens Laerke, in Genf. Nach den Erdbeben sei die Bevölkerung in der Region noch dringender als bisher auf die Lieferungen angewiesen. Die Straßen zu und von den drei offenen Grenzübergängen seien passierbar. Die Lieferungen von Lebensmitteln, Wasser, Medizin und anderen humanitären Gütern gehe weiter, solange die Menschen sie bräuchten, sagte Laerke. Bereits vor dem Beben waren in der Region 4,1 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Syriens Präsident Baschar al-Assad ließ derweil in einer zynischen Fernsehansprache verlauten, die Folgen des Krieges im Land hätten die Bevölkerung auf die Erdbeben vorbereitet. "Der Krieg, der Ressourcen erschöpfte und Fähigkeiten schwächte, hat der syrischen Gesellschaft die Erfahrung gegeben, um mit dem Erdbeben umzugehen."