Die Hauptdarsteller der Serie "Slowo Pazana" auf einem Pressefoto von Rostelecom.

Serie "Slowo Pazana" Eine Jugendbande begeistert Russland

Stand: 03.02.2024 08:41 Uhr

Die russische Serie "Gaunerehrenwort" handelt vom Aufstieg und Fall einer Kasaner Jugendgang in den Achtzigerjahren - und trifft in der Gesellschaft einen Nerv. Nun interessiert sich auch Netflix dafür.

Von Jasper Steinlein, ARD-aktuell

"Ich gehöre jetzt zu den Jungs": Voller Stolz ist der 14-jährige Andrej, als er diesen Satz in der Serie "Slowo Pazana" (auf Deutsch: Gaunerehrenwort) endlich sagen kann. Eigentlich sollte er Marat, der ihn zuvor in der Straßenbahn um Geld erpresst hat, nur Englisch-Nachhilfe geben. Stattdessen hat er sich mit ihm angefreundet und der Jugendbande "Universam" angeschlossen.

Viel anderes gibt es in der russischen Provinzstadt Kasan Ende der 1980er-Jahre auch nicht zu tun: Andrej ahnt, dass ihm seine Ausbildung an der Musikschule nicht zu einer Pianistenkarriere verhelfen wird, auf den Straßen der bereits bröckelnden Sowjetunion treiben sich Jugendbanden in Trainingsanzügen herum, man kann entweder ihr Opfer (ein "Tschuschpan") sein und sich schikanieren lassen oder ein "Pazan", ein ganzer Kerl sein und zu ihnen gehören. Andrej hat sich entschieden - und wie es ihm mit dieser Entscheidung ergeht, hat in der achtteiligen Spielfilmserie seit November ein großer Teil des russischsprachigen Weltpublikums mitverfolgt.

Faustrecht ersetzt bald das Ehrenwort

Die Bildsprache ist vergilbt, allgegenwärtig sind Uniformen und der damals entstandene Gossenjargon, der heute den politischen Diskurs Russlands prägt. In Schlüsselszenen laufen Sowjethits von Kino, Mirasch und Willi Tokarew. Das alles weckt bei vielen Zuschauern eine bittersüße Nostalgie - oder bedient die Sehnsucht der Jüngeren nach einer Zeit, die sie zwar selbst nicht erlebt haben, in der sie sich aber dank Retro-Trends und ständiger Geschichtsbelehrung bestens auskennen.

Im Nachtzug nach Moskau fahren und dort Studenten anpöbeln, der ersten Liebe ein Eis spendieren, zwischendurch kleine Dinger drehen: Das Erwachsenwerden der "Jungs" steht im Zeichen ihrer Bande und für eine Hinterhofjugend, mit der nicht nur Putin-Biographen immer wieder kokettieren. Doch schnell wird es düster.

Als Andrej und Marat erkennen, dass in ihrem neuen Umfeld nur das Faustrecht gilt und ein "Gaunerehrenwort" in Wahrheit nichts wert ist, ist es zu spät: Der gemeinsame Kumpel Mischa wird von einer verfeindeten Gang ermordet, Andrejs Mutter treibt der Gram in die Psychiatrie, Marat kann seine Freundin Aigul nicht vor einer Vergewaltigung und der darauffolgenden Ächtung beschützen. Aus Freunden werden Feinde.

Die Serie trifft bei vielen einen Nerv

Im heutigen Russland, wo seit der Mobilisierung früherer Gefängnisinsassen die Kriminalitätsrate gestiegen ist, trifft auch diese bedrückende Stimmung einen Nerv: Jeder kennt ohnehin das Leben in der ständigen Eskalation, zwischen staatlicher Überregulierung und erlebter Gesetzlosigkeit im Alltag.

Nicht nur der auf tatarisch gesungene Titelsong "Pyjala" ist ein Hit: auf TikTok spielen Jugendliche im "Pazan"-Kostüm Schlüsselphrasen und Imponiergehabe nach, Mem-Witzbildchen vergleichen die Serie mit vertrauten Momenten im russischen Leben.

Entsprechend heikel ist die politische Dimension der Hitserie im russischsprachigen Raum: Zwar haben auch viele Russlanddeutsche oder Menschen aus der Ukraine sie gesehen. Ermöglicht wurde die Produktion aber vom de facto staatsgetragenen "Institut für die Entwicklung des Internets", das sonst Propagandainhalte finanziert, dem von Gazprom finanzierten Fernsehsender NTV und der Medienholding von "Einiges Russland"-Parteimitglied Alina Kabaewa, der eine intime Beziehung mit Staatschef Wladimir Putin nachgesagt wird.

Kritische Untertöne - nur gegen wen?

Theoretisch ist "Slowo Pazana" eine Historienserie: Sie handelt vom sogenannten Kasaner Phänomen marodierender Jugendbanden in den letzten Jahren der Sowjetunion. Gedreht wurde allerdings nicht in Kasan, sondern in Jaroslawl, weil die lokale Politik sich dagegenstemmte. Und spätestens seit im Dezember in Irkutsk Jugendliche einen 15-Jährigen totprügelten und Angehörige und Medien dabei Bezüge zum Ehrgehabe der "Jungs" herstellten, sind sich die Behörden nicht mehr sicher, wem die kritischen Untertöne der Serie nun gelten: Ist "Gaunerehrenwort" eine erzieherische Warnung an Jugendliche, ihre Eltern und den Sicherheitsapparat, die in der Serie der immer ausuferenderen Bandengewalt hilflos gegenüber stehen? Oder ist sie eine Systemkritik von innen?

Jedenfalls sah sich bereits der Familienausschuss der Staatsduma genötigt, eine Prüfung der Serie durch Medienaufsichtsbehörde und Staatsanwaltschaft anzuordnen - die aber nichts Brandgefährliches finden konnten, zumal sie in Russland "ab 18" deklariert ist.

Die Macher der Serie haben den Skandal bislang unbeschadet überstanden. Angeblich hat Netflix mit der Produktionsfirma Verhandlungen über die Rechte an "Gaunerehrenwort" aufgenommen. Demnach könnte eine Adaption im Frühling bei dem in Russland seit 2022 nicht mehr empfangbaren Streamingdienst laufen - und einen ähnlichen Kultstatus bei westlichen Zuschauern erreichen wie die 2019 erschienene HBO-Serie "Chernobyl". Das Gaunerehrenwort, dass nichts dazwischen kommt, kann in Russland aber niemand geben.

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