Eine Frau kniet vor einer Wand mit Fotos von Israelis, die in Gaza vermisst und gefangen gehalten werden.

Geiseln aus Israel Eine Freilassung, die Hoffnung macht

Stand: 22.10.2023 11:57 Uhr

Mindestens 212 Geiseln werden nach israelischen Angaben in Gaza festgehalten. Die Freilassung von zwei US-Amerikanerinnen macht Hoffnung - erhöht aber auch den Druck auf die israelische Regierung.

Shai Wenkert kann sich noch gut an das letzte Telefonat mit seinem Sohn erinnern. Zuhause gab es Sirenenalarm. Sofort rief er Omer an, um sicherzugehen, dass dieser in Sicherheit sei. "Er sagte uns: 'Mir geht es gut, ich bin beim Nova-Musikfestival. Ich gehe zum Luftschutzbunker und werde dich von dort aus anrufen'", so Wenkert.

Doch Omer rief nicht an, Shai Wenkert bekam eine andere Nachricht. "Drei oder vier Stunden später erhielten wir ein Video, das vom Telegram-Kanal der Hamas stammte", sagt er. "Wir sahen, dass Omer noch lebt, von der Hamas gefangen genommen, auf dem Weg in den Gazastreifen." 

Immer wieder sehen sich Shai Wenkert und seine Frau Niva das Video an. Omer Wenkert, ihr Sohn, wird auf die Ladefläche eines Pick-ups geworfen. Der Oberkörper ist nackt, er trägt nur seine Jeans. Hamas-Terroristen singen und tanzen um das Fahrzeug herum. Seither ist er in der Gewalt der militanten Islamisten.

Sorge vor anderer Priorität

Shai Wenkert und seine Frau haben ihre Geschichte der Nachrichtenagentur Reuters erzählt. Auch weil inzwischen zwei Geiseln freigelassen wurden - beide US-Amerikanerinnen.

Niva, die 49-jährige Mutter von Omer ist hin- und hergerissen. "Wir sahen, wie die Mutter und ihre Tochter Gaza verließen. Die Hamas ließ sie frei. Das gibt mir Hoffnung, dass mein Sohn Omer so schnell wie möglich rauskommt", sagt sie. Andererseits sei es etwas, das sie nicht verstehen könne, wie jemand über Zivilisten aus anderen Ländern verhandeln könne und nicht über alle Geiseln rede.

Die Freilassung der beiden Geiseln ist für Niva und Shai Wenkert der Beleg, dass mit der Hamas Verhandlungen über Vermittler - etwa Katar - möglich sind. Doch sie befürchtet, dass Israels Regierung möglicherweise eine andere Priorität hat. Es geht vor allem um die militärische Dimension des Konfliktes. Die Hamas soll ein für alle Mal zerschlagen werden.

Demonstrationen im ganzen Land

Im ganzen Land demonstrieren inzwischen Israelis, die verlangen, dass das Schicksal der Geiseln stärker in den Fokus rücken soll. Die Freilassung der zwei Geiseln vorgestern Nacht hat den Druck auf die israelische Regierung verstärkt, sich intensiver um Freilassungen zu bemühen. Dass diese sich von ihrem Kurs abbringen lässt, und eine mögliche Bodenoffensive aus Rücksicht auf die Geiseln verschiebt - ist aber eher unwahrscheinlich.

Nach Angaben der israelischen Armee liegt die Zahl der Geiseln im Gazastreifen bei mindestens 212. Dies sei die Zahl der Familien, die bisher informiert worden seien, bestätigte ein Militärsprecher. Unter den Entführten sind auch Deutsche.

"Bis dahin geht der Krieg weiter"

Irritiert ist Niva Wenkert auch, weil gestern die ersten Hilfslieferungen in den Gazastreifen hineingelassen wurden - doch keiner verbindet dies mit dem Schicksal der Geiseln. Sie hätten gesehen, dass Lastwagen voller Medikamente und Lebensmittel für die Palästinenser über die Grenze fuhren, sagt sie. "Ich frage mich, warum mein Kind Omer, der an einer schweren chronischen Krankheit leidet, die ihn töten kann, warum er jetzt keine Medikamente bekommt?"

Shai Wenkert und seine Frau Niva hoffen auf die Regierung, auf die Staaten, die auf die Hamas Einfluss haben, sie hoffen auch auf die Menschlichkeit der Terroristen. Eines steht für Shai Wenkert aber fest. Und das ist auch seine Botschaft an die eigene Regierung: "Der Krieg wird erst dann aufhören, wenn alle Entführten nach Hause zurückkehren. Bis dahin geht der Krieg weiter."

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