Ben-Gwir am Abend der Parlamentswahl in Jerusalem (Israel)

Regierungsbildung in Israel Ein Extremer im Zentrum

Stand: 15.11.2022 06:38 Uhr

In einer künftigen Regierung Netanyahu könnte der extreme Abgeordnete Ben-Gvir eine zentrale Rolle spielen. Er ist mehrfach vorbestraft, provoziert seit Jahren rechtsaußen. Neuerdings gibt er sich gemäßigt.

In Nebi Samuel im von Israel besetzten Westjordanland kommt es zu Tumulten. Eine Gruppe Israelis bahnt sich - geschützt von schwer bewaffneten Sicherheitskräften - den Weg zur Grabstätte Samuels. Eigentlich ist es Israelis ohne Sondergenehmigung verboten, hierher zu kommen. Diese Gruppe ist dennoch hier. Und mittendrin ein kleiner untersetzter Mann mit weißer Kippa, Itamar Ben-Gvir.

Er sei nach Nebi Samuel gekommen, "um klar zu sagen, wem das Land im Staat Israel gehört", erklärt er: "Wir sind die Eigentümer dieses Hauses."

Ben-Gvir lässt sich durch die lautstarken Proteste der Palästinenser nicht stören. Er fordert seine jüdischen Mitstreiter auf, laut zu singen, öffentlich zu beten, den Palästinensern entschieden die Stirn zu bieten. Nur mit Mühe können die Sicherheitskräfte beide Parteien davon abhalten, aufeinander loszugehen.

Ben-Gwir bei einem Besuch in Nebi Samuel (Westjordanland)

Eine gezielte Provokation: Ben-Gwir und Anhänger bei ihrem Besuch in Nebi Samuel.

Ein rechter Provokateur mit Vergangenheit

Ben-Gvir liebt es zu provozieren - in Nebi Samuel ebenso wie in der Knesset, wo er schon mal die arabischstämmigen Abgeordneten öffentlich als Terroristen beschimpft und ihnen nahelegt, besser in Syrien als Politiker zu arbeiten.

Der heute 46-Jährige, ein Sohn irakisch-jüdischer Einwanderer, hatte schon als Jugendlicher rechtsradikale Ansichten. Die waren so extremistisch, dass er aus dem Militärdienst entlassen wurde.

Von Kahane inspiriert

Und schon sehr früh zeigte er sich als Bewunderer des radikalen Rabbiners Meir Kahane. Der war ein entschiedener Gegner der Palästinenser, wollte aus Israel einen jüdischen Gottesstaat machen und befürwortete Massendeportationen der arabischen Bevölkerung aus dem Westjordanland.

Der später in New York ermordete Kahane und seine als terroristische Vereinigung eingestufte und verbotene Kach-Partei sind das politische Vorbild für Ben-Gvir. Kahane sei "ein Prophet und ein Führer in unserem Land" gewesen, sagt Ben-Gvir und verspricht: "Wir werden seinen Weg fortführen."

Mit solchen Sätzen galt Ben-Gvir in der israelischen Politik lange Zeit als nicht gesellschaftsfähig. Zwar distanzierte er sich in manchen Punkten von dem umstrittenen Rabbiner, an seiner Bewunderung für ihn hat sich indes nichts verändert.

Ben-Gwir bei einem Wahlkampftermin in Jerusalem (Israel)

Dass es für Ben-Gwir so weit nach oben gehen würde, war über Jahre nicht abzusehen - lange galt er als zu extremistisch für eine Regierungsbeteiligung.

Viele Konflikte mit der Justiz

Seine radikale Einstellung brachte Ben-Gvir immer wieder in Konflikt mit der Justiz. Dutzende Male wurde er wegen extremistischer Umtriebe angeklagt, acht mal verurteilt. Einmal sogar wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Noch vor einigen Jahren hing in seinem Wohnzimmer ein Foto des Massenmörders Baruch Goldstein, der 1994 rund 30 Palästinenser in Hebron ermordet hatte.

Steigbügelhalter für Netanyahu

Bei der Parlamentswahl am 1. November konnte Ben-Gvir deutlich zulegen. Das Bündnis um seine Partei "Otsma Jehudit" - übersetzt Jüdische Macht - wurde viertstärkste Kraft und zieht mit 14 Abgeordneten in die Knesset. Durch seinen politischen Höhenflug ist er auch als Bündnispartner für Benjamin Netanyahu so gut wie gesetzt.

Ebenso gilt es als ausgemachte Sache, dass der Rechtsaußen der israelischen Politik schon bald als Minister im Kabinett auftauchen könnte. Er selbst hat schon am Ministerium für öffentliche Sicherheit Interesse bekundet.

Für Extremismusforscher Shlomo Fischer wäre das keine Überraschung. Er verweist auf die jüngsten Wahlen in Schweden und Italien. Das Phänomen der Rechtsaußen-Parteien gebe es in vielen Ländern und verbreite sich immer stärker: "Israel ist da sozusagen im Trend, nicht gegen den Trend."

Netanyahus Kalkül

Es war Likud-Chef Netanyahu, der Ben-Gvir salonfähig gemacht hat, in dem er sich vor der Wahl mit ihm und dem anderen rechten Parteichef Bezalel Smotrich in seinem Haus in Caesarea traf. Für Netanyahu hatte das Kalkül, den rechten Block zu erweitern, Priorität.

Gleichzeitig wurde durch sein Werben aus dem Paria der israelischen Politik ein begehrter Bündnispartner. Und Ben-Gvir selbst weiß um seine Rolle und um seine Position in einer israelischen Gesellschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten mehrheitlich nach rechts gerückt ist.

Nach außen inzwischen gemäßigt

So ergab eine vom Israel Democracy Institute durchgeführte Umfrage, dass sich fast zwei Drittel der Israelis eher auf dem Mitte-Rechts Flügel der politischen Landkarte befinden. Ben-Gvir, der Rechtsaußen der israelischen Politik, versuchte daher vor der Wahl, ein wenig in die Mitte zu rücken, um noch mehr Wähler anzusprechen. Was auch zum Erfolg führte.

Nach außen gibt er sich inzwischen gemäßigt und beteuert, er wolle nicht mehr alle arabischen Israelis deportieren lassen. Aber: "Ich denke, dass die Terroristen, diejenigen, die Steine und Molotow-Cocktails werfen, dass die vertrieben werden sollten. Das sagt der neue Itamar."

Eine Auffassung, die ihm viele eher linksgerichtete Israelis nicht abnehmen. Haim Shadmi, ein prominenter linker Aktivist, meinte jüngst: Israel befinde sich in einer ähnlichen Situation wie Deutschland 1930, wo die Nazis demokratisch gewählt worden seien. Und Ben-Gvir sei das Symbol eines möglichen faschistischen und rassistischen Israel.

Skepsis im Ausland

Und auch im Ausland blicken inzwischen viele mit Sorgen nach Israel. Nachdem Ben-Gvir wenige Tage nach der Wahl an einer Gedenkfeier für Rabbi Meir Kahane teilgenommen hatte, gab es massive Kritik aus dem US-Außenministerium. Es sei "abscheulich", das Vermächtnis einer Terrororganisation zu feiern - "es gibt kein anderes Wort dafür", sagte der Sprecher des State Department, Ned Price.

Netanyahu versucht derweil die Bedenken gegen eine neue mögliche Regierung unter Mitwirkung von Ben-Gvir zu zerstreuen. Erst am Sonntag, als ihm Staatspräsident Izchak Herzog den Auftrag zur Regierungsbildung erteilte, versuchte der Likud-Chef, die Skepsis als politisches Manöver der Opposition darzustellen.

Es gebe Gerede über das Ende der Demokratie und dass Israel ein dunkles Kapitel bevorstehe, sagte Netanyahu. Dies sei aber nicht das erste Mal, dass so etwas gesagt werde.

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