Menschen vor einer Schule in Rafah im Gazastreifen

Details zu Vorwürfen gegen Hilfswerk UNRWA-Mitarbeiter als Geiselnehmer?

Stand: 29.01.2024 17:23 Uhr

Die Vorwürfe wiegen schwer: Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA sollen sich am Massaker am 7. Oktober beteiligt haben. Nun sind Details bekannt geworden - und es gibt erste Reaktionen.

Die New York Times hat bislang unbekannte Details zur mutmaßlichen Verwicklung von Mitarbeitern des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge in den Terroranschlag auf Israel am 7. Oktober veröffentlicht.

Ein UNRWA-Mitarbeiter sei an der Entführung einer Frau aus Israel beteiligt gewesen, ein anderer habe Munition ausgeteilt, ein dritter sei an einem Massaker in einem Kibbuz beteiligt gewesen, bei dem 97 Menschen starben, berichtete die Zeitung unter Verweis auf ein entsprechendes israelisches Dossier, das der US-Regierung vorliege.

Beschuldigte sollen Hamas angehört haben

Insgesamt enthalte das Dossier Anschuldigungen gegen zwölf UNRWA-Mitarbeiter. Mehr als die Hälfte von ihnen seien am 7. Oktober als Lehrer oder in anderen Funktionen an Schulen des UN-Hilfswerks tätig gewesen. Von den zwölf Beschuldigten seien zehn Mitglieder der islamistischen Terrororganisation Hamas.

Den Mitarbeitern werde vorgeworfen, der Hamas bei den Angriffen am 7. Oktober geholfen oder sie in den Tagen danach unterstützt zu haben. Eine Bestätigung der Vorwürfe durch die US-Regierung gebe es derzeit nicht, schrieb die New York Times. Washington stufe sie aber als glaubwürdig ein.

Dossier auf Grundlage von Geheimdienstinformationen

Laut dem von der New York Times ausgewerteten Dossier basieren die Anschuldigungen auf Informationen des israelischen Geheimdienstes. Dieser habe unter anderem die Bewegungen von sechs UNRWA-Mitarbeitern am 7. Oktober innerhalb Israels anhand ihrer Telefone nachgezeichnet. Bei anderen wurden Telefongespräche überwacht, in denen sie ihre Beteiligung am Hamas-Angriff besprachen. Einer sei per Textnachricht aufgefordert worden, raketengetriebene Granaten mitzubringen, die in seinem Haus gelagert worden seien.

Israel sagt Treffen mit UNRWA ab

Israel hat unterdessen ein geplantes Treffen mit dem Leiter des UN-Palästinenserhilfswerks, Philippe Lazzarini, kurzfristig abgesagt. "Ich habe das Treffen von Ministeriumsmitarbeitern mit Lazzarini am Mittwoch in Israel gerade gecancelt", schrieb Außenminister Israel Katz auf der Online-Plattform X, vormals Twitter. Der Grund seien laut Katz die Vorwürfe gegen die UNRWA-Mitarbeiter. "Lazzarini sollte Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Unterstützer von Terrorismus sind hier nicht willkommen", fügte Katz auf X hinzu.

Israelischer Botschafter: "Nur die Spitze des Eisbergs"

Nach den Enthüllungen hat sich nun auch der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, eingeschaltet. Er vermutet, dass dies nur die Spitze des Eisberges sei. "Ein Dutzend UNRWA-Mitarbeiter hat sich am 7. Oktober an den Entführungen beteiligt - das ist ungeheuerlich und doch nur die Spitze des Eisbergs", sagte Prosor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Seit Jahren arbeite UNRWA gegen sein Mandat, es verbreite Hetze und hintertreibe Bemühungen für den Frieden, fügte er hinzu. "Es war höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft endlich aktiv wird und Finanzmittel zurückhält." Doch das reiche nicht. "Was wir jetzt brauchen, ist eine große Untersuchung ohne Scheuklappen", sagte Prosor. In seiner jetzigen Form sei UNRWA kein Teil der Lösung, sondern ein Hindernis auf dem Weg zu Frieden.

Zahlungen an Hilfswerk eingestellt

Die schweren Vorwürfe gegen zwölf von insgesamt mehreren Tausend UNRWA-Mitarbeiter hatten weltweit für Empörung gesorgt. Nachdem Israel dem Hilfswerk entsprechende Informationen zukommen ließ, stellten zahlreiche westliche Staaten ihre Zahlungen vorübergehend ein, unter ihnen die USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Die Bundesregierung unterstützte das UN-Hilfswerk eigenen Angaben zufolge allein im vergangenen Jahr mit mehr als 200 Millionen Euro.

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul hat nun die Bundesregierung aufgefordert, die Zahlungen komplett einzustellen. "Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihre finanzielle Unterstützung für UNRWA komplett suspendiert und die Mittelzuflüsse umgehend stoppt", sagte der CDU-Politiker der dpa.

EU pocht auf Überprüfungen

Die EU verlangt umfassende Prüfrechte und schließt Konsequenzen nicht aus. Man erwarte, dass das UNRWA einer Überprüfung durch von der EU ernannte unabhängige Experten zustimme, teilte die EU-Kommission in Brüssel mit. Bevorstehende Finanzierungsentscheidungen für das UNRWA werde man vor dem Hintergrund der sehr schwerwiegenden Vorwürfe treffen.

Das UNRWA warnte unterdessen, die Hilfen im Gazastreifen sowie in der gesamten Region müssten Ende Februar eingestellt werden, sollten die Länder ihre Zahlungen nicht wieder aufnehmen.

Das UNWRA, das 2019 von einem Skandal von Vetternwirtschaft erschüttert wurde, leidet ohnehin unter chronischem Geldmangel: Schon vor Beginn des Kriegs zwischen Israel und der im Gazastreifen regierenden militanten Hamas monierten UNRWA-Offizielle die Unterfinanzierung des Hilfswerks, das von freiwilligen Zuwendungen abhängt.

Vor dem Krieg: 13.000 UNRWA-Mitarbeiter

Mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen sind auf UNRWA-Hilfe angewiesen. Das UNRWA beschäftigte vor Beginn des Krieges am 7. Oktober etwa 13.000 Mitarbeiter im Gazastreifen, die meisten von ihnen Palästinenser.

Das UNRWA ist nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland, Ost-Jerusalem, Jordanien, Libanon und Syrien im Einsatz. Es unterhält mehr als 700 Bildungseinrichtungen mit fast 550.000 Schülerinnen und Schülern. Das Werk betreibt zudem medizinische Einrichtungen, hilft beim Aufbau kleiner Unternehmen und regelt sogar die Müllabfuhr.

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